Im Interview: Andreas Geron, Bürgermeister von Sinzig

Eva Dieterle spricht mit einem, der selbst unmittelbar betroffen war, über das Horrorszenario und die Folgen.

Eva Dieterle, Moderatorin: Guten Tag.
Andreas Geron, parteilos, Bürgermeister Sinzig: Guten Tag.
Dieterle: Herr Geron, Sie haben engen Kontakt zu vielen anderen Betroffenen. Wie traumatisiert ist Ihre Stadt ein halbes Jahr danach?
Geron: Ja, also eine Frage, auf die man schwer pauschal und generell eine Antwort geben kann. Die Menschen, viele Menschen waren stark in den ersten Tagen, Wochen und Monaten, haben sich quasi in einem Hamsterrad befunden, haben gearbeitet, die Flut Folgen beseitigt, und jetzt, im Laufe der dunkleren Monate, merkt man, wie sehr es die Menschen in unserer Region betroffen hat.
Ich merke das auch an mir selbst. Wir haben in den vergangenen Wochen praktisch jeden Tag auch privat über die Folgen der Flut gesprochen und die Zerstörung ist einfach einfach gigantisch. Wenn man vor Ort ist. Man wird immer wieder erinnert an das, was geschehen ist. Die persönliche Verarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen.
Dieterle: Versetzen wir uns zeitlich nochmal zurück. Es hat Warnungen vor dem Hochwasser gegeben, auch eine Krisensitzung in Sinzig in der Nacht davor. Wie konnte diese Katastrophe in diesem Ausmaß trotzdem passieren? Stellen Sie sich diese quälende Frage auch heute noch?
Geron: Ja, auf jeden Fall, und es gibt ja dann auch die entsprechenden Gremien auf Landesebene, die die Ereignisse der Nacht aufarbeiten. Ich muss Ihnen sagen, wir hatten kaum Informationen im Ort, das Handynetz ist dann zusammengebrochen, es gab keinen Strom, kein Internet. Wir wussten nicht, was flussaufwärts passiert. Und es sei auch mal klar gesagt: Es gab auch keine Modellberechnungen, was bedeuten sechs, sieben Meter Pegel ahraufwärts für Sinzig, wo das Tal wieder breiter wird? Welche Regionen werden dann überflutet? Da gab es keine Erfahrungswerte.
Hinzu kommt dann, dass das Szenario mit den Brücken, den Verklausungen und den Flutwellen, die entstehen, weil Brücken brechen, dass dieses Szenario niemand im Vorfeld je geplant hat. Und deswegen war der gesamte Ablauf einfach ein Desaster.
Dieterle: In Sinzig sind in einer Einrichtung der Lebenshilfe zwölf Menschen ertrunken. Es ist schwer, diese Ereignisse jetzt hier in Kürze nochmal genau zu erläutern. Aktuell laufen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Wie verarbeitet man eine solche Tragödie?
Geron: So wie man Trauer verarbeitet. Man redet miteinander, man ist im stillen Gedenken. Es gab Gottesdienste, es gab Trauerveranstaltungen. Jeder muss da seinen eigenen Weg finden und das ist dann für jeden ganz privat das Anliegen, mit dieser Situation klarzukommen. Es ist aber schwierig, das kann ich Ihnen versichern. Ja, das ist schwer.
Dieterle: Herr Geron, wie reagieren Sie auf Stimmen von Experten, die sagen, wenn man Hochwasserschäden im Ahrtal vermeiden will, dann darf man das Tal nicht mehr bebauen.
Geron: Ja, also wenn man keine Schäden mehr zulassen möchte, dann müsste man das Tal entvölkern, das möchte niemand, aber das wäre auch kein Alleinstellungsmerkmal des Ahrtals, das würde auch in vielen anderen Tälern die Konsequenz sein, wo ähliche Ereignisse drohen.
Ich möchte wie folgt differenzieren: Wir müssen differenzieren zwischen Personenschäden und Sachschäden. Personenschäden dürfen in der Zukunft sich nicht mehr ereignen und müssen soweit möglich ausgeschlossen werden durch intelligente Warnsysteme. Das Warnsystem wird auch bereits aufgebaut durch Modelle, dass wir künftig wissen, wenn in Altenahr ein Pegel von sieben Metern gemessen wird, welche Bereiche in Sinzig überflutet werden, durch Regenrückhaltesysteme, durch eine Hochwasser-Partnerschaft, dass flussaufwärts in Regenrückhaltebecken Wasser zurückgehalten wird, das wird dann gemeinsam finanziert. Da muss der Kreis und da müssen auch kreisübergreifend alle zusammenarbeiten, um dies zu erreichen.
Dieterle: Das Ahrtal wird nicht aufgegeben, der Wiederaufbau läuft auf Hochtouren. Wie geht es voran und wie viel Energie ist dafür überhaupt noch vorhanden?
Geron: Ja, also auch hier gibt es ein ganz unterschiedliches Bild Es gibt Private, die haben, ich sage es mal so, Glück mit der Versicherung, die Versicherung zahlt problemlos, da kann schnell wieder aufgebaut werden.
Es gibt Private, die stellen sich quer. Wir haben hier in Sinzig zwei Wohnblocks, der Eigentümer macht gar nichts, lässt die Wohnungen in einem absolut desolaten Zustand und hat keinerlei Engagement, diese Gebäude wieder aufzubauen. Das Nadelöhr sind im Ahrtal Handwerker, Unternehmer und das Nadelöhr ist dann die schnelle Verfügbarkeit von Fördermitteln.
Auch für die Kommune bedeutet es intelligent wieder aufbauen, aber auch wir sind auf Unternehmer, auf Handwerker angewiesen, und wir kennen alle die Situation auf dem Baumarkt. Die trifft uns im Ahrtalland doppelt und dreifach. Es wird eine lange Zeit dauern, bis wir aufgebaut haben. Es ist ein Marathonlauf und kein Kurzstreckenlauf.
Dieterle: Herr Geron, viel Kraft dafür und vielen Dank für das Interview. Herzlichen Dank!
Geron: Vielen Dank!