IG Metall-Chef Jörg Hofmann im Interview

Zählen wir mal auf, was Unternehmen derzeit das Leben schwer macht: hohe Inflation, fehlende Fachkräfte, extreme Energiepreise und gestörte Lieferketten. Und dazu kommt für einige Branchen noch eine weitere Belastung: höhere Löhne – wie sie zum Beispiel die IG Metall durchgesetzt hat. Bevor Markus Appelmann mit ihrem Ersten Vorsitzenden spricht, blicken wir aber auf die Gewerkschaft selbst, denn auch ihr könnten stürmische Zeiten bevorstehen.

Die IG Metall vor einem richtungsweisenden Jahr: Ihr Erster Vorsitzender Jörg Hofmann wird nach acht Jahren beim Gewerkschaftstag im Oktober nicht nochmal kandidieren. Dem 67-Jährigen könnte mit Christiane Benner erstmals eine Frau an der Spitze der weltweit mitgliederstärksten Gewerkschaft folgen. In der Diskussion ist aber auch eine Doppelspitze – dafür müsste allerdings die Satzung geändert werden. Spätestens im Mai will die IG Metall eine Lösung präsentieren, die derzeit Zweite Vorsitzende bringt sich bereits in Position für mehr Führungsverantwortung.
Christiane Benner, Zweite Vorsitzende IG Metall
„Also die Frage, die habe ich für mich beantwortet, als ich 2011 geschäftsführendes Vorstandsmitglied geworden bin. Wir sind eine Riesenorganisation, es ist eine große Verantwortung, wird sind im Wandel. Natürlich bin ich bereit.“
Außerdem soll der Vorstand von sieben auf fünf Mitglieder verkleinert werden. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Arbeitnehmer aus der IG Metall ausgetreten. Erst im vergangenen halben Jahr gelang es der Gewerkschaft, wieder über 100.000 Mitglieder zu gewinnen. Denn sie konnte Erfolge vorweisen: So hat sie in der Metall- und Elektroindustrie 8,5 Prozent mehr Lohn durchgesetzt. Nun fordert sie in der Textil- und Bekleidungsindustrie 8 Prozent, um die hohe Inflation auszugleichen.
Jörg Hofmann, Vorsitzender IG Metall
„Die Konsumkraft der Haushalte zu erhalten, um die Konjunktur zu stabilisieren, war die richtige Antwort der Tarifpolitik.“
Gleichzeitig räumt Jörg Hofmann ein, die Unternehmen nicht zu hoch zu belasten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb sei es beispielsweise nötig, dass die Energiepreise in Deutschland dauerhaft gedeckelt blieben.
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Markus Appelmann, Moderator: Aber die Unternehmen haben auch noch ein anderes Problem: den Fachkräftemangel. Darüber sprechen wir jetzt in Frankfurt mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Guten Tag. Speaker 1
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender IG Metall: Guten Tag.
Appelmann: Die Unternehmen im Land klagen: „Wir suchen händeringend nach Fachkräften“. Werden Sie mal konkret, wie können Unternehmen mehr Fachkräfte gewinnen?
Hofmann: Wir müssen alles tun, dass nicht Jahr für Jahr Hunderttausende von jungen Menschen ohne Ausbildung uns das schulische System verlassen und wir nicht wissen, wo sie verbleiben. Es ist ein Skandal, dass die Hochschulen bis dato immer noch verweigern, dass sie Statistiken und Aussagen über die Hochschulabbrecher veröffentlichen und sichtbar machen, was und wo die jungen Leute dort bleiben. Es ist vollkommen unzureichend, dass die Kammern jammern über mangelnde Ausbildung und mangelnde Fachkräfte, aber nichts tun, die Ausbildungsqualität zu verbessern und die Abbrecherquote zu reduzieren. Und es ist nahezu unverantwortlich, wenn wir feststellen, unsere Branchen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze trotz Fachkräftemangel nach unten gehen. Das ist der eine Teil. Der zweite Teil: Wir müssen alles tun, damit das Potenzial gerade von gut ausgebildeten Frauen, von gut ausgebildeten Kolleginnen genutzt wird, die heute in der Teilzeitfalle aufgrund mangelnder Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sich bewegen.
Appelmann: Es gibt da aber noch andere Stellschrauben. Wenn wir das Rentenalter zum Beispiel heraufsetzen würden auf 68 oder 70 Jahre, hätten wir auch mehr Fachkräfte. Das finden Sie nicht gut. Warum sperrt sich da die IG Metall?
Hofmann: Wir sperren uns nicht gegen flexible Altersübergänge. Wir sehen nur in einer Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters nichts anderes als eine Absenkung der Rente durch höhere Abschläge. Real bewegen wir uns doch im Rentenzugang deutlich unterhalb der heute vorgesehenen gesetzlichen Altersrente. Weil die Menschen nicht mehr können, weil die Menschen nach 45 Versicherungsjahren sagen: Das reicht auch. Weil die Menschen sehen, die Belastung, die im Arbeitsleben nicht weniger werden – Stress und Hetze nehmen da eher zu, Veränderungsdruck nimmt zu, Qualifizierungsnotwendigkeiten im Alter schwieriger werden, nehmen zu. Deswegen glaube ich, der wichtigste Punkt um Menschen zu ermöglichen, länger im Arbeitsleben zu bleiben, ist nicht das Rumoperieren beim gesetzlichen Rentenzugangsalter und damit der Rentenhöhe, sondern die Bedingungen zu schaffen, die Arbeitsbedingungen zu schaffen, damit Menschen auch in höherem Alter die Chance haben, am Erwerbsleben teilzuhaben.
Appelmann: Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, fordert die Rente mit 63 abzuschaffen, weil der Arbeitsmarkt enorm angespannt sei. Zeigen Sie sich da gesprächsbereit?
Hofmann: Nein. Weil das heißt, nach 45 Versicherungsjahren abschlagsfrei in die Rente zu gehen, ist aus meiner Sicht auch eine Form von sozialer Gerechtigkeit. Das heißt, der oder die, die mit 63 45 Versicherungsjahre hinter sich hat, hat ab 18 eingezahlt in die Kassen. Da haben viele noch Jahre danach unsere Hochschulen besucht, öffentliche Bildung genossen und bei ihren Eltern mitversichert eine günstige Krankenversicherung, während andere eingezahlt haben. Und deswegen bin ich besonders allergisch, wenn Menschen, die durchaus, sagen wir mal, eine solche Erwerbsbiografie haben, jetzt meinen, den Menschen vorzuschreiben, die 45 Jahre gebuckelt haben, eingezahlt haben: “Ihr geht nur in die Rente mit Abschlägen”. Rente mit 63 ist ein Teil von sozialer Gerechtigkeit in diesem Land und Ausgleich, der notwendig ist.
Appelmann: Danke an den IG-Metall-Chef Jörg Hofmann
Hofmann: Ich danke Ihnen.