Hinterbliebene der Ahrtalflut fordern neue Ermittlungen

Vor wenigen Tagen hat der rheinland-pfälzische Landtag über den Abschlussbericht zur Flutkatastrophe im Ahrtal diskutiert. Die Suche nach den politischen Verantwortlichen der Katastrophe ist damit beendet. Vor allem dem damaligen Landrat Jürgen Pföhler wurden massive Versäumnisse nachgewiesen. Auch die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte deshalb ermittelt, letztlich aber nicht genug Gründe für eine Anklage gegen Pföhler gefunden. Enttäuschte Hinterbliebene wollen das weiterhin nicht akzeptieren und haben heute in Koblenz erneut einen Strafprozess gefordert.

Es könne nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft alle 135 Todesfälle über einen Kamm schert, sagt der Flutopferanwalt Christian Hecken. Mit zwei renommierten Professoren für Strafrecht und Hydrologie hole man die rechtsstaatlich versäumte Einzelfallbetrachtung nun nach.
Ingeborg Puppe, Professorin für Strafrecht
„Der Staatsanwalt argumentiert ja wie folgt: Wenn die Leute eine Warnung bekommen hätten, auf die sie ein Recht hatten, ist ja nicht ausgeschlossen, dass sie diese in den Wind geschossen hätten. Aber Tatsache ist, sie haben keine Warnung in den Wind geschlagen.“
Weil sie keine Warnung bekommen hätten. Flutopfer wie Johanna Orth könnten sonst heute noch leben, sind sich alle Beteiligten sicher. Sie verlässt sich in der Flutnacht auf die Warnung der Feuerwehr, nicht in den Keller zu gehen, wähnt sich in ihrer Erdgeschosswohnung in Sicherheit. Dabei sei zu dem Zeitpunkt laut Hochwasserprognose die Lebensgefahr im Erdgeschoss längst bekannt gewesen. Und nach einer weiteren Pegelprognose um 20:45 Uhr hätte jedem laut dem Hydrologen die Katastrophe klar sein müssen.
Erwin Zehe, Professor für Hydrologie
„Man hätte schon sehr klar warnen müssen nach dieser Prognose um 14:22 Uhr, weil das schon deutlich extremer war als 2016 und ich gehe davon aus, dass die Leute das noch gut in Erinnerung haben. Spätestens um 20:45 Uhr hätte man warnen müssen: ‚Rennt, rennt um euer Leben, das ist wirklich mein Ernst.’“
Johanna Orth hätte eine korrekte Warnung ernst genommen sagt ihre Mutter.
Inka Orth, verlor ihre Tochter Johanna in der Flutnacht
„Wenn also Herr Pföhler seine Arbeit gemacht hätte und hätte gute Vorkehrungen getroffen, wäre gewarnt worden, auch evakuiert worden und Johanna hätte überlebt. Das steht auch außer Frage, weil wirklich dieses Video von 20:15 Uhr was sie uns geschickt hat, war nicht nur für sie, sondern auch für uns maßgeblich.“
Ob Menschen Warnungen womöglich ignoriert hätten, sei kein Grund gegen eine Anklage. Eine solche müsse es aus Sicht der Strafrechtsexpertin gegen den Ex-Landrat geben.
Ingeborg Puppe, Professorin für Strafrecht
„Der Vorteil wäre, dass geklärt wird, dass sich niemand, der einen Fehler gemacht hat, damit wirkungsvoll verteidigen kann, dass ein anderer einen Fehler gemacht hätte, wenn er es richtig gemacht hätte. Das sollte festgeschrieben werden. Der BGH ist da schwankend, mal so und mal so, und das ist ein Zustand der beendet werden sollte.“
Christian Hecken, Opferanwalt
„Also, wir haben jetzt den Ministerpräsidenten aufgefordert, innerhalb eines Monats klar eine Entscheidung zu treffen, sich das anzugucken, zu handeln, den Justizminister anzuweisen, dass er jetzt auch seine Aufgabe erfüllt, Verantwortung übernimmt, dass er sich das anguckt, was dort entschieden worden ist von der Staatsanwaltschaft. Diese Erwartung haben wir jetzt, dass der Ministerpräsident seinen Verpflichtungen damit auch gerecht wird.“
Die Hinterbliebenen hoffen weiterhin auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Bevor möglicherweise Straftaten verjähren und bevor das nächste extreme Hochwasser kommt.