Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt
Gewalt gegen Frauen ist, so muss man leider sagen, alltägliche Realität in Deutschland. Für Betroffene gibt es Hilfsangebote wie Frauenhäuser und Beratungsstellen. Die aber sind häufig überlastet, weil sie voll sind oder schlicht zu wenig Geld bekommen. Um ein verlässliches Hilfesystem zu schaffen, hat die Bundesregierung vor einigen Tagen das Gewalthilfegesetz in den Bundestag eingebracht. Es ist aber mehr als fraglich, ob das Gesetz noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl verabschiedet werden kann. Wir haben bei einer Beratungsstelle in Wiesbaden nachgefragt, wie sich ein solches Gesetz in der Praxis auswirken würde. Zunächst aber stellen wir Ihnen eine Frau vor, die aus eigener Erfahrung weiß, wie wichtig solche Anlaufstellen sind.
Es ist schon fast vierzig Jahre her und doch fällt es Sandra noch heute schwer darüber zu sprechen, was ihr als Kind widerfahren ist. Sie ist neun Jahre alt, als ihr Onkel ihr gegenüber das erste Mal sexuell gewalttätig wird. Immer wieder ist es dazu gekommen, über mehrere Jahre hinweg.
Sandra, Betroffene sexualisierter Gewalt
„Ich habe mich sehr zurückgezogen, habe mich sehr eingeigelt. Ich habe immer Probleme damit gehabt, mich von meiner verletzlichen Seite zu zeigen – Gefühle zu zeigen heißt ja irgendwo, seine verletzliche Seite auch anderen zu offenbaren. Umarmungen waren schwierig, solche Körperlichkeiten.“
Jahrzehntelang schleppt Sandra die traumatischen Erinnerungen mit sich herum. Sie erzählt niemandem davon und versucht sie zu verdrängen, um ein möglichst normales Leben führen zu können.
Sandra, Betroffene sexualisierter Gewalt
„Diese Erinnerungen kamen immer wieder hoch und ich spürte, ich muss jetzt mal darüber sprechen. Das habe ich dann in der Therapie gemacht, da habe ich dann eben die erste Situation, die ich mit meinem Onkel erlebt habe, die sehr präsent ist, die habe ich erzählt. Und danach war ich zum Einen sehr erleichtert es endlich mal ausgesprochen zu haben und ich war aber auch ein bisschen wütend – wütend darüber, dass mir das passiert ist, dass ich mich nicht habe wehren können damals.“
Mit ihrer Geschichte ist Sandra nicht allein. Nicht jede Person, die von sexualisierter Gewalt betroffen ist oder war, schafft es aber, sich aus eigener Kraft einen Therapieplatz zu suchen oder gar das Geschehene zur Anzeige zu bringen. In Fällen wie diesen unterstützt der Verein Wildwasser Wiesbaden die Betroffenen und deren Angehörige.
Anika Nagel, Wildwasser Wiesbaden
„Unser Beratungsangebot ist therapienah, aber wir sind eben eine Beratungsstelle. Wir arbeiten im Tempo der Betroffenen und die Betroffenen dürfen selbst bestimmen, was denn der Inhalt der Beratung ist.“
Das kann von einem einfachen unverbindlichen Gespräch bis hin zur Begleitung zu Gerichtsterminen gehen. Die Beratung ist kostenlos. Finanziert wird sie teils durch die öffentliche Hand, teils durch Spenden und Bußgelder. Die Akquise dieser Mittel braucht Zeit – Zeit, die den Beratern für ihre eigentliche Arbeit fehlt. Angesichts der steigenden Nachfrage ein echtes Problem.
Anika Nagel, Wildwasser Wiesbaden
„Mit den Beratungszahlen, die wir jetzt im Moment haben, kommen wir definitiv auch an Kapazitätsgrenzen. Und es wäre natürlich schön, das Angebot könnte entsprechend der Nachfrage auch weiter ausgebaut werden.“
Vor allem im ländlichen Raum gebe es noch wenige Anlaufstellen. Zuschüsse vom Bund, die durch die Einführung des Gewalthilfegesetzes möglich würden, könnten dafür sorgen, dass mehr Betroffene orts- und zeitnahe Hilfe bekämen.
Auch Sandra hätte sich ein solches Angebot gewünscht, damals als ihr sexualisierte Gewalt angetan wurde. Heute setzt sie sich für andere Betroffene ein, hat einen sechswöchigen Spendenlauf durch Rumänien gemacht und den Erlös an Wildwasser Wiesbaden gespendet. 4.200 Euro konnte sie so sammeln – und ein ganz neues Selbstbewusstsein entwickeln.
Sandra, Betroffene sexualisierter Gewalt
„Ich betrachte das inzwischen als meine Mission, dass ich sage, vielleicht ist es mir auch passiert, weil ich stark genug bin das auszuhalten und daraus noch was Positives zu entwickeln und anderen zu helfen, ihnen Mut zu machen und ihnen ein bisschen von meiner Kraft, die ich gewonnen habe, abgeben zu können. Das wäre schön.“