Hessens Verfassungsschutzpräsident im Studio-Talk

Migration und innere Sicherheit – das sind auch Themen im Verfassungsschutzbericht, den der hessische Innenminister gestern in Wiesbaden vorgestellt hat. Spätestens seit der tödlichen Messerattacke von Solingen ist klar: Unsere Sicherheit und Demokratie geraten immer stärker in Gefahr.

Solingen: drei Tote und ein Bekennervideo der Terrorgruppe Islamischer Staat. Der mutmaßlich islamistisch motivierte Messeranschlag verdeutlicht die zunehmend angespannte Sicherheitslage. In Hessen hat sich vergangenes Jahr die Zahl islamistischer Straftaten auf 146 vervierfacht. Konkrete Hinweise auf geplante Anschläge gäbe es hier zwar nicht, Gefahr droht allerdings nicht nur von islamistischer Seite.
Roman Poseck (CDU), Innenminister Hessen
„Das Besondere an unserer Zeit ist, dass es verschiedene Angriffe auf unsere verfassungsmäßige Ordnung gibt: von Rechtsextremen, von Linksextremen und von Islamisten. Und wir müssen allen Phänomenen die gebotene Aufmerksamkeit widmen, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung auch erfolgreich zu verteidigen.“
Vom Rechtsextremismus geht dabei laut hessischem Verfassungsschutz die größte Gefahr aus: Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ist zuletzt um knapp 40 Prozent auf fast 1.500 angestiegen. Jeder zweite Rechtsextreme in Hessen gilt als gewaltorientiert. Aber auch die linksextreme Szene tritt immer militanter auf, vergangenes Jahr stieg die Zahl der Straftaten von 79 auf 138.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und darüber wollen wir jetzt sprechen, deshalb begrüße ich bei mir den hessischen Verfassungsschutzpräsidenten Bernd Neumann. Schön, dass Sie hier sind. Guten Abend.
Bernd Neumann, Präsident Verfassungsschutz Hessen:
Vielen Dank für die Einladung, Frau Dieterle.
Dieterle:
Herr Neumann, der Innenminister hat gestern von einer angespannten Sicherheitslage gesprochen. Was bedeutet das denn für jeden einzelnen von uns?
Neumann:
Der hessische Verfassungsschutz ist im vergangenen Jahr vor große Herausforderung gestellt worden. Wir stellen in den einzelnen Extremismusbereichen starke inhaltliche Veränderungen fest, die uns zwar mit großer Sorge umtreiben. Wir stellen beispielsweise eine Zunahme des gewaltorientierten Extremismus-Personenpotenzials fest. Und wir stellen auf der anderen Seite auch eine deutliche Zunahme der Straf- und Gewalttaten von Extremisten fest.
Dieterle:
Die größte Gefahr geht von Extremisten aus, fast schon egal von welcher Seite. Besorgniserregend vor allem auch für die Stimmung im Land, ist der wachsende Islamismus, teilweise offen zur Schau getragen auf deutschen Straßen. Was beobachten Sie in dieser Szene?
Neumann:
Der Islamismus stellt neben dem Rechtsextremismus sicherlich eine bedeutende Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Aber auch – und das ist insbesondere so zu sehen für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Wir stellen im Islamismus hier eine zunehmende Online-Radikalisierung gerade junger Salafisten fest, teilweise mit einer internationalen Vernetzung, insbesondere über soziale Medien. Hier verfängt offensichtlich die Propaganda islamistischer Terrororganisationen sehr, sehr stark, die in Propaganda-Methoden und den Mitteln ja hier insbesondere zu Straftaten aufrufen und das mit einfachsten Mitteln. Und das verfängt teilweise in der Szene sehr, sehr stark. Und das Ganze, ohne dass wir vorher vielleicht in dem einen oder anderen Fall eine realweltliche Einbindung in die Szene festgestellt haben.
Dieterle:
Der Verfassungsschutz sammelt sämtliche Informationen über Gefahren gegen unsere Demokratie. Ist es auch ein Ziel damit islamistische Terroranschläge oder Terroranschläge allgemein zu verhindern?
Neumann:
Natürlich ist das das Ziel von uns. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern auch schuldig. Dafür setzen wir alle unsere Energie. Und selbstverständlich ist uns das in dem einen oder anderen Fall – ich will jetzt nicht sagen “in vielen Fällen”, da würde ich wahrscheinlich auch übertreiben – aber ist uns das auch gelungen. Der Verfassungsschutz kann natürlich und dafür bitte ich um Verständnis über das, was er da tatsächlich tut, nicht immer reden.
Dieterle:
Schauen wir auf den Rechtsextremismus. Der ist auch weiter auf dem Vormarsch. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist gestiegen und hat einen Höchststand, einen Zehn-Jahres-Höchststand erreicht. Das heißt, auch diese Szene wird radikaler.
Neumann:
Das ist richtig. Wir stellen hier eine weiter zunehmende Gewaltorientierung in der Szene fest. Auch hier eine zunehmende nationale und teilweise auch internationale Vernetzung. Wir stellen fest, dass es Aufrufe und Anstachelung zur Gewaltanwendung über soziale Netzwerke kommt. Und wir stellen hier insbesondere auch eine weiter zunehmende Bedeutung des Kampfsportes in der rechtsextremistischen Szene fest. Dies deshalb, weil man sich auf den sogenannten “Tag X” vorbereiten will, aber auch auf der anderen Seite, um sich zu wappnen für den Kampf gegen den politischen Gegner.
Dieterle:
Wie steht da im Zusammenhang der Linksextremismus? Auch da hat sich die Szene radikalisiert. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten ist gestiegen, aber im Gesamtkontext, wie ordnen Sie das ein?
Neumann:
Auch in der linksextremistischen Szene stellen wir eine zunehmende Radikalisierung fest, ebenfalls eine zunehmende Gewaltbereitschaft. Das ist für uns ein Anlass zu großer Sorge, weil wir hier natürlich immer wieder auch in der Szene feststellen, dass da übrigens auch der Kampfsport eine Rolle spielt, um sich für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu wappnen.
Dieterle:
Und wie unterscheiden sich linksextreme Straftaten eigentlich von Rechtsextremen?
Neumann:
Ja, zunächst mal muss man deutlich sagen, dass natürlich sie sich in der Quantität schon ein Stückweit in den Szenen, in den Phänomenen da unterscheiden. Wir haben im Rechtsextremismus eine deutliche Mehrheit an rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten zu verzeichnen als im linksextremistischen Bereich. Also das überwiegt enorm. Qualitativ kann man sagen, wir stellen im Rechtsextremismus insbesondere hier Körperverletzungsdelikte fest und stellenweise Propaganda-Delikte, sogar teilweise in der Mehrheit aktuell. Im linksextremistischen Bereich – diese Fälle sind anders. Da sind in erster Linie Sachbeschädigungen Straftaten, die wir da feststellen. Und zum anderen sind es auch vereinzelt Körperverletzungsdelikte. Aber hier in erster Linie muss man sagen Widerstandshandlungen, insbesondere gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.
Dieterle:
Insgesamt viel zu tun für den Verfassungsschutz und es klingt so, als würde es nicht weniger werden. Herr Neumann, vielen Dank, dass Sie heute zum Interview bei uns waren.
Neumann:
Ebenfalls herzlichen Dank.