Hessens Flüchtlingskoordinator zum Aktionsplan für Kriegsflüchtlinge

Mit großer Spannung hatte die  Welt die Rede des russischen Präsidenten zum Weltkriegsgedenken heute erwartet. Manche gingen sogar davon aus, dass Putin seine Ansprache nutzen würde, um formal einen Krieg zu erklären. Das war jedoch nicht der Fall. Trotzdem gehen die russischen Angriffe vor allem im Osten der Ukraine unvermindert weiter.  Wir möchten diesen Tag heute nutzen, um über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine in unserer Region zu sprechen. Wie kann die Integration der ukrainischen Flüchtlinge gelingen? Wie können sie schnell einen Job erhalten, wie eine Unterkunft?

5,6 Millionen Ukrainer sollen das Land laut UN-Flüchtlingskommissariat bis Anfang Mai verlassen haben. Über 53.000 davon sind nach Angaben der Bundespolizei in Hessen angekommen. Doch in einem neuen Land ankommen, bedeutet nicht nur, sicheren Boden unter den Füßen zu haben, sondern auch, erfolgreich in die Gesellschaft integriert zu werden. Gelingen soll das mit dem Aktionsplan für die Ukraine-Flüchtlinge, den die hessische Landesregierung letzte Woche vorgestellt hat. Die 17 Punkte des Plans sollen möglichst viele Bereiche des Lebens abdecken und unbürokratische Hilfe ermöglichen.
Mathias Wagner, Bündnis 90/ GRÜNE, Fraktionschef hessischer Landtag
„Es geht bei einer ärztlichen Erstversorgung, bei einer psychosozialen Betreuung los. Es geht natürlich dann weiter über Wohnraum, über Kita, über Schule, Spracherwerb, Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch das Zurechtfinden in einer neuen Gesellschaft – all das wollen wir mit diesem Plan erleichtern.“
Das Land rechnet mit Kosten von über 200 Millionen Euro in diesem Jahr. Um die Kommunen zu unterstützen, sollen sie 3.000 Euro für jeden zugewiesenen Flüchtling erhalten.
Dass die Unterbringung der Ukrainer bislang so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt an den ehrenamtlichen Helfern. Viele Ukrainer kommen bei Privatleuten unter. Da dies keine Dauerlösung ist, will das Land schnell bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Um die Menschen schnell in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, sollen laut Aktionsplan ukrainische Berufsabschlüsse schnell anerkannt werden.
Außerdem sollen die hessischen Tafeln unterstützt werden, denn viele der 58 Einrichtungen im Land sind dem zusätzlichen Andrang ukrainischer Bedürftiger nicht gewachsen. Hier, in der Offenbacher Tafel,  haben sie allein 200 Neukunden aus der Ukraine registriert. Hinzu kommt die Inflation, die immer mehr Menschen zwingt, bei der Tafel einzukaufen.
Christina Sparr, Offenbacher Tafel
„Es ist heftig. Wissen Sie, ich hab 2015 miterlebt. Das ging, das haben wir hingekriegt. Dann kam Corona, dann kam der Lock, da haben wir heftig dran gearbeitet. Das hier, davor hab ich Angst. Ich weiß nicht, ob wir das packen. Uns fehlen monatlich jetzt momentan 5.000 Euro, um weitermachen zu können.“
Tatsächlich beschert eine Privatspende den Tafelmitarbeitern einen glücklichen Wochenstart: 10.000 Euro hat Katja Werner für den guten Zweck gesammelt.
Katja Werner, Spenderin
„Ich habe meinen 60. Geburtstag dazu genutzt, zu sammeln, aufzurufen. Es waren viele Bürger der Stadt Offenbach auf diesem Geburtstag. Ja und es ist eine Summe von 10.000 Euro angekommen.“
Fest steht aber auch: Die einmalige Spende wird das finanzielle Loch nur kurzfristig überbrücken. Wie viel Geld die Tafeln vom Land erhalten, wurde noch nicht beschlossen. Die Aufnahme und Integration der Kriegsflüchtlinge: Sie ist nicht nur ein Kraftakt für Bund, Land und Kommunen, sondern auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer im Land.
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Markus Appelmann, Moderator: Darüber sprechen wir jetzt mit dem heutigen Studiogast, mit dem Chef der Staatskanzlei in Hessen, mit Axel Wintermeyer. Guten Abend.
Axel Wintermeyer, CDU, Chef der Staatskanzlei Hessen: Guten Abend, Herr Appelmann.
Appelmann: Herr Wintermeyer, die hessische Landesregierung will die Tafeln unterstützen. Werden Sie doch mal konkret. Was kann die Tafel in Offenbach erwarten, damit es nicht zum sprichwörtlichen Tabula rasa kommt?
Wintermeyer: Also, zunächst werden die hessischen Tafeln schon mit 1,25 Millionen Euro unterstützt und wir haben in dem Aktionsplan festgehalten, dass wir das aufstocken wollen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Geld alleine reicht nicht. Das Problem der Tafeln sind zu wenig Lebensmittel, weil Lebensmittel ins Ausland gespendet werden, nach Polen, in die Ukraine, und auch die Logistikstruktur ist etwas schwierig bei uns in der Bundesrepublik. Das sehen wir ja, wenn die Regale leer sind, kann man auch keine Lebensmittel spenden.
Appelmann: Täuscht denn der Eindruck, dass der Staat immer mehr auf Ehrenamt setzt, weil die Finanzkraft letztlich fehlt?
Wintermeyer: Nein. Also wir haben im Ukraineplan plus 200 Millionen Euro jetzt in Aussicht gestellt, für die Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge Das ist nicht das Thema, sondern das Thema ist, dass auch die menschliche, die mitmenschliche Hilfe, die von Herzen kommt – ich kann Steuermittel geben, aber ich kann auch Spenden sammeln, wie jetzt eben gerade bei der Dame gesehen und auch ein tolles Erlebnis haben.
Appelmann: Aber wir haben doch eine Obdachlosenhilfe, wir haben Flüchtlingsintegration, wir haben die Tafeln – alles ehrenamtlich. Dabei sagt man immer: Wir leben in einem reichen Land.
Wintermeyer: Wir haben ja Sozialhilfe. SGB II als Beispiel oder Hartz IV. Da sind entsprechende Mittel auch vom Staat zur Verfügung gestellt. Und die Tafeln ersetzen nicht und dürfen auch nicht Sozialleistungen ersetzen, sondern sie können sie ergänzen. Und ich finde, das ist eine sehr mitmenschliche Hilfe und die werden wir weiter und auch stärker unterstützen.
Appelmann: Jetzt ist der Einsatz der Ehrenamtlichen weiter ungebrochen hoch. Glauben Sie nicht, dass dieser sinken wird, wenn der Staat auf Dauer der Daseinsvorsorge nicht nachkommt?
Wintermeyer: Also, ich glaube, dass wir gerade in Hessen ein sehr gut ausgebautes Ehrenamt haben. Über 2 Millionen Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Hessen und wir unterstützen sie jährlich mit 35 Millionen Euro. Also nur das Ehrenamt, das wir unterstützen. Und es ist ganz wichtig, dass man den Menschen auch mal Danke sagt und das Dankeschön, das ist das, was die Menschen auch im Ehrenamt hält. Nicht, dass der Staat ihnen sagt: Mach du Ehrenamt. Das ist der falsche Weg.
Appelmann: Wie wird denn im Vergleich zur letzten großen Flüchtlingsaufnahme – es ist ja gerade eben im Beitrag auch angeklungen – die Integration der ukrainischen Flüchtlinge im Arbeitsmarkt gelingen?
Wintermeyer: Zunächst mal ist es so, dass derzeit etwa 80% Frauen, wenn ich nur die Erwachsenen nehme, kommen. Und diese Frauen sind teilweise sehr gut ausgebildet und sie sind auch Fachkräfte. Und was wir mitbekommen, sie wollen auch arbeiten. Allerdings ist es etwas anders als 2015, weil Kriegsflüchtlinge – wir haben wir heute den 09.05., also den Tag des Ende des Zweiten Weltkrieges – Kriegsflüchtlinge wollen wieder in ihre Heimat zurück. Und insofern versuchen wir, dort mit Integrationsprogrammen zu helfen. Die Wirtschaft ist auch bereit, sie aufzunehmen. Und last but not least müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Kinder in Kindertagesstätten und Schulen kommen. Wir haben derzeit 8700 Kinder an hessischen Schulen aus der Ukraine.
Appelmann: Neben diesen Themen – Arbeit, Integration der Kinder – heißt es aber auch noch, dass wir Wohnraum brauchen. Ein großes Thema, vor allem in den Ballungsgebieten hier bei uns. Wie wollen Sie dem Herr werden?
Wintermeyer: Also zunächst mal ist es so, dass wir etwa 13.400 Unterbringungsplätze als Land haben, wovon noch 8.100 frei sind. Die meisten Kriegsflüchtlinge sind Gott sei Dank privat untergebracht, auch bei Bekannten oder Verwandten, es gibt eine Menge Ukrainerinnen und Ukrainer, die längere Zeit schon in Hessen leben. Aber was sehr wichtig ist, wir müssen die Bauvorschriften ändern, da sind wir auch dabei, um dort zwingendermaßen schnell Wohnraum schaffen zu können in Bestandsgebäuden oder möglicherweise auch Container aufzustellen am Feldrand, um die Menschen auch entsprechend menschenwürdig unterzubringen.
Appelmann: Hessen hat Erfahrung in Sachen Flüchtlinge und in Sachen Integration. 2016 gab es schon ein Aktionsbündnis. Schwarz-Grün zusammen mit der Opposition, der SPD. Dieses Mal wollen sie das alleine angehen als Regierung, als schwarz-grüne Landesregierung in Hessen. Warum brauchen Sie die Opposition diesmal nicht?
Wintermeyer: Also zunächst mal ist Hessen ein gastfreundliches Land und deswegen haben wir auch diesen Aktionsplan aufgelegt. Und dieser Aktionsplan ist eine Einladung natürlich auch an alle gesellschaftlichen Gruppen und selbstverständlich auch an die Opposition des Landes, in Hessen daran mitzuwirken. Und dieser Plan ist nicht abschließend. Dieser Plan wird ständig ergänzt. Der Ministerpräsident hat sehr deutlich gesagt, er ist flexibel, dieser Plan, weil auch die Menschen, die Ukrainerinnen und Ukrainer sehr, sehr mobil sind. Und insofern sind wir für alle Anregungen dankbar und sind auch bereit, dort weiter dran zu arbeiten. Und wenn wir über mehr Geld zum Beispiel reden, dann wollen wir mal sehen, ob die Opposition in Hessen dann auch diese Haushaltsansätze mitträgt. Das ist ja zumindest mal ein ureigenes Recht des Parlamentes.
Appelmann: … sagt der Chef der hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer, heute unser Gast. Danke schön dafür.
Wintermeyer: Danke, Herr Appelmann.