Energiekrise und 9-Euro-Ticket: Wirtschaftsminister Al-Wazir zu Gast im Studio

Fahren Sie noch einmal schnell mit Ihrem Auto auftanken. Heute endet nämlich der Tankrabatt und das ganze dreimonatige Entlastungspaket. Pünktlich dazu hat sich die Bundesregierung in Meseberg zu einer Kabinettsklausur getroffen, um über mögliche neue Entlastungen zu sprechen. Das Ergebnis: Noch keins. Es ist nur klar, dass es weitere Entlastungen geben soll. Mehr nicht. Und das an einem Tag, an dem mal wieder kein russisches Gas nach Deutschland kommt.

Seit heute Morgen ist die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 wieder einmal dicht. Drei Tage lang wird hier voraussichtlich kein Gas fließen, wegen angeblicher Wartungsarbeiten auf russischer Seite. Die Situation spitzt sich also weiter zu – Energie bleibt ein knappes Gut, Strom und Gas werden immer teurer. Die Stadtwerke in Deutschland rechnen mit hohen Zahlungsausfällen. Einige gehen davon aus, dass bis zu 15 Prozent ihrer Kunden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, warnt der Verband Kommunaler Unternehmen heute.
Die Energiesicherheit und mögliche Entlastungen für Bürger und Wirtschaft war auch zentrales Thema bei der Klausurtagung der Bundesregierung auf Schloss Meseberg, die heute zu Ende gegangen ist. Wer sich von dem Treffen allerdings neue, konkrete Antworten auf die Krise erhofft hat, wurde enttäuscht – zu Themen wie der Frage, wie es mit den drei noch laufenden Atomkraftwerken in Deutschland weitergehen soll, kein Wort in der abschließenden Pressekonferenz.
Nur zu einer möglichen Entlastung für Bürger und Unternehmen gab es vorsichtige Ankündigungen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die geplante Gasumlage jetzt anpassen. Diese Zusatzzahlungen der Gaskunden sollen nur noch systemrelevanten Versorgungsunternehmen zugutekommen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. So möchte Habeck verhindern, dass Unternehmen davon profitieren, die durch die Krise hohe Gewinne einfahren. In den vergangenen Tagen hatte es viel Kritik an seinen bisherigen Plänen gegeben.
Auch die Bürger sollen weiterhin entlastet werden.
Christian Lindner, FDP, Bundesfinanzminister
„Wir brauchen ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft und daran wird gearbeitet.“
Wann dieses dritte Entlastungspaket kommen soll, das lässt sich der Bundesfinanzminister heute nicht entlocken. Vorerst müssen die Bürger also allein mit den enormen Preissteigerungen zurechtkommen.
Markus Appelmann, Moderator: Darüber spreche ich jetzt mit dem hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir live im Studio. Guten Abend.
Tarek Al-Wazir, B’90 / Grüne, Wirtschaftsminister Hessen: Hallo, ich grüße Sie.
Appelmann: Das eine Entlastungspaket geht um Mitternacht – Tankrabett, 9-Euro-Ticket -, das neue ist noch gar nicht da. Verstehen Sie die Bürger, die so ein bisschen enttäuscht sind, weil sie gehofft hatten, dass da in Meseberg ein neues Entlastungspaket auf dem Tisch liegt?
Al-Wazir: Also, ich verstehe, dass alle wissen wollen, in welcher Form Bürgerinnen und Bürger auch entlastet werden, weil ich bin ganz sicher, dass wir in diesem Winter, wenn Vorauszahlungen erhöht werden und spätestens nächstes Frühjahr, wenn Abrechnungen kommen, eine Menge Leute haben, die Schwierigkeiten haben werden, die steigenden Preise zu bezahlen.
Aber es wird Sie jetzt wundern, ich bin nicht so kritisch, dass heute nicht wieder ständig alles nach draußen gestochen wurde, Zeitungen und dieser und jener und unterschiedliche Leute was gefordert haben, weil ein Problem in den letzten Wochen war schon, dass die Ampelkoalition auf Bundesebene vor allem in die Öffentlichkeit kommuniziert hat, aber wenig miteinander geredet hat. Und wenn jetzt im Laufe der Woche sich geeinigt wird auf ein Entlastungspaket und dann wirklich Ergebnisse vorgestellt werden und nicht Ideen, dann ist das sicherlich hilfreich.
Und ein zweiter Punkt ist mir ganz besonders wichtig. Wir sollten auch sehen, was wir in den letzten sechs Monaten geschafft haben. Wir sind alle am 24 Februar – Annalena Baerbock hat das damals gesagt – in einer anderen Welt aufgewacht und wir schaffen es, dass Putin uns nicht mehr erpressen kann. Das, was gerade heute wieder passiert, dass angeblich wieder Wartungsarbeiten nötig sind an Nord Stream 1, all das hat uns nicht kirre gemacht, sondern wir sind bei den Gasspeichern über 80% und zwar jetzt schon, am 31. August
Appelmann: Aber es geht an den Geldbeutel, muss man ganz ehrlich sagen. Und deswegen hat es nach tagelanger Kritik Robert Habeck, der Bundeswirtschaftsminister, gesagt: „Ich werde nachbessern bei der Gasumlage“, denn bislang war es so, dass auch Konzerne profitiert hätten, die Milliardengewinne machen. Wie sehr schmerzt es Sie, dass Ihr grüner Vorzeigeminister da so handwerkliche Fehler macht?
Al-Wazir: Also, die größten Mittel gehen an Uniper und die ehemalige Gazprom Germania, das ist von vornherein klar. Das sind 75, 80% des Geldes. Und das sind auch Unternehmen, die würden sonst Insolvenz anmelden müssen …
Appelmann: Aber andere hatten Bedarf angemeldet.
Al-Wazir: … mit schrecklichen Folgen, das muss man auch mal sagen. Das wäre wie in der Finanzkrise, sozusagen Lehman Brothers, das wäre dann Uniper gewesen, mit Folgen hin zu allen Stadtwerken, mit allem, was dazugehört. Ich finde es gut, dass jetzt die Gasumlage so verändert wird, dass diese Trittbrettfahrer, wie Robert Habeck es gesagt hat, vom Trittbrett geschubst werden können.
Aber niemand soll denken, dass dann auf einmal die Gasumlage sich halbieren würde, sondern wir werden einen harten Winter vor uns haben. Es wird viel Geld kosten und wir müssen zielgenau als Politik, als Staat insgesamt diejenigen entlasten, die das nicht stemmen können, die mit den niedrigen Einkommen. Aber wir werden nicht alle Belastungen auffangen, können. Das ist unmöglich, weil dann wäre sonst am Ende der Staat pleite.
Appelmann: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat diese Woche auch eingestanden, dass wir nicht nur ein Gas-, sondern auch ein Stromproblem haben. Das hat er lange Zeit geleugnet. Das bringt uns zum Thema Atomkraftwerke, Verlängerung der Laufzeit. Warum tun sich die Grünen so schwer, das zu kommunizieren? Wir brauchen doch wirklich jede Kilowattstunde.
Al-Wazir: Atom bringt 5 bis 6% des Stroms in Deutschland. Das ist nicht nichts, aber das wird uns nicht retten. Zum Vergleich: Die Erneuerbaren bringen inzwischen über 50%. Und natürlich gibt es Brennstäbe nicht im Supermarkt. Also, auch die kann man nicht so passgenau …
Appelmann: Aber es ging um eine Verlängerung, also um den Streckbetrieb ins nächste Jahr.
Al-Wazir: … um den sogenannten Streckbetrieb und da muss man einfach mal sagen: Wir haben eine rechtliche Lage – am 31.12. endet das Atomgesetz. Das ist seit zehn Jahren klar. Die Sicherheitsüberprüfungen sind nicht gemacht worden, die man eigentlich hätte vor drei Jahren machen müssen. Also, die Vorstellung, dass man das jetzt jahrelang weiterlaufen kann, die ist nicht von dieser Welt. Das wird so nicht kommen. Und wir werden jetzt im Laufe der nächsten Tage diesen „Stresstest Süddeutschland“ bekommen, um dann zu sehen, ob man zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit diesen Strecbetrieb machen sollte. Aber da geht es um drei, vier Monate.
Appelmann: Aber das könnte eine Option sein.
Al-Wazir: Mehr geben die Brennstäbe nicht her, und ich würde auch ausdrücklich sagen, mehr sollten wir dann auf keinen Fall tun. Und ich will erst mal sehen, ob eine solche Maßnahme eigentlich wirklich nötig ist.
Appelmann: Herr Al-Wazir, ein weiteres Thema in Meseberg war das 9-Euro-Ticket und das ist ein großes Thema für Sie, das wir gleich mit Ihnen besprechen. Zunächst einmal blicken wir zurück.
Das 9-Euro-Ticket, es gilt als voller Erfolg. Es wurde 52 Millionen Mal verkauft und hat so viele Fahrgäste wie lange nicht mehr in Busse und Bahnen gelockt.
Michaela Nögel, Kauffrau
„Ich habe es definitiv nicht nur genutzt, ich habe es sehr, sehr, sehr genutzt. Also, ich habe es wirklich viel genutzt und wenn sich noch mehr ergeben hätte, wäre ich auch noch mehr gefahren, definitiv. Also ich fand’s toll.“
Aisha Reinken, Dozentin für Psychologie
„Ich kann mir auch sonst das leisten, mit der Deutschen Bahn zu fahren, aber ich glaube, vielen Leuten, die sich das sonst nicht leisten können, die konnten jetzt zum ersten Mal in den Urlaub fahren oder Freunde besuchen und deswegen war das eine super Sache.“
Laut einer Studie der Verkehrsverbünde hat jede zehnte Fahrt mit dem 9-Euro-Ticket eine Autofahrt ersetzt. Das Ticket hat somit nicht nur zu weniger Staus auf den Straßen geführt, sondern der Studie zufolge auch 1,8 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid eingespart.
Deutlich wurde aber auch, das Schienennetz ist für einen solchen Andrang vielerorts nicht gerüstet. Verspätungen und Zugausfälle sind an der Tagesordnung. Auf touristisch besonders gefragten Strecken quetschen Fahrgäste dicht an dicht, Reisende mit Fahrrädern werden aus den Zügen geworfen oder gar nicht erst mitgenommen.
Doch es gibt auch Orte, in denen das Ticket überhaupt nicht zum Tragen kommt, einfach weil weder Bahn noch Bus in Reichweite sind oder nur selten fahren.
Damit die Verkehrsbetriebe den Bürgern drei Monate lang ein 9-Euro-Ticket zur Verfügung stellen konnten, musste ihnen der Bund einen Zuschuss von insgesamt 2,5 Milliarden Euro zahlen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat einer Fortsetzung der Aktion deshalb schon früh eine Absage erteilt.
Doch aus Sicht des Umweltbundesamts braucht das 9-Euro-Ticket einen Nachfolger. Denn nur wenn sich die öffentlichen Verkehrsmittel langfristig als Alternative zum Auto etablieren, könnten die Klimaziele erreicht werden.
Dirk Messner, Präsident Umweltbundesamt, am 29.08.2022
„Wir müssen zugleich, damit der öffentliche Verkehrssektor dann attraktiv wird, dieses Ticket natürlich kombinieren mit Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Infrastrukturen bei der Bahn insbesondere und mit Investitionen in die Qualität. Und die Investitionen, die stehen noch aus.“
Dirk Messner spricht sich für ein 69-Euro-Ticket aus. Das würde den Staat nach Berechnungen der Behörde jährlich 2 Milliarden Euro kosten.
Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing will ein Nachfolgeticket und einfachere Tarifstrukturen. Doch vor allem die Finanzierung ist noch ein Streitthema zwischen dem Bund und den Ländern.
Und so läuft das 9-Euro-Ticket heute ohne Nachfolger aus. Gleichzeitig werden die Ticketpreise – das hat beispielsweise der Rhein-Main-Verkehrsverbund bereits angekündigt – ab morgen noch deutlich teurer als vor dem Aktionszeitraum.
Appelmann: Das geht deutlich nach oben. 9-Euro-Ticket läuft aus – wie soll das Anschlussticket aussehen und warum ist es noch nicht da?
Al-Wazir: Also, zuallererst mal ich habe mich nicht darüber gewundert, dass das 9-Euro-Ticket so ein großer Erfolg wurde. Und das lag nicht nur am unschlagbaren Preis, sondern vor allem an der Einfachheit. Wir in Hessen, wir haben ja quasi die Flatrate-Tickets erfunden, wir haben das Schülerticket, wir haben das Seniorenticket, wir haben das Landesticket als Jobticket für die Landesbeschäftigten. Das heißt, ungefähr die Hälfte der hessischen Bevölkerung kann jetzt schon umsonst oder für einen Euro am Tag, also quasi mit einem 31-Euro-Ticket, unterwegs sein.
Appelmann: Die anderen nicht.
Al-Wazir: Die anderen nicht. Deswegen habe ich ausdrücklich gesagt: Meine Vision ist immer, dass wir das auch als Bürgerticket für alle hinbekommen. Und deswegen bin ich sehr dafür, dass es ein Nachfolgemodell gibt, dass wir diesen Schwung nutzen. Natürlich – am Ende des Tages gibt es zwei große Punkte, die sind auch angesprochen worden. Wir müssen die Qualität verbessern.
Das heißt, wir brauchen zusätzliches Geld im System, um mehr Züge fahren zu lassen, um die Infrastruktur auszubauen, mehr Busse fahren zu lassen, überhaupt nur den bestehenden Betrieb zu sichern bei steigenden Energiekosten, die trifft ja auch den Staat, trifft ja auch die Betriebe Und zweitens: Wir müssen dann zusätzliches Geld auch mobilisieren, um die Fahrkarten quasi billiger machen zu können.
Das wird nicht bei 9 € landen. Ich habe vorgeschlagen, 31 € für Bedürftige, 69 € für alle anderen. Das würde ungefähr die 2 Milliarden € kosten. Aber wir brauchen noch zusätzlich Geld für den Betrieb, weil es nützt das schönste Ticket nichts, wenn der Bus nicht mehr kommt. Darüber verhandeln wir mit dem Bund. Ich habe jetzt heute wahrgenommen, dass Christian Lindner erstmals gesagt hat, er könnte sich vorstellen, dass man was gibt.
Aus meiner Sicht braucht man beides. Man braucht mehr Geld für Betrieb und eben ein Folgeticket.
Appelmann: Wir haben volle Züge gehabt, wir haben zahlreiche Verspätungen gehabt. Also, das war nicht die ganz große Werbung für die Bahn. Und gerade in den ländlichen Gebieten, wir haben es gerade eben angesprochen, sind die Probleme noch immens. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?
Al-Wazir: Ja, wir müssen mehr investieren in den ÖPNV und da muss man immer sagen, da ist eine Fahrpreissenkung erst mal kontraproduktiv, weil es nämlich dann heißt, dass weniger Geld zur Verfügung steht. Deswegen bestehe ich ja darauf, dass es beides geben muss. Aber man muss auch sagen, es gibt deutliche Unterschiede. Hessen ist auf Platz zwei, was die Erreichbarkeit angeht im ländlichen Raum, Bayern auf dem vorletzten Platz. Also es hängt nicht nur daran, ob ein Land reich oder arm ist, es hängt auch davon ab, ob wirklich investiert wird. Und wenn man das will, dann geht das auch.
Aber wir brauchen diese zusätzlichen Mittel und da muss der Bund in die Verantwortung gehen, weil der Regionalverkehr ist die Aufgabe des Bundes. Die Länder führen nur aus.
Appelmann: Sie werfen den Blick wieder Richtung Bund. Wann wird jetzt gesprochen werden? Land und Bund?
Al-Wazir: Wir haben am 19. September eine Sonder-Verkehrsministerkonferenz. Wir diskutieren auch mit dem Bund, aber wir wollen erst mal sagen, auch als Teil des Entlastungspaketes vom Bund ein Angebot auf dem Tisch haben, was er denn bereit wäre zu geben. Und dann muss man schauen, was damit geht. Das bestimmt dann auch im Zweifel die Höhe des Preises. Aber es muss auch mehr Mittel für das Angebot geben, weil nur das Ticket alleine reicht nicht.
Appelmann: Tarek Al-Wazir ist für ein 69-Euro-Ticket. Danke, dass Sie heute live bei uns im Studio waren.
Al-Wazir: Gerne.