Diskussionen über Impfpflicht – im Interview: Prof. Steffen Augsberg

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier spricht sich klar für eine Impflicht für alle aus. Denn alle bisherigen Versuche, die Impfquote zu steigern, seien gescheitert. Aber ist die Impfpflicht vereinbar mit dem Grundgesetz? Dazu Professor Steffen Augsberg, Mitglied des Ethikrates und Verfassungsrechtler an der Universität Gießen.

Markus Appelmann, Moderator: Guten Tag, Herr Augsberg.
Prof. Steffen Augsberg, Rechtswissenschaftler Universität Gießen: Guten Tag, Herr Appelmann.
Appelmann: Halten Sie eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus verfassungsrechtlich für möglich?
Augsberg: Naja, möglich ist das schon. Das hängt sicherlich von der konkreten Ausgestaltung einerseits ab und natürlich auch davon, dass man belegt, dass andere, mildere Maßnahmen nicht effektiv genug sind. Das ist ein bisschen problematisch mit Blick auf die durchaus, sagen wir mal, „suboptimale Kampagne“, die wir gehabt haben, was das Impfen angeht.
Appelmann: Könnten Sie das noch etwas genauer erläutern. Das klingt sehr kompliziert eine Impfpflicht schnell einführen zu wollen?
Augsberg: Das ist sicherlich auch nicht einfach. Das hängt ja schon damit zusammen, dass es nicht die „eine“ Impfpflicht gibt, sondern man sich das in unterschiedlicher Form mit Blick auf unterschiedliche Personengruppen und auch mit unterschiedlichen Sanktionen vorstellen kann. Das heißt, da sind wir eigentlich in gewisser Weise erst am Anfang des Nachdenkens darüber, was man da eigentlich haben möchte. Und zum anderen ist das natürlich eine gewisse Eskalationslogik, die dem da zugrunde liegt. Also wenn ich besonders viele Personen mit besonders starken Sanktionen erfassen möchte, dann muss ich erklären, dass mildere Mittel, dass also weniger Personen und weniger einschneidende Sanktionen, nicht erfolgversprechend sind.
Appelmann: Wenn eine allgemeine Impflicht eingeführt werden würde, kann die Politik dann die Bürger zu lebenslangen Booster-Impfungen verpflichten oder muss dann immer wieder neu abgewogen werden?
Augsberg: Das muss auf jeden Fall neu abgewogen werden. Wir müssen uns natürlich auch darüber klar werden, was wir eigentlich erreichen wollen damit. Also, geht es uns tatsächlich darum, das Gesundheitssystem davor zu schützen, dass es kollabiert, dass die Intensivstation nicht überlaufen? Dann müssen wir vor allen Dingen diejenigen in den Blick nehmen, die tatsächlich auch gefährdet sind, auf den Intensivstationen zu landen. Dann gibt es aber umgekehrt auch Personengruppen, bei denen dieses Risiko doch relativ oder sogar sehr gering ist.
Appelmann: Abschließend: In Österreich startet die Impfpflicht am 1. Februar. Sie denken nicht, dass wir in Deutschland so schnell eine Impfpflicht haben werden!
Augsberg: Also, ich finde ehrlicherweise die ganze Debatte im Moment etwas verfehlt, genau weil das noch so lange bräuchte. Und zwar nicht nur, weil die Gesetzgebung ihre Zeit braucht, sondern vor allen Dingen auch, weil die Impfungen ja Zeit brauchen. Wir brauchen eigentlich im Moment Maßnahmen, die konkret gegen die vierte Welle gerichtet sind und nicht Überlegungen darüber, was wir denn im kommenden Frühjahr eigentlich machen könnten.
Appelmann: Danke an den Gießener Verfassungsrechtler Professor Steffen Augsberg.
Augsberg: Danke Ihnen!