Digitalisierung der Verwaltung geht kaum voran

Im Jahre 2017 hatten sich Bund und Länder per Gesetz dazu verpflichtet Verwaltungsdienstleistungen online anzubieten. Das Onlinezugangsgesetz, kurz OZG, sollte unkompliziert und nutzerfreundlich sein. Kein Problem für ein Land wie Deutschland, das in Sachen Digitalisierung ganz vorne mithalten will. Das dachte man zumindest. Denn jetzt – ein paar Jahre später – muss man feststellen: Die Ziele der Politik wurden meilenweit verfehlt. Das hat auch unser Redakteur Robert Murmann zu spüren bekommen.

Ich bin vor ein paar Wochen innerhalb von Mainz umgezogen. Anstatt mich wie früher durch Berge von Papier und langwierige Amtsbesuche zu quälen, wollte ich dieses Mal alles digital erledigen.
Robert Murmann, Redakteur 17:30 Sat.1 live
„Hier auf der Website der Stadt kann ich meine neue Adresse ganz leicht eingeben. Aber auch wenn ich meine Adresse online ändern konnte, für den Aufkleber auf meinem Personalausweis muss ich trotzdem noch aufs Amt fahren. Hier steht außerdem, dass ich auch mein Auto online ummelden kann. Wenn ich dann allerdings das entsprechende Portal aufrufe, sind von den acht möglichen Dienstleistungen nur vier zu finden. Das heißt, ich muss am Ende doch persönlich auf die Zulassungsstelle.“
Dabei sollten doch mit dem Onlinezugangsgesetz genau diese Gänge wegfallen, alles sollte einfacher werden.
Mit dem Onlinezugangsgesetz haben sich Bund und Länder 2017 verpflichtet, in Zukunft Verwaltungsdienstleitungen flächendeckend digital zur Verfügung zu stellen.
Hierfür sollten die über 6.000 Verwaltungsdienstleistungen zunächst in 575 Leistungsbündel geschnürt werden, welche dann online zugänglich gemacht werden sollten. Das Ganze sollte laut Gesetz bis Ende 2022 umgesetzt sein.
Doch bereits Mitte des vergangenen Jahres war klar, dass das nicht zu schaffen ist. Deshalb haben Bund und Länder beschlossen von den geplanten 575 Leistungsbündeln zunächst erst mal 35 umzusetzen.
Man muss kein Rechenkünstler sein, um zu erkennen, wie groß die Lücke ist, die da klafft.
Das ärgert viele Privatpersonen wie mich, aber auch Unternehmer in Hessen und Rheinland-Pfalz. Einige davon sind in der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe, kurz DSAG,  organisiert – einem der größten Anwenderverbände der Welt. Für Fachvorstand Hermann-Josef Haag ist die bisherige Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ein Armutszeugnis.
Hermann-Josef Haag, Fachvorstand DSAG
„Gerade bei den Unternehmen ist es so, dass ganz viele Verwaltungsleistungen immer noch das persönliche Erscheinen notwendig machen. Das Termine vereinbart werden, die sehr schwierig zu bekommen sind, und demnach ist es natürlich für die Unternehmen ein sehr großer Aufwand und Kostentreiber, diese Prozesse dann mit den Verwaltungen abzuschließen. Und hier war natürlich die Erwartungshaltung, dass wir wesentlich schneller die Prozesse abbilden und auch wesentlich effizienter. Und da sind wir einfach noch nicht.“
In Rheinland-Pfalz ist Alexander Schweitzer als Minister für Digitales für die Umsetzung verantwortlich. Er betont zwar, dass man in Rheinland-Pfalz bereits 60 Prozent der angestrebten Leistungen digitalisiert habe und damit weiter sei, als die meisten anderen Bundesländer – trotzdem sieht er bei der Umsetzung des OZG viele Schwachstellen.
Alexander Schweitzer, SPD, Digitalisierungsminister Rheinland-Pfalz
„Man hat nicht gesagt: ‚Lass uns mal ein paar Leistungen digitalisieren, dann schauen wir wie es funktioniert, sind auch bereit mal Rückschläge zu akzeptieren und Menschen lassen sich davon begeistern, andere ahmen uns nach‘ – sondern man hat gesagt: ‚Wir werden alles sehr, sehr gründlich machen. Alle Leistungen werden gleichzeitig digitalisiert. Prioritäten werden wir gar nicht einlegen, sondern es muss alles gleichzeitig klappen und am Ende hat alles ganz langsam in Schritten überhaupt nur noch nach vorne bewegt‘. Also ein deutsches, ein sehr gründliches Gesetz, aber am Ende kein erfolgreiches Gesetz.“
Es gehe allerdings nicht nur um den technischen Wandel, die Digitalisierung müsse auch in die Köpfe der Verwaltungsangestellten, betont der Minister noch. Einen Zeitplan will er nicht nennen.
Die Digitalisierung von Verwaltung und Behörden bleibt in Deutschland also weiterhin eine Dauerbaustelle – und eine endgültige Übertragung aller Leistungen in den digitalen Raum bleibt Zukunftsmusik.
Für mich und viele andere bedeutet das: Für so manchen Arbeitsschritt in den digital bearbeiteten Unterlagen muss man dann doch noch mal persönlich los.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Ja, es ist kein ganz unkompliziertes Thema. Deswegen wollen wir das Ganze jetzt noch mal vertiefen. Und das tun wir mit dem innenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und dem Digitalpolitiker Manuel Höferlin. Guten Abend.
Manuel Höferlin, FDP, Bundestagsabgeordneter: Guten Abend.
Dieterle: Ja, Herr Höferlin, viele Kritiker sagen, das Onlinezugangsgesetz sei krachend gescheitert. Sehen Sie das auch so?
Höferlin: Die Menschen können nicht zufrieden sein mit dem, was in den letzten Jahren geschaffen wurde. Krachend gescheitert würde ich es nicht nennen, aber es ist viel zu langsam und viel zu zäh. Und wir haben in der Ampelkoalition im Bund feststellen müssen, dass das, was die Vorgängerregierung zu langsam und nicht gut koordiniert gestartet hat, wir in einem Jahr nicht aufholen können. Und deswegen müssen wir jetzt Tempo machen. Deswegen ist ein weiteres Gesetz in Vorbereitung und es sind auch Abstimmungen mit den Bundesländern in Vorbereitung. Und manche Bundesländer sind ja weiter, manche nicht.
Dieterle: Da verpflichtet sich die Politik per Gesetz zu etwas und verfehlt dann diese Ziele meilenweit. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Höferlin: Ich glaube, es ist der falsche Punkt, die Verantwortung bei einem Einzelnen zu suchen. Gerade bei diesem Verfahren. Weil Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen gefordert sind, die Verwaltungen zu digitalisieren und den Zugang dazu zu digitalisieren, Das Onlinezugangsgesetz hat nur den Zugang digitalisiert. Innerhalb der Verwaltungen fehlt auch noch ganz viel. Es hilft nichts, wenn ich digital einen Antrag stellen kann und der Antrag dann ausgedruckt und abgeheftet wird. Also es ist an vielen Stellen notwendig, viel zu machen und wir müssen Tempo gewinnen. Und deswegen ist es notwendig, nicht irgendwie wieder ein Enddatum zu definieren, so wie das in der Vergangenheit von Herrn Minister Seehofer gemacht wurde, sondern dass wir Meilensteine entwickeln und die Dinge, die oft benutzt werden in der Verwaltung als erstes umsetzen, sodass die Menschen Lust bekommen, auch digitale Verwaltungsanwendungen zu benutzen.
Dieterle: Im internationalen Vergleich können wir doch schon lange nicht mehr mit den anderen Ländern mithalten. Was machen die anderen Länder denn besser als wir?
Höferlin: Es wird ja immer gerne das Land Estland genommen, so als Masterbeispiel der Digitalisierung. Estland ist kleiner, viel kleiner, ist nicht föderal strukturiert. Also wenn wir uns vergleichen, dann vielleicht eher mit Österreich. Auch Österreich ist weiter und schneller. Und man muss einfach sagen, die haben es in der Vergangenheit besser gemacht. Und in den letzten Jahren, in den letzten fünf Jahren ist vieles nicht richtig gelaufen. Es gab kein richtiges digitales Projektmanagement, es gibt auch manchmal Hemmnisse bei den Ländern und den Kommunen, weil wir als Bundespolitik können mit einem Onlinezugangsgesetz nicht den Kommunen vorschreiben, wie sie digitalisieren müssen, sondern sie müssen es auch wollen. Und deswegen gibt es so große Unterschiede bei den einzelnen Kommunen, bei den einzelnen Städten, wo etwas bereits möglich ist und wo etwas nicht möglich ist.
Dieterle: Lassen Sie uns jetzt mal in die Zukunft schauen. Was muss jetzt passieren? Was muss die Ampelkoalition jetzt umsetzen?
Höferlin: Wir haben gerade ein Onlinezugangsgesetz 2.0 in Vorbereitung. Das an sich sagt noch nicht wirklich was über den Wert aus und über den Erfolg aus. Bund, Länder und Kommunen müssen jetzt gemeinsam einen Fahrplan entwickeln, wie in einem IT-Projekt üblich, meilensteinweise voranzugehen. Ich würde mir wünschen, dass wir auch offene Strukturen schaffen, sodass wenn irgendwo etwas entwickelt wird, es an einer anderen Stelle gleich kopiert werden kann. Es macht keinen Sinn, dass jede Kommune ihre eigene Software neu entwickelt, das ist angelegt im Onlinezgangsgesetz bereits jetzt schon. Das muss stärker gelebt werden. Und dann wünsche ich mir eine Priorisierung, dass die Verwaltungsdienstleistungen, die vor Ort am meisten, am häufigsten benutzt werden, auch am schnellsten umgesetzt werden. Und dann gibt es so begleitende Maßnahmen. Wir wollen den Personalausweis in einer App, eine Wallet auf dem Smartphone übertragen.
Das hilft, weil dann hat man wieder einen einfachen Zugang. Wir brauchen ein Portal, in dem Identitäten nutzbar sind, auch über die Bundeslandsgrenzen hinweg, dass, wenn ich das Bundesland wechsle, nicht woanders wieder neuen Zugang brauche. Also diese Dinge – man könnte auch sagen, die Verwaltung muss ihre Dienstleistungen einfach sexy anbieten, dass die Menschen Lust bekommen, sie zu nutzen. Und ich glaube, dann ist beides da, das Angebot und auch der Nutzen. Und es wird dann auch benutzt und dann kommen auch weiter.
Dieterle: Ich habe auch schon rausgehört, also eine richtige zeitliche Festlegung können Sie da gar nicht machen, aber haben Sie eine leise Ahnung, von welchem Zeitraum wir da sprechen?
Höferlin: Wir müssen so schnell wie möglich, am liebsten in dieser Legislaturperiode – als Bundespolitiker wünscht man sich immer seine Projekte wesentlich vorangekommen in der eigenen Legislaturperiode. Ich sehe da gute Chancen, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren wesentliche Punkte voranbringen, also die Leistungen, die vor Ort dauernd benutzt werden – in Ihrem Beitrag das Ummelden; gerade beim KFZ-Bereich ist es nicht einzusehen, dass das nicht schneller geht. Aber es gibt noch viele, viele andere Sachen, so einfache Dinge wie Anwohnerparkausweise, auch da muss man teilweise noch vor Ort gehen und das sind so die die Massenverwaltungsdienstleistungen, die man sehr einfach digitalisieren kann. Eigentlich haben wir in Deutschland tolle Voraussetzungen. Wir haben sehr streng reglementierte Verwaltung mit klaren Entscheidungswegen, die perfekte Voraussetzung, das zu digitalisieren. Die Technik haben wir, jetzt müssen wir es endlich machen.
Dieterle: Es bleibt die Mammutaufgabe für die Zukunft.
Höferlin: So ist es.
Dieterle: Herr Höferlin, vielen Dank, dass Sie heute hier waren.
Höferlin: Ich danke Ihnen.