Die Corona-Lage: Im Interview: Der rheinland-pfälzische Impfkoordinator

Setzen Sie noch regelmäßig eine Maske auf? Seit Anfang des Monats sind die Corona-Schutzmaßnahmen vielerorts passé. Die aktuelle Pandemie-Bekämpfung, sie ist vornehmlich von eigenverantwortlichen Bürgern geprägt. Doch mit dem schönen Wetter kommt die Leichtigkeit und der ein oder andere mag sich fragen: Ist Corona jetzt vorbei?

Zugegeben – bei strahlendem Sonnenschein fühlt es sich fast so an. Die warme Jahreszeit steht vor der Tür, wir treffen uns zunehmend draußen. Corona-Schutzmaßnahmen gibt es kaum noch.
Wir fragen nach beim Mainzer Virologen Bodo Plachter, wiegen wir uns in trügerischer Sicherheit?
Prof. Bodo Plachter, Virologe Unimedizin Mainz
„Nach wie vor infizieren sich relativ viele Menschen und nach wie vor sind auch in den Kliniken noch eine erhebliche Anzahl an Patienten, die zwar zum Teil auch mit Corona behandelt werden – also wegen einer Ursache –, aber auch durchaus Patienten, die wegen Corona im Krankenhaus sind. Das heißt, vorbei ist Corona natürlich noch nicht.“
Doch seit es keine Zugangsbeschränkungen mehr gibt, sind die Schlangen vor den Teststellen verschwunden und auch die Nachfrage nach Corona-Schutzimpfungen sinkt.
Nach Zahlen des Hausärzteverbandes haben sich in der ersten Aprilwoche 33.172 Menschen in rheinland-pfälzischen Arztpraxen gegen Corona impfen lassen. Zum Vergleich: Im Dezember haben die niedergelassenen Ärzte noch 160.000 Menschen pro Woche geimpft.
Auch die Impfzentren hatten im Dezember noch Hochkonjunktur. Hier in Ingelheim standen die Menschen Schlange, um sich ihr dritte Impfung – den sogenannten Booster – abzuholen. Heute ist das Ingelheimer Impfzentrum nahezu verwaist. Am kommenden Montag schließt es seine Pforten endgültig.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wirbt unter anderem auf Twitter unermüdlich dafür, das Coronavirus noch nicht abzuschreiben. Mit Blick auf den Herbst warnt er sogar vor einer möglichen Killervariante.
Eine Warnung, die Bodo Plachter für etwas übertrieben hält.
Prof. Bodo Plachter, Virologe Unimedizin Mainz
„Wir wissen nicht, was im Herbst sein wird. Und natürlich können immer wieder auch Varianten auftreten, die wieder verstärkt Krankheiten hervorrufen, allerdings ist es eher wahrscheinlich, dass Varianten sich durchsetzen, die weniger stark krank machen. Das heißt also, diese Begrifflichkeit ‚Killervariante‘ ist sicherlich übertrieben, aber man muss genau beobachten, wie sich eben diese Viren entwickeln und dann eben unter Umständen dann darauf reagieren.“
Den Sommer können wir laut Plachter relativ entspannt genießen. Trotzdem empfiehlt der Virologe jetzt noch an der ein oder anderen Schutzmaßnahme festzuhalten. Denn auch das erhöhe die Chance, dass das Coronavirus im nächsten Winter so langsam zur Ruhe kommt.
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Markus Appelmann, Moderator: Viel, über das wir jetzt mit dem Landesimpfkoordinator in Rheinland Pfalz sprechen können, mit Daniel Stich. Einen schönen guten Abend!
Daniel Stich, SPD, Impfkoordinator RLP: Guten Abend!
Appelmann: Steigende Temperaturen, massive Corona-Lockerungen – das Leben fühlt sich wieder einigermaßen entspannt an. Ist das ein Trugschluss? Denn die Corona Zahlen sind ja, wenn sie auch nicht so im Fokus sind, immer noch hoch.
Stich. Es ist schon so, dass wir eine Entspannung spüren, auch in den Zahlen, dass wir vor einigen Wochen noch bei 1050 waren in der Inzidenz, jetzt bei 650,
dass gottseidank auch die Belastung in den Krankenhäusern abgenommen hat. Wir waren vor einiger Zeit bei einer Hospitalisierungsinzidenz von ungefähr neun, das heißt neun von 100.000 Menschen sind ins Krankenhaus gekommen. Wir liegen jetzt bei drei. Das sind zwei Zahlen die illustrieren, dass die Situation sich entspannt hat. Gott sei Dank. Und trotzdem, es ist ein Trugschluss zu glauben, Corona ist rum.
Wir bereiten uns jetzt schon vor auf Herbst und Winter, weil wir wissen, wir haben mit neuen Mutationen, mit neuen Wellen auch zu rechnen. Aber es ist schön, dass wir so starten können in diesen Frühling und in diesen Sommer.
Appelmann: Vorbereitung ist ein gutes Stichwort. Die Impfgelegenheiten werden derzeit weniger. Mainz-Bingen schließt, haben wir gerade gesehen, Worms auch. Sind denn die in der Hinterhand sozusagen für den Herbst, wenn wieder Millionen Impfungen anstehen? Können die die Pforten wieder öffnen?
Stich: Also, uns ist eins wichtig und wir haben sehr viel Druck gemacht beim Bund, dass wir jetzt auch die Zusage haben, dass der Bund sich auch zukünftig bei der hälftigen Finanzierung beteiligen wird. Und wir werden jetzt sicherstellen, dass wir ein ergänzendes staatliches Angebot haben, in mobiler Form, aber auch in stationärer Form, sprich in Impfzentrumsform, das wir unterstützen können, wenn wir wieder sehr, sehr schnell viele Menschen impfen müssen. Das ist gewährleistet.
Da haben wir jetzt erst vor 14 Tagen die Zusage bekommen und wir sind in engem Austausch mit den Landrätinnen und Landräten, das jetzt so übers Land zu legen, dass wir überall ein gutes Angebot haben. Das heißt, keine Bürgerin, kein Bürger muss Sorge haben, dass zukünftig irgendwas wegfällt. Im Gegenteil, wir haben eine so breite Impfkampagne wie noch nie und das werden die Menschen dann auch spüren, wenn es wirklich notwendig sein sollte.
Appelmann: Einige Impfwillige warten seit Wochen auf den Impfstoff, der an die Omikron-Variante angepasst ist. Er sollte erst im März kommen, dann im April, dann im Mai und jetzt kommt er wohl schlussendlich im Herbst. Warum dauert dieser Genehmigungsprozess so lange und bringt dann die Omikron-Anpassung überhaupt noch was?
Stich: Es ist schon so, dass wir auch früher damit gerechnet und auch gehofft haben, weil viele, die jetzt eigentlich für eine vierte Impfung auch fällig wären – es gibt ja die STIKOEmpfehlung für die vierte Impfung, insbesondere bei älteren Menschen auch mit Vorerkrankungen – und viele haben auf diesen neuen Impfstoff gewartet. Ja, es ist so, es wird geprüft. Sehr, sehr intensiv werden gehofft, dass es schneller geht, aber es hat auch Gründe, dass nur ein zugelassener Impfstoff eben auch verabreicht werden kann. Das ist jetzt so, das können wir jetzt nicht ändern. Und trotzdem, die Impfstoffe, die wir jetzt haben, wirken – in der Hoffnung, die Impfstoffe, die noch kommen werden, wirken noch besser.
Und wenn es im September losgehen könnte mit den neuen Impfstoffen, kommt es noch rechtzeitig mit Blick auf die nächste Welle, die wir im Oktober / November auch erwarten.
Appelmann: Thema „Isolation“: Die Gesundheitsminister der Länder wollen sich in den nächsten Tagen zusammensetzen. Es soll eine neue Isolationsregelung geben. Bayern hat jetzt schon runtergeschraubt von zehn auf fünf Tage. Wird sich da Rheinland Pfalz auch einsortieren?
Stich: Wir haben ja schon einiges gelockert in den letzten 14 Tagen, da haben wir schon ein anderes Reglement als noch vor einigen Wochen und Monaten. Haben die Arbeitsquarantäne beispielsweise eingeführt und auch wir sind im engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Bundesländer und werden auch nächste Woche dazu uns noch mal äußern wollen, Auch wir beobachten die Lage und werden dementsprechend angepasst auch neue Vorschläge unterbreiten.
Appelmann: Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich diese Woche zu Wort gemeldet und er hat von einer möglichen „Killervariante“ im Herbst gesprochen. Ist das noch Warnung oder ist das schon Panikmache? Gibt es da wissenschaftliche Erkenntnisse?
Stich: Also ich kann auch nur davor warnen, dass wir … oder für diejenigen, die sich nicht haben Impfen lassen, dass sie dringend sich impfen lassen sollten. Impfen ist der einzige wirkliche Schutz vor Hospitalisierung, vor schweren Verläufen und auch vor Tod. Das ist nach wie vor richtig und deswegen ist es auch richtig, nach wie vor zu warnen an diejenigen, die bislang noch ungeimpft sind. Den Begriff der „Killer-Mutante“ hätte ich mir jetzt nicht zu eigen gemacht. Es ist ein sehr drastischer Begriff, aber es reicht, glaube ich, auch so, dass allen klar sein muss: Diejenigen, die nicht geimpft sind, haben eine sehr, sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes bis hin zum Tod.
Das muss jeder für sich entscheiden. Ich kann nur dringend davor warnen und dafür werben, sich impfen zu lassen.
Appelmann: Wenn die Wortwahl vielleicht auch ein bisschen zu drastisch war, danke an den Landesimpfkoordinator, an Daniel Stich.
Stich: Sehr gerne.