Das SAT.1-Sommerinterview mit Malu Dreyer (SPD)

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer stellt sich auf unserer Dachterrasse den Fragen von Markus Appelmann.

Markus Appelmann, Moderator: Die Sonne ist da und Sie sind es auch. Herzlich Willkommen zu den Sommerinterviews in 17:30 SAT.1 LIVE. Schön, dass Sie dabei sind. Die Uhr tickt. In wenigen Tagen ist klar, ob das russische Gas abgestellt bleibt. Es drohen wirtschaftliche Schäden und soziale Verwerfungen. Das ist ein Thema heute im Sommerinterview. Wenige Tage nach dem Jahrestag der Flutkatastrophe an der Ahr, wollen wir aber auch darüber sprechen. Mit unserem heutigen Gast, mit der Ministerpräsidentin des Landes Rheinland Pfalz, Malu Dreyer. Herzlich willkommen!
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz: Dankeschön, Herr Appelmann! Schönen guten Tag.
Appelmann: Liebe Frau Dreyer, bevor wir loslegen, schauen wir mal ganz kurz, denn bald naht schon ein Jubiläum bei Malu Dreyer.
Im kommenden Jahr ist Malu Dreyer zehn Jahre Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Sie hat sich zu einem Stabilitätsfaktor im Land entwickelt und in der SPD, die sie 2019 für einige Monate kommissarisch führt. Der Versuchung, in die Bundespolitik zu wechseln, ist sie nicht erlegen. Dafür beißt sich die Opposition in Rheinland Pfalz an ihr die Zähne aus. Zweimal gewinnt sie die Landtagswahl deutlich. Dank einer erfolgreichen Aufholjagd in den letzten Wochen. Dabei hat sie mit der Ampelkoalition eine erfolgreiche Blaupause für den Bund geliefert. Auch wenn die vergangenen Monate nicht einfach waren. Malu Dreyer legt Wert darauf, dass es auch in schweren Zeiten schöne Momente gibt. Der Rheinland-Pfalz-Tag und das Landesjubiläum sollten den Bürgern solche schönen Momente bescheren.
Appelmann: Ja, da haben wir Sie in lockerer Atmosphäre gerade eben gesehen. Ihnen war wichtig, dieses Landesjubiläum zu feiern. Wie schwierig ist es denn umzuswitchen, zwischen der Feierlaune einerseits und den vielen Krisen, die wir haben?
Dreyer: Das ist sicherlich nicht ganz einfach, aber man hat bei diesem Jubiläum wirklich gemerkt, dass die Menschen sich gesehnt haben nach Begegnung und auch nach Feiern und auch nach Unbeschwertheit. Das bedeutet nie, man hat es am Rheinland-Pfalz-Tag gesehen, dass die Krisen, der Ukraine-Krieg beispielsweise, oder die Ahrtal-Krise, dass die in Vergessenheit geraten. Sondern sie finden auch immer wieder irgendwo ihren Platz. Aber insgesamt ist es doch sehr wichtig, dass wir Menschen uns begegnen können. Und 75 Jahre Rheinland-Pfalz, darauf kann man auch stolz sein. Dieses Land hat sich wahnsinnig toll entwickelt. Insofern war es gut, dass wir drei Tage lang wirklich auch mit vielen, vielen Menschen hier in Mainz feiern konnten.
Appelmann: Wir haben gerade auch die Krisen angesprochen. Lassen Sie uns im Ahrtal starten. Da war vor kurzem Jahrestag. Bei dieser Jahrhundertflut sind 134 Menschen ums Leben gekommen. Und der Grünen-Fraktionschef im rheinland-pfälzischen Landtag, Bernhard Braun, war zum Jahrestag zum Sommerinterview hier bei uns auf der Dachterrasse und er hat gesagt, angesichts der dramatischen Bilder, dass er teilweise immer noch schlecht schläft. Geht es Ihnen auch so?
Dreyer: Ja, jetzt gerade um diesen Gedenktag herum. Da kann man gar nicht wirklich ein Auge zumachen. Es ist einfach so einschneidend für unser Land, diese schreckliche Naturkatastrophe. Wenn man auf ganz Rheinland-Pfalz schaut, sind es auch 135 Opfer, die diese Flut gekostet hat. Und es ist einfach eine ganz, ganz schlimme Zäsur für unser Land.
Appelmann: Frau Dreyer, viele Betroffene an der Ahr haben das Gefühl, der Wiederaufbau geht zu langsam voran. Wir lassen jetzt mal Iris Münn-Buschow aus Bad Neuenahr-Ahrweiler zu Wort kommen.
Iris Münn-Buschow, Flut-Betroffene: Also Frau Dreyer, das muss alles erst mal viel schneller gehen. Sie müssen einfach Mitarbeiter freistellen fürs Ahrtal. In ganz Deutschland müssen die zusammengezogen werden. Da müssen sie sich dafür einsetzen, damit das schneller geht. Und Sie müssen auch mal einen Aufruf an Deutschland machen. Sie müssen den Aufruf machen, dass Handwerker zu uns kommen, hier arbeiten. Die müssen ja nicht umsonst arbeiten. Wir sollen ja das Geld kriegen von der ISB. Aber sie sollen kommen. Da müssen Sie diesen einen Anreiz geben.
Appelmann: Was sagen Sie Frau Münn-Buschow?
Dreyer: Ja, ich kann Sie sehr, sehr gut verstehen. Ich will aber auch beruhigend sagen, dass es auch Mitarbeiter des Landes gibt, auch von anderen Kommunen, die im Ahrtal arbeiten. Aber wir sind schon in so einer neuen Phase angekommen. Am Anfang sind ja Hunderte von Handwerkern auch im Tal gewesen, haben große Aktionen miteinander gestemmt. Jetzt sind die Bedürfnisse sehr unterschiedlich an den einzelnen Häusern. Wir müssen uns wirklich mit den Kommunen neu überlegen: Wie können wir es schaffen, trotzdem auch Handwerker aus ganz Deutschland und noch mehr auch wieder ins Ahrtal zu bringen. Was die Unzufriedenheit betrifft, vielleicht noch diesen Satz: Der bezieht sich eben auch auf ganz, ganz viele unterschiedliche Tatbestände. Die einen warten auf die Versicherung, den anderen gehen die ISB-Anträge nicht schnell genug. Der dritte wartet auf eine Baugenehmigung. Und tatsächlic, ich habe ja viele, auch Bürgermeister, jetzt wieder getroffen in der letzten Zeit, müssen wir einfach noch mal schauen. Können wir nicht mit geballter Kraft auch noch mal gucken, welche Prozesse man beschleunigen kann?
Appelmann: Manchen geht es aber ganz einfach ums Geld. Das Land Nordrhein-Westfalen zahlt 40% Abschlagszahlung, das Land Rheinland Pfalz nur 20%, im Härtefall aber auch 40%. Können Sie verstehen, dass sich die Rheinland-Pfälzer da benachteiligt fühlen?
Dreyer: Ich habe mir das sehr genau angeschaut, weil das ist ja schon länger an uns herangetragen worden. Es ist auch der Grund, warum wir gesagt haben, in Härtefällen zahlen wir diese 40%. Das Land Nordrhein-Westfalen hat nicht mehr Anträge bewilligt wie wir, wenn es um die Privatpersonen geht und wir haben teilweise dann auch wiederum andere Regelungen, zum Beispiel nach den 20% können die Bürger und Bürgerinnen, wenn sie größere Rechnungen haben, sie einfach einreichen. Sie müssen dann nicht wieder 40 oder 60% erreichen und sie bekommen dieses Geld dann auch direkt erstattet. Nichtsdestotrotz denke ich, wir haben da jetzt nachgelegt, wir sind bei 90% aller Anträge, die genehmigt und bewilligt sind. Und wir werden auch darauf achten, dass wir diese 40% Regelung auch großzügig auslegen. Keiner soll nicht zu dem Geld kommen, was ihm zusteht. Das ist wirklich nicht unsere Intention. Ich denke, dass wir jetzt ganz gute Regelungen gefunden haben.
Appelmann: In einem Fernsehinterview zur Flutkatastrophe wurden Sie gefragt, ob Sie sich entschuldigen möchten bei den Betroffenen, bei den Opfern. Sie haben sich nicht entschuldigt. Hat denn das Land Rheinland-Pfalz, die Landesregierung, Sie, haben Sie alles richtig gemacht, denn dann müssten sie sich auch nicht entschuldigen.
Dreyer: Wenn wir heute auf die Katastrophe schauen, dann lege schon noch mal Wert darauf zu sagen, dass – wir sind 75 Jahre alt, unser Bundesland – wir haben seit vielen Jahrzehnten einen Hochwasserschutz der stark kommunal organisiert ist oder ausschließlich erst mal eine kommunale Selbstverwaltung. Und das hat immer funktioniert. Und auch in der Flut-Nacht, wo ja fünf Landkreise betroffen waren und eine kreisfreie Stadt, hat es mit Ausnahme leider eines Todesopfers in den anderen Landkreisen in der Stadt keine Todesopfer gegeben. Allerdings hohe, hohe Schäden und dort war es so, dass die kommunale Einsatzleitung frühzeitig gewarnt hat und auch evakuiert. Im Ahrtal ist es zum Teil leider nicht gelungen, und deshalb ist es auch klar für mich, dass meine Aufgabe darin besteht, genau hinzuschauen, was ist wirklich nicht gut gelaufen? Wieso ist es so weit gekommen? Wir hatten es mit einer außerordentlichen Naturkatastrophe zu tun, das will ich einfach auch nochmals betonen. Und natürlich müssen wir schauen, dass wir den Katastrophenschutz und auch die Hochwasser-Vorsorge nochmals auf neue Füße stellen. Denn nach dieser Katastrophe kann man nicht so tun, als wäre nichts passiert, sondern man muss wirklich auch jeden und alles nochmal auf den Kopf stellen. Und fragen: Was müssen wir verändern?
Appelmann: Und deswegen gibt es jetzt aktuell auch ein Gutachten vom ehemaligen Chef des Technischen Hilfswerks, von Albrecht Brömme. Er kommt unter anderem zu dem Schluss und sagt: Es braucht ein Landesamt für Katastrophenschutz. Das heißt doch aber, dass ein Krisenmanager im Land bislang gefehlt hat.
Dreyer: Das heißt das nicht unbedingt, finde ich, denn er betont ja auch, dass ja die Verortung des Katastrophenschutzes im kommunalen Bereich genau das Richtige ist. Warum? Ich will es erklären, weil natürlich dort die Ortskenntnis ist, dort wird viel schneller gesehen: Muss ich evakuieren? Was sind die richtigen Maßnahmen? Und so weiter und so fort. Trotzdem: Was haben wir inzwischen schon gelernt? Die Kommunikation war und ist wirklich ausbaufähig. Auch das Thema Warnung der Bevölkerung. Das sind Dinge, die wir einfach annehmen müssen. Und deshalb ist der Vorschlag von Herrn Brömme natürlich ein sehr beachtenswerter. Wir sind im Moment auch mit vielen, die im  Katastrophendienst sind, im Gespräch. Und wir werden natürlich den Katastrophenschutz verändern. Aber auch jetzt tun wir schon Dinge. Ich nenne jetzt nur das Thema: Warnungen sind nicht so gelaufen, wie sie hätten sollen. Bundesweit wird es in Zukunft dieses Cell Broadcasting geben. Das bedeutet, dass jeder Mensch in einer solchen Katastrophe automatisch eine SMS bekommt. Im Ahrtal werden die Sirenen mit Hochdruck ausgebaut. Im September sollten 85 Sirenen installiert sein. Wir tun also wirklich Schritt für Schritt schon Dinge, die wichtig sind. Aber wir wollen den Katastrophenschutz auch insgesamt noch umbauen.
Appelmann: Frau Dreyer, lassen Sie uns an dieser Stelle zu einer weiteren Krise kommen, die sich immer mehr sich auf Deutschland auswirkt, der Ukraine-Krieg. Gerade die energieintensive Wirtschaft in Rheinland Pfalz befürchtet Schlimmstes.
Es sind zwei Perlen der deutschen Industrie: die BASF und der Glas-Gigant Schott, die mit bangem Blick ein Auge auf Nord Stream 1 werfen. Kommt da Ende der Woche wieder Gas raus oder bleibt die Leitung tot? Im zweiten Fall hätte dies katastrophale Auswirkungen auf aber- und abertausende Arbeitsplätze bei diesen beiden rheinland-pfälzischen Konzernen und weit darüber hinaus. In der Staatskanzlei in Rheinland Pfalz mag man sich gar nicht vorstellen, was dann über das Bundesland hereinbricht. Quälende Fragen richten sich in diesen Tagen an die Partei des Bundeskanzlers. Fragen, die keineswegs abgehoben sind, sondern die sich viele Menschen stellen. Zum Beispiel: dürfen Sanktionen dem eigenen Land mehr schaden als dem Land, gegen die es sich richtet? Was ist die wirtschaftliche Lokomotive Europas noch wert, wenn die deutsche Wirtschaft aus Energiemangel stillsteht? Putin hat minutiös die Schwachstellen Europas und der westlichen Gesellschaft analysiert und setzt genau hier an: die totale Abhängigkeit bei gleichzeitig mangelhafter Verteidigungsfähigkeit. Die SPD wird aufmerksam im Blick behalten müssen, wann die Stimmung vor allem bei den deutschen Arbeitnehmern, deren Arbeitsplätze bedroht sind, zu kippen droht. Heißt: Die deutsche Sozialdemokratie wird mehr liefern müssen, als das Rezept des Bundeskanzlers. Das lautet: Wir müssen uns alle unterhaken. Das könnte am Ende des Tages und im kommenden Winter zu wenig sein.
Appelmann: Tja, zu wenig, Frau Dreyer, wenn zu wenig Gas kommt, da werden die Privathaushalte bevorzugt vor der Industrie. Das will der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck jetzt ändern. Wir haben viel energieintensive Industrie in Rheinland-Pfalz. Das müsste in Ihrem Sinne sein, oder?
Dreyer: Also ganz grundsätzlich möchte ich sagen: Wir sollten nicht Bürger gegen Wirtschaft ausspielen. Die einen haben mit dem anderen zu tun. Und natürlich haben auch Bürger und Bürgerinnen ein Recht darauf, dass sie am Ende auch eine gute Versorgung haben. Und umso wichtiger ist es, zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen: Wir haben ausreichend Gas. Die Gasspeicher sind auch voller, als sie zuvor waren und nach wie vor…
Appelmann: Aber wir müssen durch den Winter kommen…
Dreyer: … und natürlich, wir kriegen auch Gas von anderen Stellen. Und deshalb will ich sagen, was wir jetzt tun, ist, wir bereiten uns auf die schlimmste Situation vor, die eintreten könnte. Und es ist auch richtig so und das ist eben die Situation, dass die Gaslieferungen nicht mehr erfolgen durch Russland. Und vorbereiten bedeutet eben, dass wir auf der einen Seite die Bundesnetzagentur haben, die große Algorithmen im Moment anlegt und so eine Plattform, um mit Kriterien zu überlegen, welche Unternehmen sind besonders davon betroffen, was ist für Bürger und Bürgerinnen elementar, damit sie wirklich gut durch auch den Winter kommen können. Es ist keine politische Entscheidung am Ende, wer bekommt Gas und wer nicht? Und ich finde es richtig, dass man das an richtig wichtigen Kriterien dann eben auch festmacht.
Appelmann: Sie haben gesagt, wir haben genug Gas. Das trifft aber nur zu, wenn das Gas Ende der Woche wieder anläuft. Da muss ich nochmal nachfragen, weil viele sagen, wir haben zu wenig Gas.
Dreyer: Im Moment haben wir genug Gas, um bis in den Winter zu kommen. Bis in, glaube ich, bis in den ersten Monat im neuen Jahr. Aber eben auch nicht genug, um den ganzen Winter zu überstehen. Dennoch ist es schon noch mal wichtig zu sagen, dass wir im Moment nicht in einer Gasmangellage sind. Aber wir müssen uns vorbereiten. Und da kann auch jeder Bürger, jede Bürgerin, das Land, die Kommunen, alle können mithelfen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es total wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass wir Gas und Strom sparen sollten. Alles, was wir jetzt sparen, nützt uns in der Zukunft. Und es ist auch wichtig, was den Geldbeutel betrifft, weil Energie wahnsinnig teuer wird, egal was wir tun, weil Energie jetzt auf dem Markt eingekauft wird und da ist es sehr teuer. Also schon wirklich der Appell, dass wir sehr viel bewusster leben. Und wir haben am Wochenende den Stadtwerke-Chef von München gehört, der einfach gesagt hat, sie merken gar nicht, dass der Verbrauch auch nur annähernd irgendwo zurückgeht. Ich weiß nicht, ob bei der Bevölkerung im Moment – außer der Angst – auch schon angekommen ist, dass wir auch was tun können.
Appelmann: Sie haben das Thema Strom gerade eben auch angesprochen. Wir haben auch zu wenig Strom. Deswegen müssen wir Alternativen schaffen. Deswegen auch mal die Frage: Wir haben noch drei verbliebene Atomkraftwerke in Deutschland. Sollen die länger am Netz bleiben, Frau Dreyer?
Dreyer: Es gibt keine Denkverbote, die gibt es auch nicht bei der Bundesregierung und es ist geprüft worden mit den Atomkraftwerken. Es geht ja nicht um einen grundsätzlichen Kurswechsel, sondern um die Frage: Wo können wir in dieser Notsituation Strom herbekommen? Meines Wissens ist die Antwort der Betreiber, dass es eben total unwirtschaftlich ist und gar nicht so schnell handhabbar ist, zu verlängern. Also ich habe da kein Denkverbot im Kopf. Ich glaube, wir müssen uns helfen, auch Kohle wieder zu aktivieren. Ist jetzt nicht gerade meine Traumvorstellung, aber wir müssen ja jetzt durch diese Krise kommen. Gerade mit Blick auf die Unternehmen.
Appelmann: Weil Sie sagen, wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. Und dann sagen die Betreiber auch, dass es weiterlaufen kann. Man könnte ja zum Beispiel im Sommer jetzt auch ein bisschen herunterfahren, drosseln, um dann die schwierigen Monate Januar, Februar, März zu überbrücken. Das ist ein Szenario.
Dreyer: Ich bin keine Fachfrau, ich kann das letztendlich nicht bewerten. Und wenn der Bundeswirtschaftsminister und Klimaschutzminister Habeck sagt, es hat intensive Gespräche gegeben und es ist im Moment die Haltung der Betreiber, dann kann ich das ja einfach jetzt nur ernst nehmen, dass es so ist. Denn wenn wir auf der Bundesregierungs-Ebene erleben, dass Öl, dass tatsächlich Kohle wiederbelebt wird, dann sieht man doch, dass es kein Denkverbot gibt.
Appelmann: Also Sie öffnen sich da auch in Richtung Atomstrom, höre ich?
Dreyer: Natürlich gar nicht. Grundsätzlich überhaupt nicht. Niemals. Sondern es geht schlicht und ergreifend – genau wie bei der Kohle – um die Frage: Wie überstehen wir diese Situation, bis wir den Ausbau der erneuerbaren Energien so vorangetrieben haben, dass wir damit eben auch uns versorgen können? Und natürlich werden ja auch in Niedersachsen jetzt gerade die LNG-Terminals gebaut, wo Flüssiggas importiert wird. Und das höre ich von den Kollegen auch aus Niedersachsen, dass die wirklich in time sind. Das heißt, man hätte in einer gigantischen Geschwindigkeit es geschafft, bis zum Ende des Jahres auch dieses Terminal tatsächlich dann in Gang zu setzen. Und das wird uns alles helfen.
Appelmann: Auf jeden Fall entscheidet sich Ende der Woche, ob russisches Gas wieder nach Deutschland fließt und momentan wird deswegen auch über die Sanktionen gesprochen. Es gibt eine aktuelle Umfrage, die besagt: Fast jeder Zweite glaubt, dass sich Deutschland selbst mit den Sanktionen mehr schadet als Russland. Deutschland verliert also – Klartext gesprochen – den Glauben an die Sanktionen. Sie auch?
Dreyer: Ich nicht, denn wir wissen, dass Russland sehr stark leidet unter den Sanktionen. Und ich will einfach auch noch mal diesen Appell ausdrücken: Da hat ein Land ein europäisches Land angegriffen, um es zu vereinnahmen – mitten in Europa. Und das ist etwas, das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, wegen der Ukrainer und Ukrainerinnen nicht, aber auch wegen Europa nicht.
Appelmann: Aber Sie blicken jetzt direkt wieder auf Russland. Wir sehen doch auch, dass Deutschland leidet, wirtschaftlich. Und wir sehen auch, dass die Sanktionen den Krieg nicht beenden. Also muss man doch drüber sprechen dürfen.
Dreyer: Die Sanktionen haben ihre Wirkung und sie werden auch perspektivisch weiter ihre Wirkung haben. Das ist vollkommen klar. Das kann man überall ablesen, wenn man Russland beobachtet und Experten zuhört. Und deshalb gibt es keinen Grund zu sagen, weil im Moment der Krieg nicht beendet ist durch Sanktionen, dass wir die Sanktionen zurückschalten. Aus meiner Sicht geht das nicht. Man muss sich klarmachen: Wenn man in Europa zulässt, dass ein Staat in Europa angegriffen wird, dann werden wir auch miterleben müssen – zumindest gibt es diese Möglichkeit – dass weitergehende Staaten angegriffen werden. Und ich glaube, das muss man sich einfach klar machen. Wir leben im friedlichen Europa. Wir wollen Frieden in Europa. Wir können es nicht zulassen, dass ein Land einfach attackiert wird.
Appelmann: Frau Dreyer, an dieser Stelle schauen wir noch auf Ihre Partei, die SPD, die von den Höhenflügen rund um die Bundestagswahl schon wieder lange zurück ist.
Man meint, sie ihm förmlich anzusehen. Die Sorgen, die den Bundeskanzler ob der Zukunft des Landes quälen, hin und hergerissen zwischen Solidarität für die Ukraine und der nachvollziehbaren Taktik, nicht den geringsten Schritt zu tun, der Deutschland faktisch zur Kriegspartei macht. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, so mag seine Devise lauten. Das mag vernünftig sein, aber die Bühne gehört zurzeit eher jenen Politikern der Ampel, die in einem völlig neuen Kommunikationsstil aus ihren Herzen keine Mördergrube machen. Vor allem der Wirtschaftsminister Robert Habeck lässt die Menschen teilhaben an seinen Gedankengängen. Man hat das Gefühl, er weiß, um was es geht. Und sagt das auch: Während Scholz weiß, um was es geht und es nicht sagt. Insofern zahlen aktuell die Krisen Ukraine, Energie und Inflation vor allem auf das grüne Konto in der Ampel ein. Derzeit führt in Umfragen die Partei deutlich vor den Sozialdemokraten. Hinzu kommt: die fatale Abhängigkeit beim Gas von Putins Russland ist jahrzehntelang gewachsen und geht nicht auf das Konto nur einer Partei. Fast die komplette deutsche Politik war immer auf billiges Gas für deutschen Wohlstand ausgerichtet. Doch während die Langzeit-Kanzlerin in die Sphären historischer Verklärung entschwebt, klebt die Abhängigkeit vor allem an der SPD. Nicht zuletzt wegen ihres SPD-Altkanzlers Gerhard Schröder, der seit langem einer der führenden Gas-Lobbyisten Moskaus ist. Robert Habeck wird dies kaum stören. Für ihn könnte das Kanzleramt irgendwann der nächste folgerichtige Schritt sein, den er zu tun gedenkt.
Appelmann: Frau Dreyer, kommt an Robert Habeck momentan so gut an, weil er die Probleme klar benennt, weil er transparent darlegt, wo die Probleme liegen?
Dreyer: Na ja, Robert Habeck und Olaf Scholz sind durchaus sehr unterschiedliche Typen, das ist ja vollkommen klar. Aber ich habe trotzdem großes, großes Vertrauen in unseren Bundeskanzler. Er weiß, was er tut. Er ist nicht so kommunikativ wie Robert Habeck. Es ist aber auch kommunikativ, auf eine andere Art und Weise. Und ich bin fest davon überzeugt, dass seine Leistung auch in der Perspektive tragen wird. Wenn man einfach mal draufschaut, was die Regierung schon geschafft hat und wie viel SPD da drin ist. Ich will jetzt einfach nur mal nennen: Rentenerhöhungen, Bafög-Erhöhung. Ich möchte nennen den Mindestlohn, auf den wir lange gewartet haben, der in der heutigen Zeit auch besonders wichtig ist, wenn man die Entlastung des Paketes sieht und schaut, wer hat denn eigentlich auf diejenigen geschaut, die nicht so viel Geld haben? Und das haben wir eben vergessen, Herr Appelmann, darauf einen ein Blick zu werfen. Ist mir aber noch mal wichtig, weil mir geht es auch darum, dass die Menschen, die eben nicht den riesen Geldbeutel haben, dass man darauf schaut und dass man sie auch im Auge behält. Und das ist die SPD. Und deshalb vertraue ich darauf, dass man davon profitieren wird, wenn die Menschen sehen, da ist eine Kontinuität, da ist ein Vertrauen, dass sich dann auch tatsächlich irgendwann bewahrheitet.
Appelmann: Irgendwann ist aber nicht jetzt. Warum nützt es momentan nicht? Warum ist der Zauber schon wieder verflogen? Warum sind Sie neben CDU und Grünen momentan auf Platz drei in den Umfragen?
Dreyer: Ach, Sie wissen, dass ich nicht so eine Umfragengläubige bin. Und das Wichtigste ist immer aus meiner Sicht, dass man langfristig an den Zielen arbeitet, für die man angetreten ist. Und das macht Olaf Scholz wirklich ganz konsequent. Und deshalb glaube ich, dass die Menschen auch perspektivisch sehen werden, dass man ihm vertraut. Er steht ja als Bundeskanzler auch gut da und insofern wird das auch perspektivisch bei der SPD einzahlen. Da bin ich mir eigentlich sehr, sehr sicher.
Appelmann: Frau Dreyer, hier machen wir eine Zäsur, lassen das ganze Politische hinter uns, kommen zu unserer Schnellfragerunde, Tradition bei uns in den Sommerinterviews. Da ist auch immer noch ein bisschen Politik mit dabei. Bei so einem politischen Menschen glaube ich auch wichtig. Schnelle Fragen von uns, schnelle Antworten von Ihnen. Okay?
Dreyer: Okay.
Appelmann: Was ist Ihnen im Urlaub neben Entspannung am wichtigsten?
Dreyer: Unbedingt, dass mein Mann dabei ist.
Appelmann: Gibt es richtige Freundschaften in der Politik?
Dreyer: Auf jeden Fall. Es gibt auch Freunde und Freundinnen in der Politik. Und das ist eigentlich das Schönste, wenn man tatsächlich auch verlassen kann auf echte Freunde.
Appelmann: Können Sie da Namen nennen?
Dreyer: Ich nenne keine Namen, nein. Aber Sie können mir glauben, dass ich Freunde und Freundinnen habe in der Politik.
Appelmann: Sie kommen aus einem CDU-Elternhaus. Hat denn die CDU auch mal eine Chance gehabt, sie als Mitglied zu bekommen?
Dreyer: Ganz am Anfang, als ich jung war und meinem Vater alles geglaubt habe, da vielleicht ja, aber später nicht mehr. Ich habe mich wirklich innerlich auch sehr stark entfernt von der CDU, CSU, von der CDU hier in Rheinland Pfalz und bin aus ganzem Herzen später dann in die SPD eingetreten. Ich wollte eigentlich gar nie in eine Partei eintreten, aber es sind tatsächlich die grundsätzlichen Werte der SPD und dass mir die CDU manchmal einfach auch ein bisschen zu motzig vorkam. Nicht diesen Geist hat, Toleranz und Vielfalt…
Appelmann: … aber Sie haben CDU-Flyer verteilt…
Dreyer: Stimmt, für mein Vater, als ich noch ganz jung war.
Appelmann: Wann hat zuletzt jemand Marie-Luise zu Ihnen gesagt?
Dreyer: (lacht) Sehr, sehr lange her. Mein Vater hat das ab und zu mal, der ist ja schon lange verstorben. Also das hat schon lange keiner mehr gesagt zu mir.
Appelmann: Okay, aber da haben Sie irgendwas Schlimmes ausgefressen?
Dreyer: Ja, genau. Mein Vater hat akzeptiert, dass ich Malu heißen wollte. Das habe ich ja erfunden dann mit einer Lehrerin. Aber immer dann, wenn er sauer war, hat er dann plötzlich Marie-Luise gesagt.
Appelmann: Welches Talent hätten Sie gerne?
Dreyer: Ich würde gerne, wirklich gerne, nachdem ich viele Instrumente früher gespielt habe, gut singen. Und zwar auch außerhalb der Dusche, sozusagen.
Appelmann: Ganz witzig: Bernhard Braun hat auch gesagt, dass er in der Dusche immer schräg singt.
Dreyer: Echt? Ja gut, unter der Dusche hört ja niemand so richtig zu. Da kann man einfach freien Lauf lassen.
Appelmann: Wenn Sie eine lästige Angewohnheit sofort loswerden könnten, welche wäre das?
Dreyer: Also, ich esse ja wahnsinnig gerne Kuchen, und das finde ich manchmal auch ein bisschen unangemessen.
Appelmann: Warum? Ich mache das auch.
Dreyer: Ja klar, aber es ist manchmal, nach einem Stück, denke ich, ich könnte jetzt einfach noch ein bisschen weiter essen.
Appelmann: Was steht auf Ihrer Bucket List? Was wollen Sie unbedingt noch erleben? Zum Beispiel im nahenden Urlaub?
Dreyer: Also, kann ich gar nicht sagen. Ich habe es mir ja auch so ein bisschen abgewöhnt, unbedingt Urlaub zu planen. Und das ist in den letzten Jahren eigentlich immer ziemlich schiefgegangen. Deshalb freue ich mich einfach nur auf Zeit und ein paar Tage Ruhe. Und meine Familie, das ist eigentlich das Allerwichtigste für mich gerade.
Appelmann: Aber das kommt jetzt in den nächsten Wochen mal, oder?
Dreyer: Das hoffe ich sehr.
Appelmann: Wir hoffen mit Ihnen. Danke, dass Sie heute unser Gast waren. Im Sommerinterview: Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer.
Dreyer: Ich danke Ihnen, Herr Appelmann.