Das Interview zur Bundestagswahl – Zu Gast Tobias Lindner (Bündnis 90 / Die Grünen)

„Bereit, weil ihr es seid, so lautet der Wahlslogan der Grünen. Sie haben Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin ins Rennen geschickt, die gerade wie ihre Kontrahenten Olaf Scholz von der SPD und Armin Laschet von der CDU auf Wahlkampftour durch die Bundesrepublik ist. Und unterstützt wird sie dabei auch von Tobias Lindner. Er ist Bundestagsabgeordneter, steht auf Listenplatz zwei der rheinland-pfälzischen Grünen für die Bundestagswahl und ist heute zu Gast bei uns im Studio.

 

Beitrag 1
Zu schön war jene Zeit im Frühsommer, als jugendliche Unbeschwertheit der grünen Kandidatin Baerbock einen einzigen Siegeszug verhieß. Und dieser konnte doch nur mitten ins Kanzleramt führen. Doch es kam anders und die Kandidatin war daran nicht völlig unschuldig.
So richtig haben sich die Grünen vom Zerplatzen dieses Traumes nicht mehr erholt. Aber das muss kein Grund zum Verzweifeln sein. Mit Blick auf die letzte Bundestagswahl dürften die Grünen allemal zulegen und so mit hoher Wahrscheinlichkeit am Kabinettstisch Platz nehmen. Da haben Politiker von CDU und CSU aktuell ganz andere Sorgen.

So richtig spannend wird es für die Grünen erst nach der Wahl. Dann, wenn sie in Amt und Würden sind und in der politischen Verantwortung stehen. Denn dann ist Schluss mit Opposition, dann muss regiert werden. Und die Grünen könnten erkennen, dass auch ein reiches Land sein Geld nur einmal ausgeben kann. Dann wird deutlich Nicht nur der Klimaschutz schreit nach Geld. Auch bei Digitalisierung, Gesundheitswesen oder Bildung gibt es milliardenschweren Nachholbedarf. Ganz zu schweigen von den neuen sozialen Ausgaben für jene, die sich die Teuerungen bei Energie, Nahrung und Verkehr schlicht nicht mehr leisten können.
Andere Nationen würden sich dem deutschen Vorbild anschließen, so hört man derzeit oft. Doch erst einmal werden sich diese anderen Nationen genau anschauen, ob der radikale Umbau der Industrie den Deutschen auch so gut bekommt, wie sich dies vor allem ihre Grünenpolitiker vorstellen.

 

Eva Dieterle, Moderatorin: „Und jetzt begrüße ich Tobias Lindner bei mir im Studio herzlich willkommen!“

Tobias Lindner, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz für die Bundestagswahl: „Hallo!“

Dieterle: „Herr Lindner, noch vor einigen Monaten haben die Grünen mit fast 30 Prozent in den Umfragen alle anderen Parteien hinter sich gelassen. Seitdem hat sich da einiges geändert. Die Partei hat deutlich nachgelassen. Was ist passiert?“

Lindner: „Natürlich haben wir auch eigene Fehler gemacht, die hat ja Frau Baerbock auch eingeräumt, um Entschuldigung gebeten. Aber es ist ja auch ganz klar: Diese 27 Prozent, das war der höchste Wert, den wir in Umfragen hatten. Den haben wir selbst nicht so ganz geglaubt. Das Potenzial unserer Partei, das liegt irgendwo, ich sage mal, Mitte der 20 Prozent. Wir sind jetzt in Umfragen irgendwo zwischen 17 und 20. Die Partei ist geschlossen wie nie, die ist auch kampfeslustig wie nie. Und wir haben jetzt noch 18 Tage bis zur Bundestagswahl. Und ich bin ziemlich guten Mutes, dass wir das mit Abstand beste Ergebnis unserer Parteigeschichte erzielen werden.“

Dieterle: „Das heißt, die Grünen können nicht 27 Prozent? Sie haben gerade von Potenzial gesprochen.“

Lindner: „Die 27 Prozent, die waren damals schon ein Hype. Da hatten wir ja auch Chaostage in der Union, wenn man sich da überlegt, was zwischen Herrn Laschet und Herrn Söder gelaufen ist. Die waren sicherlich ein bisschen überbewertet. Aber was die Grünen können: einen Führungsanspruch für dieses Land übernehmen. Wir haben ja ein Wahlprogramm. Wir haben einen Slogan, wo wir sagen, wir wollen einen Politikangebot in allen Politikfeldern machen. Wir wollen die treibende Kraft sein, wenn es um Reformen und Veränderung geht.“

Dieterle: „Sie haben gerade die CDU angesprochen. Wie viele andere werden Sie wahrscheinlich gerade auch ungläubig auf diesen historischen Absturz der Union schauen. Die Frage ist aber doch: Warum kann davon eigentlich nur die SPD profitieren und sie so gar nicht?“

Lindner: „Also natürlich merken wir, da ist ein Austausch von Wählerinnen und Wählern der Union, die sich vielleicht vorstellen können, noch nicht die Grünen zu wählen. Daran arbeiten wir ja. Aber das ist ehrlich gesagt nicht unser Problem. Unser Problem ist, so stark zu werden wie noch nie und dass keine Regierung ohne uns gebildet werden kann. Ich will nicht weiter eine große Koalition des Stillstands in diesem Land haben, sondern Veränderung in den nächsten vier Jahren.“

Dieterle: „Lassen Sie uns mal über die Koalitionsmöglichkeiten sprechen. Da gibt es zum einen die Möglichkeit der Ampel mit SPD, Grüne, FDP oder natürlich Jamaika, CDU, Grüne, FDP. Beides wäre möglich. Was passt denn für Sie am besten? Wo gibt es die meisten Schnittmengen?“

Lindner: „Also es passt dort am besten, wo wir als Grüne natürlich am stärksten unsere Inhalte, und das ist vor allem Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt, wo wir die durchsetzen können. Ich glaube, was rechnerisch geht, das werden wir erst am Wahlabend wissen. Die Umfragen…“

Dieterle: „Aber geht das noch ein bisschen konkreter? Weil das natürlich Klimaschutz am besten passt, das wussten, glaube ich, alle Zuschauer auch schon vorher.“

Lindner: „Ja, aber ganz ehrlich: Wir werden uns anschauen müssen, was rechnerisch am Wahlabend geht. Die Umfragen, das haben Sie ja selbst erwähnt, die sind momentan so in einem Auf und Ab. Ich glaube, alle demokratischen Parteien müssen zumindest miteinander sprechen können. Dann muss man schauen, was geht. Wir haben in den letzten Tagen eine Diskussion gehabt, wo sich die Linke ein bisschen selbst aus dem Spiel genommen hat an der einen oder anderen Frage. Und klar ist: Wir werden keine Koalition eingehen, wo nicht wirklich Deutschland beim Thema Klimaschutz voran geht und umsteuert.“

Dieterle: „Und schon wieder liefern Sie mir das nächste Stichwort. Denn ein weiteres mögliches Bündnis wäre natürlich auch Rot-Rot-Grün. Wir können jetzt seit Wochen der SPD dabei zuschauen, wie sie sich quält und windet, eine Koalition mit der Linkspartei auszuschließen. Wie sieht das eigentlich bei Ihnen aus?“

Lindner: „Ich finde Ausschließeritis eine ganz schlimme Krankheit in einer Demokratie, um ehrlich zu sein. Wenn alle am Ende alles ausschließen, dann landen wir irgendwie nur noch bei Großen Koalitionen und in so einem Land will ich nicht leben. Wir als Grüne schließen Rot-Rot-Grün bzw. Grün-Rot-Rot oder Rot-Grün-Rot – wird man ja schauen müssen, wie es sich sortiert – wir schließen das nicht aus. Aber man muss natürlich zur Kenntnis nehmen: Die Linke schließt sich momentan zum Teil ein bisschen selbst aus. Also wer im Bundestag als einzige Fraktion gegen den Einsatz stimmt, wo es darum geht, gefährdete Ortskräfte aus Afghanistan zu evakuieren, der muss sich natürlich fragen lassen, ob er überhaupt außenpolitisch ein zuverlässiger Partner ist. Es gibt gewisse Dinge, die sind in diesem Land unter demokratischen Parteien unstrittig: Westbindung, Nato-Mitgliedschaft, Bekenntnis zu Menschenrechten und Humanität. Das erwarte ich auch von der Linkspartei.“

Dieterle: „Frau Baerbock hat es als unfassbar bezeichnet, dass die Linke das Afghanistan-Rettungsmandat für die Bundeswehr im Bundestag vor kurzem nicht unterstützt hat. Was ist denn so schwer daran, zu sagen: Dann machen wir das mit den Linken nicht?“

Lindner: „Wir müssen einfach gucken. Wenn man mit Linken an einem Verhandlungstisch sitzen würde, sondieren würde, da muss man natürlich schauen, sind die Linken bereit, da ihre Meinung zu ändern? Ja oder nein? Ich finde, das eine Gespräch muss man führen. Wenn man in der Demokratie ausschließt, sogar miteinander zu sprechen, ein Gespräch zu führen, mal zu gucken, was geht – ich glaube, dann landen wir am Ende einfach nur zwangsweise immer bei Großen Koalitionen. Das möchte ich nicht.“

Dieterle: „Sie bezeichnen das ja als Ausschließeritis. Ich bezeichne das eigentlich als fair gegenüber dem Wähler, wenn er irgendwie weiß, was er zu erwarten hat, wenn er den Grünen eine Stimme gibt.“

Lindner: „Die Wählerinnen und Wähler wissen, glaube ich, ganz genau, was sie erwarten können, wenn sie uns die Stimme geben. Wir werden nur regieren, wenn wir beim Thema Klimaschutz ernsthaft vorankommen. Wir haben einen klaren außenpolitischen Kompass. Ich würde sagen, wir haben die am stärksten wertebasierte Außenpolitik von allen Parteien im Angebot. Und darauf können sich die Wählerinnen und Wähler verlassen, dass wir das auch in einem Bündnis – egal wie es aussehen wird – durch tragen werden.“
Dieterle: „Okay, wir landen wieder beim Klimaschutz. Wir schauen mal auf das, was Kanzlerkandidatin Frau Baerbock neulich gesagt hat. Und zwar unterstützt sie den Vorschlag der Partei, dass jeder sozusagen über eine digitale Plattform anonym vermeintliche Steuerverstöße des Nachbarn melden kann. Viele sehen darin einen regelrechten Aufruf zur Denunziation. Ist es das nicht?“

Lindner: „Nein, das ist es nicht, weil das ist ja bereits heute schon möglich. Das ist seit Jahrzehnten möglich, dass man anonym an die Finanzbehörden – halt per Brief oder per Telefax – Hinweise geben kann.“

Dieterle: „Wofür braucht es dann eine so komfortable Online-Plattform, wo es noch sehr viel einfacher ist?“

Lindner: „Das hilft vor allem den Finanzbehörden. Weil gerade dann, wenn wir keinen Pranger haben wollen, also wenn die Behörden wirklich nur den Hinweisen nachgehen sollen, wo es wirklich um ernsthafte Steuerverstöße geht, die ja uns alle, die wir ehrlich unsere Steuern zahlen, dann auch treffen. Gerade über so eine Online-Plattform haben die Behörden auch die Möglichkeit, anonym nachzufragen, also zu gucken, soll da jemand nur angeschwärzt werden – weil genau das will man ja nicht, irgendjemanden an den Pranger stellen – oder geht es da um ernsthafte Steuerverstöße? Und die kosten unser Land im Jahr 50 Milliarden Euro. Ich finde das ist gutes Geld, das wir gebrauchen können.“

Dieterle: „Sie sagen, es geht nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen, aber doch fördert dieses Modell auch in den Köpfen der Menschen so diese Idee ‚Ich kann meinen Nachbarn anschwärzen‘. Ist das das Idealbild der Gesellschaft, das die Grünen haben?“

Lindner: „Wir wollen niemanden anschwärzen, aber das können sie bereits heute machen. Durch einen Brief, durch ein Fax. In Bayern gibt so ein Onlineportal im Übrigen auch. Die CSU regt sich gerade über das auf, was in Baden-Württemberg geschieht, macht es aber seit ein, zwei Jahren selbst. Man merkt, da ist Wahlkampf und das hat eigentlich nichts mit einer sachlichen Auseinandersetzung darüber zu tun, wie wir Steuerhinterziehung bekämpfen können. Und das ist ein ernsthaftes Problem.“

Dieterle: „Herr Lindner, kommen wir jetzt zum Wahlprogramm. Das gibt es gleich kurz zusammengefasst, doch zuerst gibt es noch etwas Wahlkampf mit Ihnen in der Pfalz.“


Beitrag 2:

Wahlkampf in Landau, ein Heimspiel für Tobias Lindner. Seit 2011 sitzt der grüne Abgeordnete für die Südpfalz im Bundestag. Im Wahlkampf ist der studierte Volkswirt in ganz Rheinland-Pfalz unterwegs. Auf seine Heimat ist er dabei besonders stolz.

Tobias Lindner, Spitzenkandidat von Bündnis 90 / Die Grünen Rheinland-Pfalz: „Ich mache jetzt seit ein paar Jahren schon Wahlkampf und es war die größte Wahlkampfveranstaltung, die wir als Grüne in der Südpfalz hatten. Ich glaube, das ist ein voller Erfolg.“

Ein Herzensthema für Tobias Lindner ist der Klimaschutz. Denn…

Tobias Lindner: „Ich will, wir Grüne wollen, dass die Südpfalz die Toskana Deutschlands bleibt, aber nicht zur Sahara Deutschlands wird, um ganz ehrlich zu sein.“


Die Grünen wollen Deutschland in den nächsten 20 Jahren klimaneutral machen. Dafür wollen sie bis 2030 alle Kohlekraftwerke stilllegen. Die erneuerbaren Energien massiv ausbauen und die CO2-Steuer erhöhen. Die Einnahmen wollen sie aber zurückgeben, vor allem an Familien und Geringverdiener. Die Grünen wollen die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr bis 2030 verdoppeln. Danach sollen keine Benzin oder Dieselautos mehr zugelassen werden. In Städten soll das Tempo auf 30 und auf Autobahnen auf 130 Stundenkilometer begrenzt werden. Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz heraufsetzen und eine Vermögenssteuer einführen. Sie wollen den Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen und die Mieterhöhungen begrenzen. Im Bereich der Migration sollen geduldete Asylbewerber schneller ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Inhalte, für die in Landau neben Tobias Lindner vor allem der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, wirbt.

Wer die Grünen als Partei der Verbote und der Bevormundung wahrnimmt, dem entgegnet der Parteichef:

Robert Habeck, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundesvorsitzender: „Wenn Sie heute mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zurück fahren wollen und Sie fahren mal auf der linken Spur, weil das Ihre Freiheit ist – und sie wollen nicht rechts vor links, sondern links vor rechts. Ihre Freiheit ist schnell zu Ende. Die Kollegen, die dankenswerterweise darauf aufpassen, dass hier die Veranstaltung sicher durchgeführt werden kann, die kassieren sofort ihren Lappen. Das war ihre letzte Fahrt mit dem Auto, die Sie gemacht haben oder Sie haben einen schweren Unfall. Freiheit ist nicht Regellosigkeit, sondern über die Regeln seines Lebens selbst bestimmen und immer wieder neu entscheiden zu können.“


Das kommt nicht nur bei Parteimitgliedern gut an.


Michael Kulain: „Robert Habeck hat einen sehr interessanten Bogen gespannt, wo es darum geht, wie man verantwortungsvoll Politik macht, aber auch Freiheit, was Freiheit bedeutet.“

Ben Härgel: „Eigentlich sehr wohltuend hat sich Robert Habeck abgesetzt, weil er eben nicht immer nur versucht, die anderen Parteien schlecht zu machen, sondern wirklich eine großartige Rede gehalten hat.“


Mit Habeck und Lindner direkt ins Gespräch kommen können die Bürger auf der Kundgebung nichts. Wem aber eine Frage unter den Nägeln brennt, kann sie den Rednern per Karteikarte zukommen lassen. Ein Angebot, das einige der vielen Interessierten hier annehmen. Wahlkampf in Landau Ein Heimspiel, das sich für Tobias Lindner nach einem ersten Etappensieg anfühlt.

 

Eva Dieterle, Moderatorin: „Ja, dann schauen wir jetzt mal, wie sich die nächste Etappe anfühlt. Herr Lindner, die Grünen wollen einen Klimaschutzministerium, das mit einem Vetorecht ausgestattet ist gegenüber allen anderen Ressorts. Heißt das, das Thema Klima ist wichtiger als alle anderen, als Arbeitsplätze, als Rente, bezahlbare Miete, Bildung? Heißt es das für die Grünen?“

Tobias Lindner, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz: „Also erstens muss man ganz deutlich sagen, das Thema Klimaschutz wird das zentrale Thema der nächsten Jahre sein. Weil alle anderen Themen, die Sie jetzt genannt haben – Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit, Zusammenhalt einer Gesellschaft, Wohlstand -, all die werden davon abhängen, ob es uns gelingt, gegen die Klimakrise wirksam anzuarbeiten oder nicht.“

Dieterle: „Alle diese Themen kommen bei Ihnen aber immer nur an Stelle Zwei.“

Lindner: „Die kommen, glaube ich, im Wahlprogramm, wenn Sie sich die 200 Seiten anschauen, sehr ausführlich vor. Der Punkt ist nur: Bedenken Sie die zusammen. Für uns hängt es zusammen. Und zum Thema Vetorecht muss man eins ganz deutlich sagen: Das Vetorecht gibt es ja bereits heute. Bereits heute hat das Finanzministerium am Kabinettstisch – nur darum geht es ja: was geschieht am Kabinettstisch – ein Vetorecht, wenn ein Gesetz nicht bezahlbar ist. Und genauso ist ja klar, das Pariser Klimaabkommen – das hat das Verfassungsgericht ja selbst gesagt, nicht die Grünen, sondern das Verfassungsgericht – ist bindendes Recht für Deutschland. Natürlich wollen wir, wenn ein Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen dieses bindende EU-Recht verstößt, dass dann auch ein Ministerium sagen kann: ‚Hey, da machen wir nicht mit‘. Um nicht mehr und nicht weniger geht es.“

Dieterle: „Das wollen Sie. Wir hören jetzt gleich mal rein, was der FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der ja in Rheinland-Pfalz auch mit den Grünen lange auf der Regierungsbank der Ampel gesessen hat, zu diesem Vorschlag sagt.“


Volker Wissing, FDP, Generalsekretär: „Das hat die FDP in Rheinland-Pfalz verhindert, da wollten die Grünen das auch und das wird die FDP auf keinen Fall auf Bundesebene akzeptieren.“

 

Dieterle: „Auch Olaf Scholz und Armin Laschet wollen das nicht. Das ist doch ziemlich aussichtslos, oder?

Lindner: „Dann warten wir mal ab. Wenn Volker Wissing jetzt sagt, das wird man verhindern, dann heißt es ja nichts anderes, als dass er gegen geltendes bindendes Recht, nämlich gegen das Pariser Klimaschutzabkommen ist und ich trau das Herrn Wissing ehrlich gesagt nicht zu.“

Dieterle: „Wobei er ja gegen das Vetorecht ist für das Klimaschutzministerium.“

Lindner: „Ja, aber es ist ja nichts anderes. Ich unterstelle keiner Bundesregierung, dass sie rechtswidrige Gesetzentwürfe dem Deutschen Bundestag vorlegt. Und ein Gesetzentwurf, der gegen das Pariser Klimaschutzabkommen verstößt – sagt das Verfassungsgericht selbst -, der ist nicht rechtskonform.“

Dieterle: „Die anderen Parteien sagen aber schlicht, dass sie das Klimaschutzministerium nicht mit so einem Vetorecht ausstatten wollen. Wo ist da noch Verhandlungsbasis für sie?“

Lindner: „Na ja, verhandelt wird nach einer Wahl, nicht vor der Wahl. Ganz einfach. Und ich sage Ihnen mal ganz ehrlich: Wor allem SPD und CDU, die haben uns ja vor vier Jahren an dieser Stelle erzählt, es wird nie wieder eine Große Koalition geben. Deswegen bin ich bei solchen Ansagen vor einer Bundestagswahl ziemlich gelassen. Wenn die Grünen ausreichend stark sind, dann sehen wir uns wieder am Verhandlungstisch und dann schauen wir mal.“

Dieterle: „Okay, lassen wir das Thema. Wir kommen zum Thema Steuern. Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz erhöhen, wollen eine Vermögenssteuer einführen. Jedoch tragen ja die Top-Verdiener bereits jetzt die höchste Steuerlast überhaupt. Wir schauen uns das Ganze mal in Zahlen an, dann wird das deutlich. Das eine Prozent der Bürger mit dem höchsten Einkommen zahlt schon jetzt 21,5 Prozent der Einkommenssteuer. Die 10 Prozent der Bürger mit dem höchsten Einkommen zahlen schon jetzt mehr als die Hälfte der Einkommensteuer. Und die wollen sie noch weiter belasten?“

Lindner: „Wir haben ein Steuermodell vorgelegt, bei dem wollen wir 90 Prozent aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten. Um das geht erst mal. Wir wollen Familien entlasten, wir wollen Alleinerziehende entlasten, weil dort drückt der Schuh. Und richtig ist, bei besonders hohen Einkommen, da wollen wir moderat erhöhen. Da haben wir eine moderate Erhöhung, genauso wie es andere Parteien auch vorschlagen. Und jeder, der jetzt um die Ecke kommt und sagt ‚Ja, braucht es das wirklich? Geht es wirklich?‘, der soll mir das mal vorrechnen. Wir kommen hoffentlich bald aus einer Corona-Pandemie raus. Eine neue Bundesregierung wird ein Kassensturz machen müssen – ich sitze ja selbst im Haushaltsausschuss – und am Ende des Tages muss man ja gucken, dass Deutschland noch in der Lage ist, auch zu investieren, denn da haben wir ja ein Defizit.“

Dieterle: „Was wir als moderat bezeichnen, wird natürlich von anderer Seite anders gesehen. Die Grünen sprechen sich dafür aus, ein Vermögen von zwei Millionen Euro jährlich mit einem Prozent zu besteuern. Wir hören mal rein, wie moderat die Wirtschaft diesen Vorschlag findet.“


Clemens Christmann, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: „Seit Jahren sind die Grünen hier auf einem steuerpolitischen Irrweg, genauso wie die SPD und die Linke. Es macht keinen Sinn, auf der einen Seite zu fordern, dass hier mehr investiert wird, damit junge Leute hier zukunftssichere Arbeitsplätze haben, in Digitalisierung, in Weiterbildung von Mitarbeitern – und auf der anderen Seite über die Hälfte der Gewinne eines Unternehmens wegzunehmen. Die Unternehmen brauchen die Gewinne, um zu reinvestieren, damit die Firmen hier fit bleiben, fit für die Zukunft und deswegen: keine zusätzliche Besteuerung, sondern die Wirtschaft machen lassen.“

 

Dieterle: „Ein steuerpolitischer Irrweg, sagt Herr Christmann. Prallt das bei Ihnen einfach ab?“

Lindner: „Ja, ehrlich gesagt schon. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass er unser Wahlprogramm tatsächlich gelesen oder verstanden hat. Sie haben die Vermögenssteuer genannt. Wenn man da im Wahlprogramm weiterliest, schreiben wir ja gerade, dass wir Betriebsvermögen, soweit es rechtlich zulässig ist, auch ausnehmen wollen davon. Es macht ja ein Unterschied, ob es jetzt zwei Millionen Vermögen haben, das in ihrem Handwerksbetrieb oder einem mittelständischen Unternehmen steht, oder ob das irgendwie ihr Privatvermögen ist. Und das werden wir sehr wohl ziemlich genau und ziemlich sensibel unterscheiden.“

Dieterle: „Ich glaube, es wurde deutlich in dem Block, wofür die Grünen stehen. Herr Lindner, vielen Dank, dass Sie sich heute im Bundestagswahl-Spezial meine Fragen gestellt haben.“

Lindner: „Sehr gerne.“