Das Interview zur Bundestagswahl – Zu Gast Ali Al-Dailami (Die Linke)

Am 26. September ist Bundestagswahl. Nach 16 Jahren Angela Merkel wird es einen neuen Regierungschef geben. Glaubt man den aktuellen Umfragen, werden wir dann wohl von einer 3-Parteien-Koalition regiert. Und da macht sich auch die Partei Die Linke Hoffnungen. Kommt Rot-Rot-Grün? Wir reden mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden und hessischen Kandidaten der Linken Ali Al-Dailami.

Markus Appelmann, Moderator: „Wenn nicht jetzt, wann dann? Das könnte das Motto der Linken derzeit sein. Gestern haben sie ihr Regierungsprogramm präsentiert. Regierungsprogramm? Hört, hört. Da sind wir mal gespannt, mit welchen Geschenken sie im Wahlkampf auf SPD und Grüne zugehen. Bei uns im Studio ist heute der stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken. Platz zwei bei der Bundestagswahl auf der Liste der Linken. Ali Al-Dailami. Herzlich willkommen!“
Ali Al-Dailami, Die Linke, Spitzenkandidat der Linken Hessen für die Bundestagswahl 2021: „Danke für die Einladung, Herr Appelmann.“
Appelmann: „Wir sprechen gleich über Ihren Regierungstraum. Denn Sie haben die Hand ausgestreckt in Richtung SPD und Grüne.“
Beitrag 1:
Die Linke. Sie scheint ihre besten Jahre auch in den ostdeutschen Bundesländern bereits hinter sich gelassen zu haben. Zu mehr als sechs bis sieben Prozent im Bund reichte es in den letzten Umfragen nicht mehr. Sahra Wagenknecht, eine der wenigen Ausnahmefiguren der Partei, hatte dieser unlängst in ihrem Buch gnadenlos die Leviten gelesen. Zu viele Lifestyle-Linke gäben den Ton an und würden, statt sich um soziale Gerechtigkeit zu kümmern, lieber moralische Haltungsnoten verteilen. Doch schwache Umfragewerte ändern nichts daran, dass die Linke jetzt die Zeit gekommen sieht für ein progressives rot-rot-grünes Bündnis. Linken-Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hat der SPD ein solches angeboten.
Susanne Hennig-Wellsow, Parteivorsitzende Die Linke: „Das Fenster ist so weit geöffnet wie noch nie. Wann, wenn nicht jetzt?“
Es ist die CDU, die – aufgeschreckt durch desaströse Umfragewerte – jetzt eine altbekannte und wohl auch letzte Karte im Wahlkampf ausspielt. Sie warnt eindringlich vor Rot-Rot-Grün. Und womöglich liegt sie damit nicht ganz falsch. Denn Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat dieses Bündnis nicht ausgeschlossen. Und seine deutlich stärker links von ihm stehende Parteispitze wird diese Option auch aufrechterhalten. Wenngleich sie an ihren Bedingungen festhält. Klares Bekenntnis zur NATO und zu Europa sowie eine solide Haushaltspolitik. Bekenntnisse solcher Art lehnte Janine Wissler hingegen noch gestern weiterhin ab. Rot-Rot-Grün. Für die einen wäre dieses linke Bündnis ein unverhoffter Traum. Für die anderen jedoch eher ein Albtraum, die Nachfahren der SED in einer deutschen Bundesregierung anzutreffen.
Appelmann: „Ja, und wir müssen, bevor wir über Rot-Rot-Grün sprechen, über eine Abstimmung im Bundestag sprechen in Richtung Afghanistan. Die Linke hat nicht dafür gestimmt, dass deutsche Bürger und Ortskräfte in höchster Not ausgeflogen werden. Wenn Sie den Vorwurf hören, Sie haben Menschen im Stich gelassen. Was sagen Sie dann?“
Al-Dailami: „Dann halte ich das wirklich für eine unverschämte Unterstellung. Insbesondere, wenn sie von diesen Parteien kommt, die uns diesen Einsatz 20 Jahre in Afghanistan eingebrockt haben. Wir sind die Partei, die von Beginn an gesagt hat: Dieser Einsatz ist falsch. Wir haben gegen jeden Einsatz, Kriegseinsatz bisher gestimmt. Und man muss dazu sagen: Die Linke hat doch am 23. Juni im Bundestag beantragt, dass wir sofort die Menschen dort rausholen, die Ortskräfte rausholen.“
Appelmann: „Ich möchte das mal ganz kurz auch ein bisschen sortieren. Denn es ging bei dieser einen Frage im Bundestag um einen Evakuierungseinsatz. Um diese Menschen in höchster Not in diesem Moment auszufliegen.“
Al-Dailami: „Nicht ganz. Also, man muss das Ganze doch etwas, wie ich finde, ausführlicher darstellen. Weil dieser Vorwurf auf einer kurz gegriffenen Analyse beruht, meines Erachtens. Erstens: Man weiß seit Februar letzten Jahres, dass die USA sich im August zurückziehen werden aus Afghanistan. Das war im Februar verabredet mit den Taliban, in Doha vertraglich verabredet. Mit dem Wissen haben wir am 23. Juni einen Antrag an die Bundesregierung gestellt, sofort die Ortskräfte rauszuholen, die Helferinnen und Helfer. Und haben sogar eine Liste vorgelegt, wann diese rauszuholen sind und welche Menschen rausgeholt werden sollen. Passiert ist nichts. Kopflos, planlos. Dann kam, mit Verlaub, der Antrag der Bundesregierung. Der eben nicht nur vorsieht, was wir sowieso gefordert haben, Menschen zu retten. Sondern was sieht dieser Antrag denn vor? Der Antrag sieht vor, dass wir Soldatinnen und Soldaten einen Monat länger in Afghanistan lassen als die USA dort sind. Das heißt, entschuldigen Sie…“
Appelmann: „Ja, um Menschen zu retten. Noch mal ganz kurz. Sie sind momentan ja noch nicht im Bundestag. Wenn Sie im Bundestag gewesen wären – Sie hätten also auch nicht dafür gestimmt?“
Al-Dailami: „Es geht nicht darum, dass man nicht dafür stimmt, Menschen nicht zu helfen. Sonst hätten wir am 23. Juni diesen Antrag nicht gestellt. Der wurde abgelehnt von der Bundesregierung mit den Stimmen der AfD. Es geht darum: Sind wir bereit, deutsche Soldatinnen und Soldaten in eine Hilfsmission zu schicken? Die wir vorher schon beantragt haben, unter sicheren Bedingungen. Wenn man weiß, die USA ziehen sich am 31. August zurück und das Mandat geht aber bis zum 30.9. …“
Appelmann: „Aber dann gab es ja später diese Abstimmung, und da…“
Al-Dailami: „Moment, das hieße doch, man würde, wenn man diesem Mandat folgt, im schlimmsten Fall akzeptieren, dass Soldaten schutzlos ohne US-Armee, die dann zurückgezogen ist, sich dort in Afghanistan aufhalten. Unter dem Verweis im Übrigen, dass wir immer deutlich machen: Es bedurfte keines militärischen Einsatzes. Indien hat zivil seine Bürgerinnen und die Helfer rausgeholt. Andere Länder haben es auch zivil getan.“
Appelmann: „Aber dann haben Sie nur taktisch gestimmt, in diesem Moment.“
Al-Dailami: „Nein, eben nicht. Es geht nicht um Taktik. Es geht darum, dass wir robuste Bundeswehrmandate im Ausland, die mit Krieg einhergehen, also auch mit den Opfern von Menschenleben, als Linke konsequent abgelehnt haben. Und auch weiter nicht zustimmen werden. Und noch mal: Zivile Evakuierungsmaßnahmen laufen jetzt über eine zivile Luftbrücke. Sie wären in dieser ganzen Zeit auch möglich gewesen, weil Indien und andere Länder das getan haben. Es bedurfte also unseres Erachtens keines robusten Mandates der Bundeswehr, wo noch mal die Bundeswehrsoldaten einen Monat länger da sein sollen als die anderen Länder, die schon längst abgezogen sind.“
Appelmann: „Wie gut diese zivile Luftbrücke funktioniert, bleibt abzuwarten. Lassen Sie uns über Rot-Rot-Grün sprechen. In Ihrem Regierungsprogramm von gestern haben Sie kein Wort über die NATO verloren. Wollen Sie die NATO nun auflösen, wie es im Wahlprogramm steht? Oder wollen Sie sie nicht auflösen, um Ihre Regierungsoption zu behalten?“
Al-Dailami: „Zunächst einmal: Diese Form der Politik, zu sagen, eine Partei muss sich erst einmal zu gewissen Dingen derart bekennen, damit überhaupt eine Option möglich ist, halte ich ehrlich gesagt für schwierig und unseriös. Zur NATO als solche…“
Appelmann: „Aber das war Ihr Wahlprogramm, Entschuldigung. Da steht ja drin, dass Sie die NATO auflösen wollen.“
Al-Dailami: „Ja, aber die Tatsache, dass man von uns jetzt Bekenntnisse fordert, dass wir sagen, wir bleiben definitiv in der NATO, damit es Rot-Rot-Grün gibt. Ich glaube nicht, dass das erstens das ist, was die Menschen da draußen hauptsächlich interessiert. Sondern sie wollen wissen, wie wir den Staat zukunftssicher machen und sozial so gestalten, dass sie davon leben können, von ihrer Arbeit. Und zur NATO als solche, wie es in dem Papier dargestellt wird, ist es Folgendes: Wir erleben doch, dass die NATO… Alle Kriegseinsätze der NATO der letzten 20 Jahre sind tatsächlich kontraproduktiv gewesen und haben eher zum Erstarken des Terrors beigetragen. Der IS wäre ohne den Afghanistan-Einsatz gar nicht entstanden.“
Appelmann: „Okay, aber können wir es kurz machen. Sie bleiben dabei, die NATO soll aufgelöst werden?“
Al-Dailami: „Ich führe das auf. Wir wollen die NATO umwandeln in ein Sicherheitskollektiv unter Einbindung von Russland, in ein Verteidigungssystem. Wo es darum geht, eben keine Interventionskriege zu führen, keine Angriffskriege zu führen. Sondern eine kollektive Sicherheit. Und wir bleiben auch dabei. Man muss mit Russland kooperieren und das würde am besten gehen, wenn man die NATO umwandeln würde. Und im Übrigen, ein erster Schritt wäre zum Beispiel, dass man sagt, man verständigt sich darauf, die militärischen Strukturen der NATO zu verlassen. So wie es Frankreich über mehrere Jahrzehnte getan hat. Und davon ist die Welt auch nicht untergegangen. Wir müssen uns doch wirklich ernsthaft Gedanken machen, nach 20 Jahren Afghanistan und NATO-Bündnisse, ob das der richtige Weg ist. Hat es die Welt sicherer gemacht? Ich persönlich sage Nein. Und wir müssen dringend umdenken und umschalten, damit wir global friedliche Verhältnisse herstellen können. Und das geht meines Erachtens nicht mit der NATO.“
Appelmann: „Ihre Co-Vorsitzende, wir haben es gerade im Beitrag gesehen, hat gesagt, das Fenster ist so weit offen wie nie in Richtung Rot-Rot-Grün. Was begründet denn diesen Optimismus?“
Al-Dailami: „Zunächst einmal die arithmetischen Mehrheiten, die da sind. Einerseits. Zum Zweiten haben wir doch festgestellt, dass es Bewegungen bei SPD und Grünen gab. SPD und Grüne haben ja jahrelang erzählt, die Linke sei nicht regierungsfähig, mit ihr könne man nicht regieren. Wir erleben jetzt faktisch, dass diese Aussagen so nicht mehr stattfinden. Das heißt, die SPD und die Grünen, beide sind offen für eine solche Koalition. Und das ist erst mal ein richtiger Weg, den sie eingeschlagen haben. Weil das einfach die Widerspiegelung der Mehrheitsverhältnisse ist.“
Appelmann: „Aber sie fordern ja ganz klar Kompromisse, müssen wir auch dazu sagen.“
Al-Dailami: „Alle müssen Kompromisse eingehen. Wir regieren ja zum Beispiel auch in Landesparlamenten mit. Oder, ich komme aus Gießen, da haben wir kürzlich…“
Appelmann: „Aber in Sachen NATO machen Sie keinen Kompromiss?“
Al-Dailami: „Na ja, ich habe doch einen Vorschlag gemacht. Wir könnten zum Beispiel dahingehend einsteigen, dass wir aus den militärischen Strukturen der NATO aussteigen. Und das wäre der Einstieg, um diese NATO vielleicht umzuwandeln in ein Sicherheitskollektiv.“
Appelmann: „Gerade im Hinblick auf ein mögliches Regierungsbündnis schauen wir jetzt rein ins Wahlprogramm. Und darin steht, dass die Linken einfach immer mehr fordern als andere Parteien. Mehr Mindestlohn, mehr Steuern, aber keine Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir waren beim Wahlkampftermin in Gießen dabei.“
Beitrag 2:
Ali Al-Dailami, Die Linke, Spitzenkandidat der Linken Hessen für die Bundestagswahl 2021: „Da geht es jetzt darum, dass wir für diese Hauptwahlkampfveranstaltung hier in Gießen irgendwie schauen, dass wir mobilisieren.“
Ali Al-Dailami bespricht sich mit seinem Wahlkampfteam. Was steht in den kommenden Tagen an? Welche Akzente will man setzen? Wer übernimmt welche Aufgaben? Für heute heißt es erst einmal: Wahlbroschüren verteilen. Dabei ist sich der Bundestagskandidat der Linken nicht zu schade, selbst von Briefkasten zu Briefkasten zu laufen. Zumal er sich hier auskennt. Die Gießener Nordstadt, ein sozialer Brennpunkt. Hoher Anteil an Migranten, viele Menschen arbeitslos und ohne Perspektive. Auch Ali Al-Dailami hat früher hier gewohnt, war selbst Hartz-IV-Empfänger. Er kennt die Sorgen und Nöte der Menschen im Viertel. Besuch bei Bärbel Weigand und Christoph Geist in der Werkstattkirche. Einem sozialen Projekt, das sich ausschließlich durch Spenden finanziert und sozial benachteiligte Menschen unter anderem mit einem Umsonstladen und kostenlosem Mittagessen unterstützt.
Ali Al-Dailami, Die Linke, Spitzenkandidat der Linken Hessen für die Bundestagswahl 2021: „Was ist denn, so aus eurer Warte gesehen, so die Erwartungshaltung an die Politik? Was sind die drängendsten Themen? Themen, die ihr quasi uns als Politikern jetzt stellt?“
Christoph Geist, Werkstattkirche Gießen: „Ja, das ist die Armut in ihren verschiedenen Ausprägungen. In unseren Augen wissen viele Politikerinnen und Politiker gar nicht, wie es den Menschen geht. Sie sind zu weit weg von den Menschen. Die Menschen haben das Gefühl, dass ihre Meinung nichts zählt, dass ihre Meinung nicht gefragt wird.“
Ali Al-Dailami, Die Linke, Spitzenkandidat der Linken Hessen für die Bundestagswahl 2021: „Auch eine meiner Sorgen, die mich umtreiben, ist natürlich, dass mittlerweile 20, 25 Prozent der Menschen nicht wählen gehen. Und überall dort, wo ein sozialer Brennpunkt ist, sogar noch mehr.“
Das Wahlprogramm der Linken ist an vielen Stellen sehr konkret. So will sie den Mindestlohn auf 13 Euro pro Stunde anheben und mindestens 36 Tage Jahresurlaub durchsetzen. Bei der Einkommensteuer will sie Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Im Gegenzug will sie eine Vermögensteuer einführen und eine Vermögensabgabe erheben, die bis zu 30 Prozent betragen soll. Die Linke fordert einen Mietendeckel und eine Absenkung hoher Mieten. Jedes Jahr sollen bis zu 250.000 neue Sozialwohnungen entstehen. Die Linke will Energiekonzerne verstaatlichen und bis 2035 den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien decken. Der öffentliche Personennahverkehr soll für die Nutzer kostenlos werden. Die Linke fordert eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen, lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab und will das westliche Verteidigungsbündnis NATO auflösen. Zurück in der Nordstadt. Nach dem Besuch der Werkstattkirche steht für Ali Al-Dailami noch ein Gespräch mit dem Reporter einer Gießener Tageszeitung auf dem Programm. Auch hier macht der Bundestagskandidat der Linken noch einmal deutlich, worum es ihm in der Politik in erster Linie geht: Um die Bekämpfung von Armut und um mehr soziale Gerechtigkeit.
Appelmann: „Eines muss man Ihnen lassen. Das Programm unterscheidet sich stark von den Programmen der anderen Parteien. Wir haben es gerade eben gehört. Den höchsten Mindestlohn, die meisten Urlaubstage fordern Sie. Dadurch steigen doch aber die Produktionskosten der deutschen Unternehmen. Sie fallen im Wettbewerb zurück und Arbeitsplätze gehen verloren. Finden Sie das gut?“
Al-Dailami: „Na ja, das hat sich schon mal als nicht wahr erwiesen. Das sind genau dieselben Argumente, die ja vorgeführt worden sind, als wir überhaupt den Mindestlohn gefordert haben. Da hieß es, die Arbeitsplätze werden sinken, die Produktivitätsrate wird sinken. Und die Unternehmen wären dann nicht mehr konkurrenzfähig. Das stimmt so unseres Erachtens nicht und ist auch so nicht eingetroffen, ganz im Gegenteil. Institute legen ja dar: Ein Mindestlohn, der bei 13 Euro liegt, der im Übrigen dazu führt, dass man nach 40 Arbeitsjahren überhaupt über die Grundsicherung im Alter kommt… Ich finde, es ist auch eine Frage von Würde denjenigen gegenüber, die hart gearbeitet haben.“
Appelmann: „Das ist auch nicht diskutierbar bei Ihnen?“
Al-Dailami: „Nein, was heißt nicht diskutierbar. Die SPD fordert 12 Euro. Das ist schon mal ein Riesenschritt, auch auf uns zu. Und da können wir uns gerne auch in der Mitte treffen. Wir sagen aber, wir wollen Löhne, von denen Menschen leben können. Und wir wollen Löhne, von denen Menschen später im Alter nicht arm sind.“
Appelmann: „Jetzt kommen wir zum großen Komplex Steuererhöhungen. Nur zwei Zahlen. Die zehn Prozent Top-Verdiener zahlen jetzt schon 55 Prozent der Einkommensteuer. Sie wollen die Steuern erhöhen. Spitzensteuersatz nach oben schrauben. Reichensteuer, Vermögensteuer neu einführen. Sie wollen die Vermögensabgabe. Man gewinnt den Eindruck, die Leistungsträger dieser Republik, die zählen gar nicht.“
Al-Dailami: „Gut. Also, für mich sind die Leistungsträgerinnen und -träger, die morgens aufstehen, zur Arbeit gehen. Oder Soziale Arbeit vor Ort tun.“
Appelmann: „Das tun die aber auch.“
Al-Dailami: „Das ist auch richtig so, genau. Aber man muss wissen, dieses Einkommen ist nicht durch eigene Hände erarbeitet. Sondern die Frage ist: Wo kommt denn dieses Geld her? Und ich kann nur als ein Beispiel nennen, Gewinne über Aktiengewinne. Milliarden werden da eingestrichen und man bezahlt nur 25 Prozent Steuer darauf. Während die einfachen Malocher bis zu 43 Prozent gerade zahlen.“
Appelmann: „Sie gehen jetzt gleich schon wieder auf die Superreichen. Ihr Spitzensteuersatz setzt bei 70.000 Euro an. Der Facharbeiter muss dann 53 Prozent Steuern zahlen.“
Al-Dailami: „Nicht ganz. Wir sagen ganz klar, alle bis 6500 Euro brutto werden bei uns entlastet. Das sind 94 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und ja, alle anderen, alle, die über 6500 brutto verdienen im Monat, die werden unserem Konzept nach schrittweise belastet. Das ist ein Konzept, das sagen wir sehr offen auch, wen es belastet. Und dazu stehen wir. Und ich stelle noch mal infrage: Ob das die Leistungsträgerinnen und -träger sind, lasse ich mal da stehen. Die Frage ist doch: Wenn der hohe Anteil an Einkommensteuer so hoch ist und so erschlagend, drückend für sie wäre, wie kann es dann sein, dass wir im Rahmen der Coronakrise 70.000 neue Millionäre hinzugewonnen haben? Wie kann es sein, dass das Durchschnittsvermögen der Milliardäre in der Krise um durchschnittlich pro Milliardär eine Milliarde gestiegen ist?“
Appelmann: „Wir haben ja noch eine andere Regierung. Das ist ja das, was in Zukunft käme. Lassen Sie uns auf dieses Thema kommen, was hinter Ihnen steht. Die Vermögensteuer jetzt, sagen Sie. Die trifft ja die Unternehmer. Das sind die Arbeitgeber, das sind die Menschen, die in Deutschland für Jobs zuständig sind. Einer der Top-Wirtschaftswissenschaftler von Deutschland, Clemens Fuest vom ifo Institut, sagt: „Eine Vermögensteuer wirkt krisenverstärkend.“
Al-Dailami: „Richtig. Es gibt auch andere Experten, die das anders sehen. Die Frage ist natürlich: Wo setzt man an? Und wir sagen, erstens gibt es sowieso Freivermögen für Betriebsvermögen. Man sollte jetzt nicht so tun, als würden wir irgendwie jedes kleine Unternehmen sofort mit einer Vermögensteuer belasten. Es geht uns erst mal um das reine Nettovermögen auf den Konten der Superreichen in diesem Lande, der reichsten Menschen. Und wir sagen, ab der zweiten Million wollen wir ein Prozent Vermögensteuer. Und das ist nicht zu viel verlangt. Und im Übrigen darf ich daran erinnern, dass wir in Deutschland schon mal die Vermögensteuer hatten, die wesentlich höher war. Und ich will daran erinnern, dass wir eine einmalige…“
Appelmann: „Die aber gekippt wurde, vom Verfassungsgericht.“
Al-Dailami: „Die gekippt wurde, vom Verfassungsgericht. Mit der Begründung, dass die Politik die Immobilien gegenüber dem Geldvermögen bevorzugt hat. Und die Politik war aufgerufen, das zu korrigieren. Stattdessen hat sie es abgeschafft. Das heißt, die Politik hat ja eigentlich Schindluder betrieben und eine Politik zugunsten der Superreichen betrieben. Und deshalb wollen wir die Vermögensteuer wieder einführen. Im Übrigen…“
Appelmann: „Es ist halt schwierig, von den Superreichen zu sprechen, wenn das schon bei über 6500 pro Monat einsetzt.“
Al-Dailami: „Das ist die Einkommensteuer, noch mal. Da geht es drum, bei der Einkommensteuer werden alle…“
Appelmann: „Da geht es um den Spitzensteuersatz, zum Beispiel, der nach oben geschraubt wird.“
Al-Dailami: „Na ja, genau. Aber Einkommen- und Vermögensteuer sind zwei Paar Schuhe. Wie gesagt, ab 6500 Euro brutto wird jemand bei der Einkommensteuer belastet, alle drunter entlastet. Wir wollen die Vermögensteuer, ab der zweiten Million ein Prozent. Und wir wollen eine Vermögensabgabe. Und ich sage Ihnen, bei der Vermögensabgabe treffen wir die 400.000 reichsten Haushalte in Deutschland, mit einem Vermögen über 2,5 Millionen.“
Appelmann: „Ja, und das sind die Arbeitgeber, das sind die Unternehmer in Deutschland. Und die haben jetzt schon schwierige Rahmenbedingungen. Lassen Sie ganz kurz mal die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände zu Wort kommen. Denn die sagen auch etwas zu Rahmenbedingungen in Deutschland.“
Clemens Christmann, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: „Seit Jahrzehnten ist in ganz vielen Ländern klar, dass immer dann, wenn der Staat es den Unternehmern leicht macht zu investieren, wenn er die Steuern senkt, die Unternehmenssteuern runtersetzt, dann wird hier mehr investiert. Dann gehen Menschen mehr ins Risiko, übernehmen private Haftung und dann werden neue Maschinen, neue Fabriken erstellt oder in Mitarbeiterqualifikationen wird investiert. Aber das muss sich auch lohnen. Und wenn der Staat es verteuern würde, wie es die Linke und SPD und Grüne wollen, dann wird eben weniger investiert.“
Appelmann: „Ja, ganz einfach. Steuern hoch, weniger wird investiert.“
Al-Dailami: „Würde ich als Unternehmer auch sagen, damit ich natürlich nicht höhere Steuern bezahlen muss. Und wie gesagt, ich bezweifle, dass wirklich nur Unternehmerinnen und Unternehmer die Leistungsträger per se sind. Das sehe ich nicht so. Und noch mal, ich habe vorhin dargestellt, wie viel Vermögen in diesem Lande daliegt. Und ich finde, man muss dort ansetzen, wo es am wenigsten wehtut. Und das sind die Menschen mit Millionenvermögen auf den Konten.“
Appelmann: „Sagt Ali Al-Dailami, der heute Gast war. Stellvertretender Bundesvorsitzender und Listenplatz zwei in Hessen für die Linke. Dankeschön.“
Al-Dailami: „Danke.“