Corona-Spaziergänge – im Studio Innenminister Roger Lewentz

Montag für Montag gehen sie spazieren. Sie wollen damit sagen: Wir sind gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und wir sind gegen eine mögliche Impfpflicht. Über 25.000 Menschen in unserem Sendegebiet sind auch gestern wieder auf die Straße gegangen, um ihren Unmut kundzutun. Darüber sprechen wir gleich mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz. Warum tritt die Politik nicht mehr in den Dialog mit den Bürgern, die demonstrieren?

Die Stadt Worms am Wochenende: Etwa 150 Menschen gehen hier „spazieren“, wie sie sagen. Ihre Protestaktion ist rechtlich zulässig. Die Polizei begleitet den Aufzug quer durch die Stadt. Die meisten dieser Spaziergänger wollen ein Zeichen gegen die Impfpflicht setzen.
Spaziergänger:
„Ich möchte zeigen, dass ich für die Freiheit bin und für die Menschenrechte, dass die bleiben in der ganzen Welt und dass die Menschen frei über ihre eigene Gesundheit entscheiden können.“
„Ich sehe meine Freiheit stark eingeschränkt und die gesellschaftliche Freiheit auch sehr bedroht.“
„Und ich denke, das wollen alle, die an so einem Spaziergang teilnehmen. Die wollen einfach ihr Leben zurück.“
„Ich finde dieses Gegeneinander furchtbar. Und dass jeder immer sagt: ‚Das sind die Rechten‘. Das ist Quatsch.“
Laut Deutscher Polizeigewerkschaft seien vereinzelt auch Rechtsextreme und Reichsbürger auf den Spaziergängen anzutreffen. Eine Unterwanderung durch diese Gruppierungen sehen sie allerdings nicht.
Patrick Müller, Deutsche Polizeigewerlschaft Rheinland-Pfalz
„Der Großteil, unserer Einschätzung nach, sind normale Bürgerinnen und Bürger, die irgendwelche Sorgen haben. Sei es Angst vor der Impfung, sei es Existenzangst, weil ihre Arbeit bedroht ist. Das sind ganz verschiedene Leute drunter. Teilweise würde ich auch sagen, wo man eher denkt, die sind ins linke Lager einzuordnen, so Esoteriker, die mehr so ans Ökologische glauben. Auch die sind teilweise darunter.“
Bei der Protestaktion gelten die Maskenpflicht und das Abstandsgebot. Sechs Ordnungswidrigkeiten registriert die Polizei an diesem Tag, ansonsten bleibt es friedlich.
Mancherorts kommt es hingegen zur direkten Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Polizeibeamten, wie hier bei einer Versammlung in Fulda Anfang Januar. Ein Polizist wird verletzt. In Koblenz kocht die Stimmung kurzzeitig über, als die Polizei eine verbotene Versammlung auflösen will. Die Beamten registrieren zahlreiche Verstöße gegen das Versammlungsverbot.
Auseinandersetzungen wie diese sind laut Gewerkschaft zumindest in Rheinland-Pfalz zurzeit nicht an der Tagesordnung. Probleme gebe es allerdings bei der Durchsetzung der Maskenpflicht.
Patrick Müller, Deutsche Polizeigewerlschaft Rheinland-Pfalz
„Ich habe da das Gefühl, dass die Leute, die normal nichts mit der Polizei zu tun haben, einfach nicht wissen, wie das normal abläuft. Dass da die Personalien festgestellt werden, dass eine Ordnungswidrigkeitenanzeige geschrieben wird, und die sind dann völlig überrascht, dass die Polizei auf die zukommt. Und da kann es doch schnell mal zu Solidarisierungseffekten kommen, dann wird die Polizei umringt, es gibt Sprüche und es kann sich schnell hochschaukeln.“
Gestern registrierte die Polizei in Hessen 137 meist unangemeldete Zusammenkünfte, an denen sich knapp 16.500 Personen beteiligten. In Rheinland-Pfalz waren es 85 Aktionen mit etwa 9.000 Teilnehmern.
Markus Appelmann, Moderator: Wieder sind 9.000 Menschen auf die Straße gegangen, sogenannte Spaziergänger. Darüber sprechen wir mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz. Herzlich willkommen!
Roger Lewentz, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz: Vielen Dank!
Appelmann: Es herrscht einige Verwirrung über den Umgang der Polizei mit diesen Spaziergängern. Manchmal greift die Polizei ein, manchmal greift sie nicht ein. Warum gibt es da keine einheitliche Linie?
Lewentz: Weil jede dieser Versammlungen auch einzeln zu betrachten ist. Das gibt das Versammlungsrecht vor. Es gibt ganz eindeutige höchstrichterliche Entscheidungen, dass eine Auflösung erst ganz am Schluss stehen kann, und dafür muss es dann auch jeweils Gründe geben. Aber wir haben als Polizei, das darf man sagen, diese Versammlungen im Griff. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir fahren einen sehr hohen Kräfteansatz, 1.400 Polizeibeamtinnen / Polizeibeamte, das fordert unsere Polizistinnen und Polizisten ganz ungemein. Und es kommt hier und da auch zu Beleidigungen, zu Anpöbeleien bis hin zu mindestens Rangeleien. Und da ist die Polizei schon sehr gefordert. Aber sie hat die innere Sicherheit im Griff.
Appelmann: Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt zu der Einschätzung, dass die Spaziergänger, der überwiegende Teil zumindest, ganz normale Menschen seien, ohne extremistischen Hintergrund. Da ist es doch Ihre Aufgabe, die Aufgabe der Politik, mit diesen Menschen zu sprechen.
Lewentz: Also da, wo man Menschen noch erreichen kann, bin ich der festen Überzeugung, dass wir das auch tun müssen. Selbst ich führe viele Diskussionen im Bekanntenkreis oder bei Begegnungen mit Menschen, die zweifeln an den Entscheidungen, die wir vorgeben. Das ist ein Wesen der Demokratie, das ist Meinungsfreiheit, das ist vollkommen in Ordnung.
Leider werden wir an die meisten der Menschen, die dort mitmarschieren, im Augenblick auch in der Frage der Diskussionsebene, Auge in Auge überhaupt nicht rankommen, weil die haben ein ganz eigenes Weltbild. Sie haben das ja eben auch gezeigt. Und das Weltbild setzt darauf auf, als ob wir Regierungen in der Welt diese Pandemie eingeführt hätten, um mit dem Volk irgendetwas zu machen.
Appelmann: Da waren aber auch ganz andere Stimmen, ich würde mal sagen, wirklich von diesen normalen Bürgern, wie wir es gerade gehört haben. Haben Sie die zum Teil aufgegeben? Das klingt so zumindest.
Lewentz, Nee, wir geben die garantiert nicht auf. Es ist ja insgesamt eine Demonstrationslage – 9.000 Menschen ist durchaus eine stattliche Zahl, aber es ist im Verhältnis zu 4,1 Millionen Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern ein verschwindend kleiner Teil. Das muss man auch sagen. Und da gibt es eine Schnittmenge, wo ich sage: Die erreichen wir nicht. Das ist so. Aber da gibt es auch eine Menge, mit der wir auch bereit sind, zu diskutieren, wenn sie das dann auch wollen. Aber was willst du denn in einer Diskussion bewirken wollen, wenn jemand sagt: „Ihr implantiert uns Chips, ihr habt diese Pandemie ganz bewusst steuernd dem Volk übergezogen“? Das ist ja keine Ebene mehr, wo man sich gegenseitig noch erreichen kann.
Appelmann: Immer wieder wird gesagt, dass diese Menschen auch zusammen mit Rechten auf die Straßen gehen, dass diese Demonstrationen von Rechten unterwandert werden. Aber viele Menschen wollen doch einfach nur ihren Missmut kundtun. Die können doch gar nicht wissen, ob da Rechte mitmarschieren.
Lewentz: Na ja, sie werden ja eingeladen. Sie treffen sich ja nicht in einer Anzahl von 1.000 und mehr zufällig in Koblenz, weil alle zur gleichen Zeit zufällig in Zweiergruppen spazieren gehen wollten. Sie laufen Einladungen hinterher und bei Telegram kann man sehen, wie die motiviert sind. Wenn ich jetzt mir zum Beispiel die Freien Pfälzer herausnehme oder da, wo der „ritte Weg aufruft, oder da, wo auch AfD unterweg ist, das ist politisch und das ist teilweise auch extrem und extremistisch politisch. Das muss man sich allerdings vorher genau anschauen, muss überlegen, mit wem man und hinter wem man her läuft.
Appelmann: Sie haben gerade die Polizisten auch angesprochen. 1.400 Kräfte, haben Sie uns gerade eben gesagt, waren am Montag auch wieder dabei. 9.000 Demonstranten waren auf der Straße. Wie lange kann das die Polizei überhaupt noch leisten? Die ist doch sicher an der Belastungsgrenze.
Lewentz: Also, die Polizei ist sehr belastet. Jede einzelne Polizistin, jeder einzelne Polizist. Wir haben ja ein schon herausforderndes Jahr mit Pandemie, mit Sonderkontrollmaßnahmen. Wir haben einen hohen Kräfteansatz über Wochen und Monate im Ahrtal eingesetzt und jetzt kommen diese flächendeckenden Demonstrationen hinzu.
Es bewährt sich, dass wir die Rekordzahlen an Polizistinnen und Polizisten im Land haben. Da sind wir jetzt wirklich an der Stelle so aufgestellt, dass wir vieles bewältigen können. Und es wird ja durch die hohen Einstellungszahlen noch weiteren verstärkenden Zulauf geben. Wir werden 2024 10.000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte erstmals haben. Aber ganz klar ist: Für jede einzelne, für jeden Einzelnen ist das eine enorme Herausforderung und Belastung.
Appelmann: … sagt der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz. Danke, dass Sie heute da waren.
Lewentz: Danke.