Bundesweite Razzien gegen „Hate Speech“

Mit einer bundesweiten Razzia sind Ermittler heute gegen Verfasser von „Hate Speech“ im Internet vorgegangen. Alleine in Rheinland-Pfalz waren über 100 Beamte im Einsatz. Grund dafür waren Hass-Nachrichten, die Personen nach den Morden an zwei Polizisten in Rheinland-Pfalz im Januar verfasst hatten. In Mainz haben die Ermittler heute erste Ergebnisse vorgestellt.

75 Wohnungen wurden bundesweit durchsucht, so schildert es heute der Vizepräsident des Landeskriminalamtes in Mainz. In Rheinland-Pfalz gingen die Beamten heute gegen elf Personen vor, in Hessen gegen sehcs. Viereinhalb Monate lang hatte die Ermittlungsgruppe „Hate Speech“ über 1.700 gemeldete Hassnachrichten ausgewertet, von denen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft 536 strafrechtlich relevant sind.
Achim Füssel, Vizepräsident Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz
„Die Ermittlungsgruppe ‚Hate Speech‘ hat die sozialen Netzwerke mit gewissen Schlagworten durchsucht und dabei die Hasskommentare oder auch die Likes festgestellt. Hinzu kamen aber auch Hinweise aus den Länderpolizeien und auch aus der Bevölkerung. Es war also eine Zusammenfügung von verschiedenen Quellen.“
Bei den Verdächtigen seien Datenträger sichergestellt worden, aber auch Waffen und NS-Devotionalien. Dieser gezielte Schlag gegen Hassrede ist bislang einzigartig und soll vor allem Nachahmer abschrecken, so der Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer. Solche Verunglimpfungen müssten mit aller Schwere bestraft werden, weil sie im Internet ein großes Publikum erreichen.
Jürgen Brauer, Generalstaatsanwalt Koblenz
„Wenn beispielsweise in der Gaststätte gepöbelt wird oder der Nachbar über den Zaun geringfügig beleidigt wird, dann kann man jetzt nicht davon ausgehen, dass sich der Staat darum kümmert. Aber wenn eine große Öffentlichkeitswirksamkeit hergestellt wird und es üble Beleidigungen sind, dann werden wir diese, egal wer Opfer ist, verfolgen.“
Im Falle einer Verurteilung drohen den Verfassern von Hassnachrichten empfindliche Strafen. Ihnen werden die Billigung von Straftaten und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener vorgeworfen.
Jürgen Brauer, Generalstaatsanwalt Koblenz
„Hauptsächlich geht es um zwei Straftatbestände, die beide Freiheitsstrafe androhen, bis zu drei Jahren oder Geldstrafen. Was im Einzelnen dann derjenige dann an Strafen zu erwarten hat, das hängt von vielen Umständen ab, insbesondere Vorstrafen, Vorkenntnisse, gibt es ein Geständnis und so weiter.“
Dass trotz der großen Anzahl an kriminellen Kommentaren und Likes heute „nur“ 75 Durchsuchungen stattgefunden haben liegt daran, dass noch nicht alle Postings realen Personen zugeordnet werden konnten. Die Ermittlungen laufen weiter.
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Eva Dieterle. Moderatorin: Und dieses Thema vertiefen wir jetzt noch mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz, Guten Tag.
Roger Lewentz, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz: Schönen guten Tag, liebe Zuschauerinnen, Zuschauer
Dieterle: Herr Lewentz, ist es inzwischen stärker ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen, das „Hate Speech“ kein Kavaliersdelikt ist. Wie schätzen Sie das ein?
Lewenetz: Ich glaube, dieses schreckliche Ereignis, das ja dem heutigen Durchsuchungstag zugrunde liegt, die Ermordung einer jungen Polizeibeamtin, eines jungen Polizeibeamten auf eine unglaublich brutale Art und Weise, ist ja ins Bewusstsein von allen gelangt. Und die Familien, die Polizeien in Deutschland haben so viel Anteilnahme erfahren. Aber in einem kleinen Bereich auch sehr, sehr viel Hass und Hetze erleben müssen. Und ich glaube, das ausschlaggebende Ereignis hat jede und jeder mitbekommen. Und dass wir heute reagieren, das merken die Menschen auch. Das sind lange Ermittlungen, die dem zugrunde liegen. Und heute gab es dann 75 Durchsuchungen und das ist ja noch nicht das Ende der Strafverfolgung.
Dieterle: Viele begehen diese Straftaten, weil sie sich in dieser Anonymität im Netz sicher fühlen. Wie schwer ist es für die Ermittler herauszufinden, wer dahinter steckt?
Lewentz: Also, wir haben rund 50% der strafbewehrten Kommentierungen aufklären können und mit einem Klarnamen versehen können – jetzt schon 50%. Die Verfahren laufen ja weiter. Da wird noch einiges dazukommen. Aber genauso klar ist auch: Es gibt einen Teil von Telemedien-Anbietern, die meistens ihren Sitz im Ausland haben, die nicht kooperieren, die keine Klarnamen, die keine entsprechenden Adressen bekannt geben Und dann ist es auch für Strafermittlungen in Deutschland sehr, sehr schwierig. Aber es gibt auch einen größeren Teil, der uns sehr stark unterstützt und deswegen konnten wir die Klarnamen recherchieren. Und es gibt auch rund 60 Personen, die mit Klarnamen von Anfang an agiert haben. Da sind wir natürlich schnell unterwegs.
Dieterle: Brauchen die Ermittler in Deutschland noch bessere gesetzliche Grundlagen, um stärker gegen Hass im Netz vorgehen zu können?
Lewentz: Ja, es gibt ja Grundlagen, die ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurden, die jetzt noch einmal auch gerichtlich überprüft werden, und am Schluss werden wir in diesen Fragen natürlich international unterwegs sein müssen, weil viele Telemedien-Anbieter sozusagen ihren Sitz im Ausland haben und dort für die deutschen Behörden eine Strafverfolgung nur sehr, sehr schwer umsetzbar ist, wenn die nicht mitmachen. Und deswegen: Das eine – die deutsche Gesetzgebung nach vorne entwickeln -, das läuft und ich hoffe, wir kommen zu einem guten Ergebnis. Und das andere ist, internationale Vereinbarungen treffen.
Dieterle: Das waren heute erste Ermittlungs-Ergebnisse, die vorgestellt worden sind. Wie geht es weiter? Läuft diese Ermittlungs-Gruppe unbegrenzt?
Lewentz: Ob sie unbegrenzt läuft, das sei mal dahingestellt. Aber ich habe auch das Signal heute ganz deutlich gegeben. Es ist keine einmalige Ermittlungssituation – einmalig bezogen auf den Mord der jungen Polizeibeamtin, an dem jungen Polizeibeamten -, sondern wir stellen Hass und Hetze im Netz an vielen Stellen fest. Und wir haben jetzt „Kontra Hass RLP“ initiiert, wo wir Hilfsorganisationen, die Strafverfolgung, die Polizei zusammenschließen, wo man im Netz direkt die Informationen bekommt, die man braucht, wo man sofort zur Online-Ware verlinkt wird, dass man unmittelbar eine Anzeige machen kann und das ist enorm wichtig. Weil viele Menschen empört es, wie manche glauben, sich im Netz austoben zu können.
Dieterle: Herr Lewentz, vielen Dank für das Interview.
Lewentz: Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche Ihnen alles Gute.