Bundestagswahl 2025: Zu Gast im Studio: Anna Lührmann (Bündnis 90 / Die Grünen)

Wir sprechen mit den Spitzenkandidaten der Parteien aus Hessen und Rheinland-Pfalz. Den Auftakt heute machen die hessischen Grünen. Ihre Kandidatin auf Listenplatz 1 für die Bundestagswahl ist Anna Lührmann.

 

Anna Lührmann, 41 Jahre alt. Geboren im mittelhessischen Lich, aufgewachsen in Kassel, ist ihre Heimat mittlerweile der Main-Taunus-Kreis, wo sie heute mit den Bürgern ins Gespräch kommt.
Schon früh engagiert sich Lührmann für den Naturschutz, tritt mit 15 bei Bündnis 90 / Die Grünen ein. Mit 19 Jahren wird Anna Lührmann dann die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. 2021 wird sie erneut ins Parlament gewählt und zur Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt ernannt.
Nun will sie wieder in den Bundestag einziehen und ist deshalb in ihrem Wahlkreis unterwegs. Am Infostand, auf der Straße, auf dem Wochenmarkt.
Anna Lührmann (Bündnis 90 / Die Grünen), Spitzenkandidatin Hessen
„Der persönliche Kontakt ist wichtig, damit ich mitbekomme, was die Menschen umtreibt. Damit ich natürlich auch unsere Positionen erklären kann. Und einfach auch um zu hören, was wir in Berlin gut oder nicht so gut machen.“
Feedback bekommt die Grünen-Kandidatin heute reichlich. Allerdings nicht immer positives.
Horst Hüttmann
„Wir sind auf jeden Fall froh, dass es die Grünen gibt. Ob ich die jetzt wirklich wähle, des weiß ich noch nicht genau.“
Gisela Wolf
„Ja, ich wähle die Grünene weil das die einzige Partei ist, die sich überhaupt noch um die Umwelt kümmert.“
Dieter
„Bei der Migration – auf wirkliche Probleme, die es ja gibt – wird überhaupt nicht Rücksicht genommen, die werden überhaupt nicht erwähnt. Also ich finde die Grünen wirklich unterkomplex, in weiten Teilen verlogen.“
Da müssen die Grünen bis zur Wahl also noch Überzeugungsarbeit leisten. Doch das wird gelingen, da ist Anna Lührmann zuversichtlich.
Eva Dieterle, Moderatorin::
Ja, und jetzt ist sie bei mir im Studio. Anna Lühmann. Guten Abend, herzlich willkommen.
Anna Lührmann (Bündnis 90 / Die Grünen), Spitzenkandidatin hessen:
Guten Abend.
Dieterle:
Wir haben es gerade gehört, Sie sind 41 Jahre alt, und Ihre politische Karriere dauert schon Ihr halbes Leben lang. Deswegen an Sie auch die Frage: Wenn Sie zwischen damals und heute die größten Unterschiede festmachen müssten, welche wären das?
Lührmann:
Na ja, als ich das erste Mal im Bundestag war, zwischen 2002 und 2009, da gab es ja noch gar keine sozialen Medien. Ich hatte damals eine Homepage, das war modern, und damit war ich Vorreiterin. Und durch die sozialen Medien hat der Hass und die Hetze auch sehr stark zugenommen. Wir haben jetzt auch die AfD im Bundestag und gerade der Tonfall, den die immer wieder gegenüber jungen Frauen an den Tag legen, ist wirklich besorgniserregend. Das heißt, es ist wirklich insgesamt etwas rauer geworden.
Dieterle:
Einfacher ist es auf jeden Fall nicht geworden. Deshalb machen wir hier jetzt auch gleich mit einem sehr komplexen, aber auch sehr, sehr wichtigen Thema weiter, das die Menschen gerade umtreibt wie kein anderes. Und das ist die Migrationspolitik.
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Beim Thema Migration sind die Grünen in die Defensive geraten. Am 22. Januar ersticht ein ausreisepflichtiger Afghane in Aschaffenburg einen zweijährigen Jungen und einen Mann, der dem Kind zu Hilfe eilen will.
Die Union setzt deshalb am vergangenen Mittwoch im Bundestag – auch mit Stimmen der AfD – einen Appell an die rot-grüne Bundesregierung durch. Danach sollen sofort alle Flüchtlinge an den Grenzen zurückgewiesen werden. Diese Maßnahme sei rechtlich zulässig, denn Deutschland befinde sich in einem Notstand. Doch nach Ansicht der Grünen verstieße ein solcher Migrationsstopp gegen EU-Recht. Es sei außerdem ein Tabubruch, dass die Union die Zustimmung der AfD in Kauf nehme.
In ganz Deutschland kommt es daraufhin zu Protestaktionen – wie hier in Frankfurt.
Am Freitag folgt dann die nächste giftige Bundestagsdebatte. Dabei scheitert die Union mit dem Versuch, die Asylgesetze zu verschärfen.
Fest steht: Die Migrationspolitik ist spätestens jetzt das Wahlkampfthema Nummer Eins.
In ihrem Bundestags-Wahlprogramm bekennen sich die Grünen zum Grundrecht auf Asyl und zum EU-Asylkompromiss. Sie lehnen eine Auslagerung der Asylverfahren in sichere Staaten außerhalb der EU ab. Außerdem wollen sie den Familiennachzug bei Flüchtlingen erleichtern. Sie wollen eine humane und geordnete Migrationspolitik, aber keine Verschärfung.
Dieterle:
Die Begrenzung der unkontrollierten Migration ist das Thema in diesem Wahlkampf. Wir haben im grünen Wahlprogramm kein einziges wirksames Instrument gefunden, das dazu führen würde. Wie kann das sein?
Lührmann:
Das stimmt nicht. Wir haben im grünen Wahlprogramm eindeutig geschrieben, dass wir Humanität und Ordnung wollen in der Flüchtlingspolitik. Und wir wollen ja, dass wir jetzt es schaffen, an den Außengrenzen der EU zu kontrollieren, wer reinkommt. Dort soll geprüft werden, wer eine Möglichkeit auf Asyl hat. Die sollen dann verteilt werden auf europäische Länder. Und wer keine Chance auf Asyl hat, der soll dann direkt von der Außengrenze der EU zurückgeführt werden in sein Heimatland. Und das ist der Vorschlag, den wir mit viel, viel Energie durchgesetzt haben. Auf europäischer Ebene wird das in den nächsten Jahrrn umgesetzt und das ist ein wirksames Mittel.
Dieterle:
Sie sagen, es wird in den nächsten Jahren umgesetzt. Ein schnell wirksames Mittel auf die Sorgen, auf die Nöte, eine schnelle Antwort auf die Sorgen der Menschen haben Sie mit diesem Instrument aber nicht, denn es wird dauern.
Lührmann:
Doch, weil es ist europarechtskonform und man kann doch nicht mit so tun, als könnte man mit einem Zauberstab die Menschen weghexen, sondern wir brauchen Lösungen, die wirklich auch funktionieren. Diese Zentren an der Außengrenze, die werden jetzt aufgebaut. Sobald die betriebsbereit sind, wird das funktionieren. Und in der Zwischenzeit sehen wir auch in Deutschland, dass die Ankunftszahlen gerade runtergegangen sind. Unter anderem auch deshalb, weil wir in den letzten Jahren in der Ampelregierung so viel migrationspolitische Vorschläge umgesetzt haben wie noch keine Regierung vorher.
Dieterle:
Es kommen trotzdem immer noch sehr viele Menschen. Ich möchte noch mal bei dieser Begrenzung bleiben. Bis der Asylkompromiss greift, Sie haben selbst gesagt, werden noch Jahre vergehen.
Lührmann:
Wenige Jahre.
Dieterle.
Trotzdem – wenn wir einen Blick ins grüne Wahlprogramm werfen, dann wird von dieser solidarischen Verteilung geredet, aber wir erleben seit Jahren, dass das nicht funktioniert. Schauen wir uns dazu mal eine Grafik an. Wenn wir nur auf die Zurückweisungen gucken: Italien hat von 10.000 akzeptierten Übernahmeersuchen drei Migranten zurückgenommen, drei von 10.000. Wird hier nicht offensichtlich, dass es diese faire Verteilung nicht gibt und dass die auch in Zukunft nicht kommen wird?
Lührmann:
Aktuell ist es das Problem, dass unsere Regeln nicht eingehalten werden in Europa. Deswegen haben wir sie jetzt geändert und werden auch darauf drängen, dass sie dann eingehalten werden. Robert Habeck hat ja gerade auch noch vorgeschlagen, wenn andere europäische Länder sich nicht an EU-Recht halten, dass wir dann auch Vertragsverletzungsverfahren anstrengen sollten. Weil es geht nicht, dass wir was vereinbart haben in Europa und sich dann nicht daran gehalten wird.
Dieterle:
Dann müssen Sie aber alle Staaten anklagen, die sich nicht dran halten.
Lührmann:
Genau, aber die Antwort darauf kann nicht sein, selber Recht zu brechen. Wo kämen wir denn da hin, wenn jemand sagen würde, nur weil andere sich nicht an Recht halten, habe ich selber das Recht, mich nicht gesetzeskonform zu verhalten.
Dieterle:
Bei der rechtlichen Debatte gibt es ja unterschiedliche Auffassungen. Zum Beispiel der Expräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans Jürgen Papier, der sagt, diese Zurückweisungen seien sehr wohl möglich.
Lührmann:
Also die Europarechtler, mit denen ich gesprochen habe, sagen, das ist klar nicht möglich, zumal ja die Zahlen aktuell auch sinken. Also man müsste dann wirklich sozusagen den absoluten Notstand deklarieren. Bei sinkenden Zahlen halte ich das nicht für möglich. Und wir sind ja als Deutschland ja auch auf die Freizügigkeit in der EU angewiesen und unsere Unternehmen sind darauf angewiesen. Ich war gerade unten in Saarbrücken, habe mit dem CDU-Oberbürgermeister da geredet, der sich sehr darüber beschwert, dass es jetzt schon Grenzkontrollen gibt. Und deswegen, glaube ich, dürfen wir sozusagen das Kind nicht mit dem mit dem Bade ausschütten, sondern müssen dafür sorgen, dass wir Migration kontrollieren, aber gleichzeitig nicht unsere größte Errungenschaft, die Freizügigkeit, Schengen hier kaputt machen.
Dieterle:
Ich möchte an dieser Stelle noch mal auf eine grüne Stimme gucken, die auch durchaus Kritik übt an der grünen Migrationspolitik, die sich eine Verschärfung wünscht. Das ist Matthias Schimpf, er ist als Kreisbeigeordneter der Bergstraße tagtäglich mit den Konsequenzen der Flüchtlingspolitik konfrontiert. Wir hören mal, was er sagte.
Matthias Schimpf (Bündnis 90 / Die Grünen), Vorstandssprecher Kreis Bergstraße
„Wir sind eine Ehrenamtsgesellschaft und vieles, was Integration betrifft, läuft über das Ehrenamt, aber wir überfordern es. Und ich muss noch einmal sagen: Integration braucht gesellschaftliche Akzeptanz und wenn wir diese nicht abbilden, wenn wir diese nicht ernst nehmen, sondern wenn wir sie ignorieren und sagen, das ist ja alles gar nicht so und munter Papiere beschließen, die an der Realität vorbeigehen bei allen hehren Motiven, die man hat, dann geht sowas schief.“
Dieterle:
“Papiere, die an der Realität vorbeigehen” – harte Worte oder?
Lührmann:
Ich weiß nicht, worauf er das gerade bezogen hat. Ich kenne Matthias Schimpf sehr, sehr gut, und er, wie auch viele andere, die vor Ort aktiv sind, spiegeln uns eben, dass in der Tat aktuell viele Kommunen überfordert sind mit der Anzahl von ankommenden Geflüchteten, gerade auch mit denen, die aus der Ukraine jetzt noch kamen in den letzten Jahren. Und genau deshalb müssen wir zwei Sachen machen: Wir müssen zum einen als Bund die Kommunen stärker unterstützen. Und ja, wir müssen auch dafür sorgen, in Zukunft die Migration auch stärker human zu ordnen. Und ich würde das, was er gerade gesagt hat, auch durchaus beziehen auf die Papiere der Union von letzter Woche, weil ich da jetzt auch keinen konkreten Vorschlag sehe, wie zum Beispiel diese furchtbaren Anschläge von Aschaffenburg konkret hätten verhindert werden können. Dafür brauchen wir gerade auch bessere Kompetenzen, für die Polizei zum Beispiel.
Dieterle:
Ganz konkret gibt es 2/3 Mehrheit in der deutschen Bevölkerung, die sagen: “Das, was Friedrich Merz vorgeschlagen hat, das wollen wir.” Das sind ja auch Menschen, für die Sie eigentlich Politik machen sollten.
Lührmann:
Ich weiß es nicht, auf welche seiner vielen Vorschläge sich das bezieht.
Dieterle:
Der Fünf-Punkte-Plan.
Lührmann:
Der Fünf-Punkte-Plan unterm Strich ist ein Plan, der in der Tat zum einen europarechtswidrig wäre und das will ich halt mal sehen: Ein Bundeskanzler, der da hingeht und sowas auf den Tisch knallt in Brüssel, einfach sagt: “Wir machen das jetzt, wir ziehen um Deutschland Grenzen hoch.” Wir sind auch angewiesen auf die Solidarität der anderen EU.Länder. Wenn es zum Beispiel jetzt um den drohenden Handelskonflikt mit den USA geht. Unsere exportorientierte Wirtschaft braucht Solidarität in Europa, braucht diesen Binnenmarkt. Da kann man nicht einfach was auf den Tisch knallen und sagen: “Vogel, friss oder stirb! ”
Dieterle:
Jeder hat seine Punktepläne. Sie haben den von Robert Habeck angesprochen. Trotzdem bleibt es dabei, konsequente Zurückweisung an den Grenzen wird es mit den Grünen nicht geben.
Lührmann:
Solange sie so ausgestaltet werden soll, dass sie europarechtswidrig ist, halten wir das für falsch, weil wir ja in der Tat Möglichkeiten haben, das jetzt gemeinsam europäisch zu machen, indem wir es eben an den Außengrenzen regeln. Und da müssen wir hin. Das müssen wir jetzt schnell und konsequent umsetzen, und das wird uns auch dabei helfen, Migration legal, aber auch eben stärker zu steuern.
Dieterle:
In der rechtlichen Frage gibt es die unterschiedlichen Meinungen, das hatten wir angesprochen. Fakt ist: Egal, was die Grünen umsetzen wollen, sie brauchen dafür einen politischen Partner. Und wir haben vergangene Woche im Bundestag erlebt, wie schwierig das werden könnte. Und wir schauen jetzt mal auf die hauchdünnen Machtoptionen, die die Grünen haben. In der aktuellen Umfrage.
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In der aktuellen Umfrage von INSA zur Bundestagswahl kommt die Union auf 30, die AfD auf 22 und die SPD auf 17 Prozent der Stimmen. Die Grünen erreichen 12 und das BSW 6Prozent der Stimmen. FDP und Linke würden mit je 4 Prozent der Stimmen den Sprung in den Bundestag verpassen.
Damit hätte eine Koalition aus Union und SPD eine Mehrheit. Eine Zweierkoalition aus Union und Grünen dagegen nicht.
Dieterle:
Die einzige Machtoption für die Grünen wäre aktuell Schwarz-Grün. Und auch dafür reicht es nicht. Aber unabhängig davon – nachdem, was letzte Woche im Bundestag passiert ist, könnten Sie das überhaupt noch machen mit der Union? Mit Friedrich Merz?
Lührmann:
Also Friedrich Merz hat letzte Woche einen schweren Fehler begangen, indem er sich von den Stimmen der Rechtsextremen hat abhängig gemacht, er hat damit die Tür zur Macht für die AfD einen kleinen Spalt geöffnet und wir erwarten von ihm, dass er sich, wie er es früher ja auch gemacht hat, klar dazu bekennt, dass mit der AfD hier in Deutschland kein Staat zu machen ist, weil sie eben die Grundfesten unseres Staates in hier erodieren will. Was heißt das für uns? Das heißt für uns, dass wir natürlich dazu stehen, dass wir mit allen demokratischen Parteien gesprächsbereit sind. Robert Habeck hat ja heute auch noch mal angeboten, mit Friedrich Merz zu sprechen, um auch konkrete Lösungen in der Asylpolitik zum Beispiel zu finden. Und dazu stehen wir auch weiterhin. Aber klar ist: Wir lassen uns auch nicht erpressen von einer CDU, die sagt: “Im Zweifelsfall machen wir es halt dann mit der AfD.”
Dieterle:
Aber die Empörung war so groß, auch vonseiten der Grünen. Dann wurde das Ultimatum gestellt, über das nicht verhandelt werden soll. Er hat zugelassen, dass es im Bundestag diese Mehrheit mit Stimmen der AfD gibt. Um selbst glaubwürdig zu bleiben, müssten Sie doch eigentlich sagen: “Das kommt für uns so nicht in Frage.”
Lührmann:
Die Empörung war ja nicht nur bei uns Grünen so groß, sondern auch in der Gesellschaft. Es waren ja Hunderttausende jetzt auf der Straße, in den letzten Tagen
Dieterle:
Ein Großteil der Gesellschaft, das hatten wir eben, spricht sich dafür aus.
Lührmann:
Auch in Hessen waren viele, viele unterwegs auf der Straße, weil sie eben sagen: “Man kann Angst nicht mit Angst bekämpfen.” Ich habe mit Menschen gesprochen, deren Eltern sind aus Spanien hier nach Deutschland gekommen, haben als Gastarbeiter dieses Land mit aufgebaut. Die saßen in Tränen mir gegenüber, haben gefragt: “Sind wir jetzt überhaupt noch willkommen hier? Wollt ihr uns hier haben? Oder müssen wir irgendwie unsere Koffer packen?”. Und mit so einem Klima der Angst – das bringt doch niemandem was. Wir müssen doch zusammenarbeiten, zusammenhalten in unserer Gesellschaft. Und ich hoffe, dass die CDU auf diesen Weg wieder zurückkommt. Ich wünsche es mir sehr, weil wir nicht in diese österreichischen Verhältnisse reinfallen können.
Dieterle:
Es gibt ein weiteres wichtiges Thema, bei dem auch die Positionen mit der Union noch ziemlich weit auseinanderliegen. Es ist die Wirtschaftspolitik. Wir wollen uns jetzt aber mal die Pläne der Grünen dazu anschauen.
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Er ist der erste grüne Wirtschaftsminister in der Geschichte der Bundesrepublik. Doch die Bilanz, die Robert Habeck vorzuweisen hat, ist verheerend:
Die Wirtschaft schrumpft das zweite Jahr in Folge. Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland. Die Zahl der Firmeninsolvenzen steigt genauso wie die Zahl der Arbeitslosen. Und die Strompreise für Privathaushalte in Deutschland sind die höchsten in Europa.
Doch als Kanzlerkandidat glaubt Habeck jetzt zu wissen, wie Deutschland aus dieser Krise wieder herauskommt. Er ist überzeugt: Viele Probleme lassen sich durch staatliche Subventionen lösen. Subventionen als Weg aus der Rezession, in die Deutschland unter dem grünen Wirtschaftsminister überhaupt erst hineingeschlittert ist.
Dieterle:
Wir haben drei Jahre einen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck erlebt. Der Wirtschaft geht es nicht gut. Die Wirtschaft in Deutschland schrumpft das zweite Jahr in Folge. Warum sollten die vielen Menschen, die von Robert Habeck enttäuscht sind, jetzt sagen: “Den wollen wir zum Kanzler”?
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Weil Robert Habeck uns erfolgreich durch diese krasse Energiekrise, die durch Putin ausgelöst wurde, durchgeführt hat. Wenn Sie sich zurückerinnern an den Winter vor zwei Jahren, davor hatten sich alle große Sorgen gemacht, dass es kalt wird, dass unsere Industrie nicht genug Gas zur Verfügung hat. Er hat in wenigen Monaten es geschafft, diese Hälfte des Gases, die aus Russland kam, zu ersetzen durch andere Quellen. Und er musste in seiner gesamten Amtszeit mit solchen Schocks kämpfen …
Dieterle:
Die anderen großen EU-Staaten hatten aber dieselben Rahmenbedingungen.
Lührmann:
Die waren nicht so stark abhängig von russischem Gas. Das war ja ein großer Fehler der Vorgängerregierung, dass sie sich so einseitig abhängig gemacht haben von Russland. Und das ist ein Fehler, der sich nicht wiederholen sollte und deswegen: Dafür steht eben grüne Wirtschaftspolitik, dass wir sagen, wir wollen uns nicht einseitig abhängig machen von Russland oder von China, sondern wir wollen in unsere eigene Stärke investieren, auch in erneuerbare Energien. Wir wollen unsere Wirtschaft modernisieren, und dafür müssen wir Kurs halten in den nächsten Jahren.
Dieterle:
Wir schauen jetzt auf ein Thema, mit dem die Grünen vor kurzem für Schlagzeilen gesorgt haben, und das ist die Kapitalertragssteuer. Und was sich dahinter verbirgt, das sehen wir jetzt.
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Kapitalertrag:
Die Grünen wollen, dass für Kapitalerträge künftig nicht nur Steuern, sondern zusätzlich auch Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt werden sollen. Bislang werden diese Abgaben nur von Gehältern und Löhnen abgezogen. Das sei ungerecht und müsse sich ändern, sagt der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck.
Dieterle:
Es ist immer die Rede davon, dass die kleinen, angesparten Aktiendepots davon nicht betroffen sind. Konkrete Zahlen sind uns die Grünen aber bislang schuldig geblieben. Können Sie uns heute sagen, wer was zu befürchten hat?
Lührmann:
Also in der Tat ist es so, dass dieser Vorschlag, diese Idee von Robert Habeck aus dem grünen Wahlprogramm sich nicht an einen Kleinsparer richtet, sondern er will das Augenmerk darauf legen, dass es eben Menschen in unserem Land gibt, die Millionen auf dem Konto haben, die davon bequem leben können, während andere sich abstrampeln, jeden Tag zur Arbeit gehen und darauf hohe Steuern und Abgaben zahlen.
Dieterle:
Aber dann könnte er nur eine konkrete Zahl nennen.
Lührmann:
Und wir wollen das gerechter finanzieren mit einer sogenannten Bürgerversicherung, in die dann alle einzahlen, auch Politiker:innen zum Beispiel und Beamte. Und das ist eben sozusagen so ein Gesamtkonzept, wo sich dann viele Sachen ändern. Und deswegen ist es so schwierig, da jetzt schon konkrete Zahl auf den Tisch zu legen.
Dieterle:
Das würden die Menschen aber natürlich gerne wissen vor der Bundestagswahl, wen es dann am Ende genau trifft.
Lührmann:
Also was die Menschen von uns wissen können und was, ich glaube, auch wichtig ist, ist, dass wir uns um die Gerechtigkeit in unserem Land kümmern, dass wir wollen, dass eben die Menschen mit den höheren Einkommen einen stärkeren Solidarbeitrag leisten. Das sind oft dann Kapitaleinkünfte. Und wir sehen ja auch im Gesundheitssystem, dass wir ein riesiges Gerechtigkeitsproblem haben. Wenn Sie beim Arzt anrufen und nach einem Termin fragen, werden Sie als erstes gefragt: “Privat oder Kasse?”. Und daran wollen wir etwas ändern.
Dieterle:
Aber wo die höheren Einkommen dann anfangen, das sagen Sie nicht. Frau Lührmann, wir sind schon am Ende quasi fast unserer Sendung angekommen. Es gäbe natürlich neben den zwei großen Themen noch viele weitere, die auch noch mehr Zeit verdient hätten. Wir wollen zum Schluss wenigstens noch ein paar konkrete grüne Positionen hören. Jetzt mit der Bitte um eine wirklich sehr kurze Antwort. “Mindestlohn sofort deutlich erhöhen.”
Lührmann:
Ja.
Dieterle:
Was schwebt Ihnen vor?
Lührmann:
Ich kann mich jetzt gerade nicht auf eine Zahl festlegen, aber auf jeden Fall ein Stückchen erhöhen.
Dieterle:
“Niedrigere Mehrwertsteuer für Lebensmittel”.
Lührmann:
Man muss an der Mehrwertsteuer was machen, weil aktuell ist es sehr unfair, Milch / Hafermilch unterschiedlich … Aber ich glaube, so pauschal kann man das auch nicht sagen.
Dieterle:
Okay. “Rentenalter hochsetzen.”
Lührmann:
Ich glaube, 67 ist da erst mal ein ganz guter Kompromiss. Und auch für Leute, die hart gearbeitet haben, dass sie etwas früher abschlagsfrei in Rente gehen können wie aktuell, halte ich auch für richtig.
Dieterle:
“Zentralabitur ja oder nein”?
Lührmann:
Es steht nicht in unserem Wahlprogramm drin. Ja, ich persönlich habe ein bisschen Sympathien dafür.
Dieterle:
Frau Löhrmann, das war unser Auftakt für die Bundestagswahl. Vielen Dank, dass Sie sich heute hier den Fragen gestellt haben.
Lührmann:
Danke auch.