Bund und Länder streiten über Migrationspolitik

Wir schauen nach Berlin zum gestrigen Asyltreffen. Die Fronten waren klar: Die Union fordert eine Kehrtwende in der Migrationspolitik und pocht auf Zurückweisungen direkt an den deutschen Grenzen. Die Ampelparteien sagen, das sei rechtlich schwierig. Klar ist, es herrscht dringender Handlungsbedarf. Das sagt auch Matthias Schimpf, der grüne Migrationsdezernent des Kreises Bergstraße. Er kritisiert seine eigene Partei und deren Flüchtlingspolitik heftig.

Der Zuzug von Flüchtlingen – er muss deutlich begrenzt werden, fordert die Union. Sie pocht auf Zurückweisungen an deutschen Grenzen. Das sei aber rechtlich umstritten – antwortet Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Trotzdem: Sie spricht nach dem Treffen gestern Abend von konstruktiven Gesprächen.
Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin
„Also wir haben ja Vertraulichkeit vereinbart über das Gespräch über die Inhalte des Gesprächs. Deshalb habe ich gesagt, es gibt rechtliche Prüfungen und dann werden wir nächste Woche weitermachen.“
Doch CDU-Chef Friedrich Merz hat schon klar gemacht, dass es nur dann zu weiteren Gesprächen kommt, wenn sich die Ampel beim Thema Zurückweisung an den Grenzen bewegt. Und auch der hessische Ministerpräsident drängt auf schnelles Handeln.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen
„Wir brauchen jetzt keine Arbeitskreise mehr, wir brauchen auch kein Brainstorming mehr mit der Bundesregierung. Wir machen auch keine Therapie, keine Ehe-Therapie, für eine völlig zerrüttete Ampel-Ehe. Sondern jetzt gehandelt werden, jetzt muss umgesetzt werden. Wir müssen jetzt auch nicht an den Symptomen rumdoktern, sondern wir müssen die Ursachen bekämpfen.“
Es brauche eine Zeitenwende in der Migrationspolitik: Und dazu gehöre eben vor allem auch direkte Zurückweisungen an den Grenzen. Das sieht auch Roman Poseck so. Der hessische Innenminister hat bei dem Treffen gestern stellvertretend für die CDU-geführten Länder mit am Verhandlungstisch gesessen.
Roman Poseck (CDU), Innenminister Hessen
„Wir halten das als Union für das notwendige Mittel und wir halten das für rechtlich zulässig und jetzt muss sich die Ampel positionieren, ob sie das mitmachen will. Da gibt es durchaus zwischen den Partnern auch etwas unterschiedliche Akzente. SPD und FDP schienen mir da etwas offener zu sein als die Grünen beispielsweise.“
Die FDP-Bundestagsfraktion plant offenbar ihrerseits deutliche Verschärfungen. Nach Medienberichten will auch sie künftig Asylbewerber direkt an der Grenze zurückweisen können. Sicherlich auch eine direkte Reaktion auf das katastrophale Abschneiden der Partei bei den Landtagswahlen im Osten.
Die Wahlen – sie waren ein Debakel für ALLE drei Ampel-Parteien. In Thüringen holt die AfD fast dreimal so viele Stimmen wie SPD, Grüne und FDP zusammen.
Hier fliegen die Grünen aus dem Landtag. In Sachsen können sie sich mit 5,1 Prozent nur gerade so im Parlament halten. Und trotzdem versucht die Parteispitze Diskussionen über ihre Führung und über einen Kurswechsel in der Asylpolitik zu vermeiden.
Doch jetzt meldet sich Matthias Schimpf zu Wort. Der grüne Kommunalpolitiker aus Südhessen schreibt sich seinen Frust von der Seele. Er ist ein Mann der Praxis, als Dezernent für Migration kümmert er sich seit Jahren um die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen im Landkreis Bergstraße. In einem offenen Brief geht Schimpf mit seiner Partei jetzt hart ins Gericht. Er fordert „einen konsequenten Richtungswechsel in der Migrationspolitik“. Und er geht noch einen Schritt weiter: Es könne notwendig sein, dass bald „neue Führungskräfte (…) in die Verantwortung kommen“. Schimpf sagt ganz deutlich: „Die bisherige Umgangsweise mit dem Thema Migration ist gescheitert.“
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Harte Worte von Matthias Schimpf und ihn begrüße ich jetzt hier bei mir im Studio. Guten Abend.
Matthias Schimpf (Bündnis 90 / Die Grünen), Kreisbeigeordneter Kreis Bergstraße:
Guten Abend.
Dieterle:
Herr Schimpf, Sie sind seit Jahren in Ihrem Landkreis als Sozialdezernent ganz nah dran am Thema Flüchtlinge, an der Herausforderung. Aber man muss auch sagen an der Überforderung, oder?
Schimpf:
Ja, es ist so Wir sind im Kreis Bergstraße wie in vielen anderen Landkreisen auch deutlich an der Belastungsgrenze. Und das Problem ist ja, dass wir seit Jahren darauf hinweisen Wir haben seit 2022 konsequent immer darauf hingewiesen, dass die Zahlen steigen und dass wir eigentlich zu viele Menschen bekommen, die am Schluss keine Bleibeperspektive in Deutschland haben werden. Und das muss sich ändern.
Dieterle:
Sie fordern einen konsequenten Richtungswechsel in der Migrationspolitik. Wie soll der aussehen?
Schimpf:
Ja, im Augenblick ist es ja so, dass wir sehr viele Menschen bei uns aufnehmen, sehr viele Menschen zu uns kommen. Und die Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, bzw. auch kein Bleiberecht erhalten, nicht konsequent dieses Land wieder verlassen. Und das sorgt dafür, dass wir sehr, sehr viele Menschen bei uns haben: die, die tatsächlich Schutz bedürfen, die Menschen, die aus anderen Gründen dann hier sind und das Land nicht verlassen, also nicht abgeschoben werden. Das führt letztlich dazu, dass wir uns als kommunale Familie, also da, wo die Integration stattfindet, eigentlich um die Menschen, die tatsächlich bei uns Teil der Gesellschaft werden sollen und werden müssen, nämlich die, die Schutz suchen zu Recht, nicht kümmern können. Und das ist eine ganz ungute Situation, weil letztlich höhlen wir damit eigentlich das Asylrecht auch aus.
Dieterle:
Die CDU fordert eine Zurückweisung direkt an den Grenzen. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Schimpf:
Das ist eine der Möglichkeiten. Grundsätzlich ja. Es gibt aber auch erst mal andere. Das Erste wäre, dass wir unsere Binnengrenzen wesentlich besser kontrollieren, das heißt stationäre, mobile Grenzkontrollen. Dass wir natürlich auch dann registrieren, wer zu uns in das Land möchte. Und klar ist: Wir brauchen eine Durchsetzung des Dublin-Verfahrens. Das heißt, wenn in einem sicheren Drittstaat sich hat registrieren lassen, der muss auch dort sein Asylverfahren administrieren. Und ich glaube, die rechtlichen Hürden, die es dort gibt, die kann man durchaus lösen. Auch Dublin gibt ja heute schon die Möglichkeit, dass Menschen durchaus in unser Land kommen, auch wenn sie in einem sicheren Drittstaat einen Antrag gestellt haben. Aber wir brauchen eine klare Struktur in den Verfahren, damit das Thema Migration bei uns auch wieder steuerbar wird. Und im Augenblick ist es so: Es ist nicht steuerbar, sondern wir laufen in vielen Bereichen auf einen Kontrollverlust zu.
Dieterle:
Also Sie zeigen sich da durchaus auch offen für die Pläne der CDU. Schauen wir noch mal auf die Wahlen. Auf die Frage, ob die grüne Migrationspolitik in Sachsen und in Thüringen gescheitert ist, hat Ihre Bundesvorsitzende Ricarda Lang am Wahlabend geantwortet. “Nein, denn ich glaube nicht, dass das das Thema ist, das die Menschen hier am meisten umgetrieben hat.” Herr Schimpf, als Sie das gehört haben, was haben Sie da gedacht?
Schimpf:
Ja, also das ist eigentlich nicht fassbar. Also wir haben ja schon mehrere Integrationsgipfel auch gehabt zwischen Bund, Ländern. Die Kommunen haben jedes Mal deutlich gemacht, wie das Problem ist und das Thema Migration ist ein Thema, das die Menschen bewegt. Es herrscht eine große Verunsicherung in der Bevölkerung und wir merken ja vor Ort, dass es auch Widerstände dagegen gibt. Ich verstehe nicht, wie man zu so einer Aussage kommt, weil es war eins der bestimmenden Themen in den letzten Wochen und damit auch natürlich in Thüringen und in Sachsen. Das ist irgendein Elfenbeinturm, in dem man sitzt und anscheinend nicht mehr hört, was auf der Straße passiert.
Dieterle:
Zumal dieses Thema ja sogar spielentscheidend dort war, aller Voraussicht nach.
Schimpf:
So ist es.
Dieterle:
Schauen wir auf den November. Da ist in Wiesbaden die große Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. Sie haben jetzt im Vorfeld schon mal personelle Konsequenzen ins Spiel gebracht. Was heißt das?
Schimpf:
Also wenn man eine Europawahl verliert, wenn man zwei Landtagswahlen mit sehr schlechten, niederschmetternden Ergebnissen hinter sich bringt und auch für Brandenburg in den nächsten zwei Wochen nichts Besseres zu erwarten ist, dann muss man sich die Frage stellen, ob die Politik, die man macht und wie man sie auch vertritt, die richtige ist und ob die Führung der Partei tatsächlich in diesem Bereich noch die richtigen Antworten auf die Fragen gibt.
Dieterle:
Wir sehen hier die beiden Bundesvorsitzenden Wir sehen die Spitze der Partei, Ricarda Lang und Omid Nouripour. Sind das dann für Sie nicht mehr die Richtigen?
Schimpf:
Nein, ich habe gesagt, der Bundesvorstand muss sich prüfen, ob er noch die richtigen Antworten hat, ob er auch führen kann. Wir vermissen im Augenblick Führung. Und wie gesagt, drei Wahlen mit deutlichen Verlusten zu verlieren, kann keine Partei insgesamt befriedigen. Und wir müssen die Menschen mitnehmen. Das heißt, das ist auch eine Chance, dass man jetzt erkennt, wenn wir eine Politik machen, die uns vor die Lage bringt, wir als ordnende Hand wahrgenommen werden, dann kann das gelingen. Wenn man zu diesem Schluss nicht kommt, dann muss man Konsequenzen ziehen.
Dieterle:
Gibt es denn bei den Grünen überhaupt Politiker, die sich für eine neue Migrationspolitik stark machen würden?
Schimpf:
Ja, ich bin ja nicht der Einzige. Wir haben natürlich auch meinen Kollegen aus dem Landkreis Miltenberg. Ich hatte in letzter Woche eine Schalte mit kommunalpolitischen Kollegen aus Baden-Württemberg, und wir sehen unisono die Probleme vor Ort. Und wir fordern natürlich auch, dass wir das Thema Migration in den Vordergrund rücken. Und da gilt immer: Humanität und Ordnung sind zwei Seiten der ein und derselben Medaille. Das heißt, wir können Humanität in der Form, wie wir sie wollen, auch nur walten lassen, wenn wir geordnete und rechtsstaatliche Verfahren haben. Dazu gehört auch, dass nur Menschen bei uns bleiben, die tatsächlich Schutz suchen.
Dieterle:
Sie haben auf jeden Fall deutliche Worte dafür gefunden, Herr Schimpf. Vielen Dank, dass Sie heute bei uns waren, live im Studio.
Schimpf:
Ich danke Ihnen.