Bürokratie und Baustoffmangel bremsen Wohnungsbau aus

Im Kampf gegen den Wohnraummangel sollen in Deutschland Jahr für Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen – so hat es die Bundesregierung beschlossen. Doch die Realität ist eine völlig andere: Lieferengpässe, steigende Preise und vor allem jede Menge Bürokratie machen Unternehmern und Investoren das Bauen schwer. Darüber spricht Markus Appelmann mit Thomas Reimann vom Baugewerbeverband Hessen. Zunächst schauen wir, wo es wie hakt – und dafür sind wir auf einer Baustelle in Hanau.

Das ehemaliges Casino der US-Armee im Pioneer Park in Hanau: Wo früher amerikanische Offiziere und Soldaten ein- und ausgingen, entstehen gerade bis zu 50 neue Wohnungen. Das Bauen im Bestand – in diesem Fall der Umbau eines früher militärisch genutzten Gebäudes in Wohnraum – ist eine vergleichsweise günstige Alternative zum Neubau: Denn die teure Schuttentsorgung entfällt, und auch der Keller ist bereits fertig ausgehoben. Eigentlich könnte hier schon fast alles fertig sein. Doch weil zunächst der Amtsschimmel heftig wieherte, verzögerte sich der Baubeginn bis zum März dieses Jahres.
Marcus Strunz, Polier
„Das sind Genehmigungsverfahren, die hier bis zu einem Jahr, oder knapp über ein Jahr gedauert haben. Das ist natürlich für so ein Projekt, das natürlich auch nach vorne gebracht werden soll, definitiv zu lange.“
Zwischenzeitlich drohte das Projekt sogar ganz zu scheitern, denn Anfang des Jahres stoppte die neue Bundesregierung mit sofortiger Wirkung und rückwirkend mehrere KfW-Förderprogramme zum Bau energieeffizienter Gebäude. Da hier Wohnungen in der besonders hohen Energieeffizienzklasse 55 entstehen sollen, hatten die Investoren Fördergelder in Millionenhöhe fest eingeplant. Nach einem Sturm der Entrüstung ruderte die Bundesregierung schließlich zurück – und die Investoren hielten an dem Projekt fest.
Marcus Strunz, Polier
„Man braucht an sich Investoren, die immer wieder das Ziel vor Augen haben, Wohnraum zu schaffen. Die gibt es wohl auch, das sieht man ja hier ganz deutlich an der Ecke, im Pioneer Park unter anderem. Und ja, die Baufirmen müssen natürlich frühzeitig an die Sache rangeführt werden, dass die auch planen können, vorbestellen können, koordinieren können und dann mit der Mannschaft auch einfach starten können.“
Bei frühzeitiger Planung seien auch lange Lieferzeiten für bestimmte Baustoffe kein großes Problem. Richtig planen könne man aber erst, wenn alle Genehmigungen erteilt seien. Im Fall Pioneer Park in Hanau dauerte das länger als ein Jahr. Stand heute sollen die neuen Wohnungen Ende 2023 bezugsfertig sein. Wenn den Bauherren nicht doch noch weitere Steine in den Weg gelegt werden.
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Markus Appelmann, Moderator: Und darüber sprechen wir jetzt mit dem Vizepräsident Baugewerbe-Verband Hessen mit Thomas Reimann. Schönen guten Abend.
Thomas Reimann, Vizepräsident Baugewerbe-Verband Hessen: Guten Abend.
Appelmann: Herr Reimann, kommen denn immer neue Regularien in Deutschland dazu oder geht auch mal was weg?
Reimann: Bedauerlicherweise kommen immer weitere Regularien dazu und das macht Bauen kompliziert, das macht Prozesse lang und das ist bedauerlich. Wir brauchen weniger Bürokratie.
Appelmann: 400.000 Wohnungen möchte die Bundesrepublik pro Jahr neu bauen. Sie sagen als Bauunternehmer: „Das kann überhaupt nicht funktionieren“. Warum?
Reimann: Das war Wunschdenken. Im Moment glaube ich nicht, dass uns das noch gelingen wird. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir 2023 maximal 250.000 Wohnungen noch packen. Es ist eine Fülle von Problemen, die sich da zeigt. Es ist die Bürokratie, es ist der Mangel an Bauland. Das sind die zwei Kernprobleme, die wir haben, denn wir können nur da bauen, wo ausreichend Bauland zur Verfügung gestellt wird, und das ist bedauerlicherweise in vielen Regionen nicht der Fall.
Appelmann: Sie sprechen es gerade an, zu wenig Bauland, Jetzt haben wir hier in Hanau ein positives Beispiel gesehen, da kommt man auch ohne neues Bauland aus.
Reimann: Ein wunderbares Projekt, genau das, was eigentlich jetzt in diesem Falle zum Tragen kommen sollte. Bestandsgebäude revitalisieren, entkernen, vorhandene Flächen und Gebäude nutzen, um sie einer neuen Nutzung zuzuführen, wie hier beispielsweise dem Mietwohnungsmarkt, dadurch ist schnelles und auch deutlich günstigeres Bauen dann einfach möglich.
Appelmann: Jetzt haben wir hohe Standards in Deutschland, was ja per se erst mal nicht schlecht ist. Gibt es denn vergleichbare Länder in Europa, wo alles viel besser, wo alles viel schneller läuft?
Reimann: Also es gibt beispielsweise in den Niederlanden vor Jahren eine große Baurechtsreform. Die haben es tatsächlich möglich gemacht, dass mit weniger Bürokratie auch schneller gebaut werden kann. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen, dann sind wir ein Stück weit fortschrittlicher, als wir es gegenwärtig einfach sind und realisieren können.
Appelmann: Bringen Sie es mal auf den Punkt: Was ist Ihre Forderung in Richtung Politik, damit wir auch den Anschluss nicht verlieren in Deutschland?
Reimann: Also, wir haben ja im Baurecht inzwischen mehr Gesetze als im Steuerrecht und wir wissen, dass das deutsche Steuerrecht schon ausgesprochen kompliziert ist. Entrümpeln muss es sein, die Devise, die wir da verfolgen sollten, deutlich weniger Gesetze und Vorschriften. Viele kommunalen Vorschriften kommen ja momentan noch dazu. Wir erleben das beispielsweise hier in der Region Frankfurt. Immer neue Gesetze. Das schreckt Investoren ab und das sorgt natürlich dann in dem Zusammenhang auch für einen Rückgang bei den Investitionen. In den Wohnungsbau. Und damit schaffen wir diese 400.000 Wohnungen deutschlandweit einfach nicht mehr. Das sind elementare Fehler, die da gemacht werden. Die müssen beendet werden.
Appelmann: Auch beim privaten Hausbau läuft es momentan überhaupt nicht rund. Wir haben immer höhere Zinsen, der Hausbau wird teurer und wir haben Lieferengpässe. Verstehen Sie angehende Häuslebauer, die sagen: „Ich trete da erst mal auf die Bremse“?
Reimann: Aber selbstverständlich. Das Häusle zu bauen, braucht heute irgendwo zwölf bis 18 Monate und da Sicherheit hineinzubringen in die Kosten, das ist ein ganz, ganz großes Problem. Aber wer wirklich bauwillig ist und sich nach einem Einfamilienhaus oder einer Wohnung umtut und diese Investition sich da noch nicht ganz sicher ist, der sollte meines Erachtens schon dazu neigen, diese jetzt zeitnah anzugehen, die Entscheidung zu treffen: „Will ich es wirklich oder lasse ich es lieber sein?“. Denn ich bin davon überzeugt, dass auch jetzt bei rückgehenden Baupreisen, wie etwa beim Stahl, insgesamt Bauen teurer werden wird.
Appelmann: Haben Sie denn noch zum Abschluss einen Tipp, wie man das Ganze überhaupt kalkulieren kann? Denn die Preise kennen nur eine Richtung, die gehen nach oben.
Reimann: Das ist ganz schwer, weil die Abschnitte, in denen ein Haus gebaut wird, vom Rohbau über den Ausbau bis hin zur Fertigstellung, zum Schluss der Garten, über die lange Laufzeit schwer zu kalkulieren ist. Aber ich gehe davon aus, dass man über die Laufzeit hinweg schon einen ordentlichen Prozentsatz zuschlagen sollte, wenn es daher in den Hausbau geht. Wir haben Preissteigerungen jetzt gehabt innerhalb der letzten zwölf Monate von 27%. Ich glaube nicht, dass das deutlich weniger wird in den nächsten 24 Monaten. Von daher Sicherheitszuschlag mit hineinnehmen in eine mögliche Finanzierung, in die Baukosten, um dann auf der sicheren Seite zu stehen.
Appelmann: … sagt der Vizepräsident des Baugewerbe-Verbandes Hessen, Thomas Reimann. Danke, dass Sie da waren.
Reimann: Herzlichen Dank für das Gespräch.