Studiotalk mit Islamexpertin Prof. Susanne Schröter über zunehmenden Antisemitismus

Die Angriffen der palästinensischen Terrormiliz Hamas auf den Süden Israels beschäftigen uns noch weiter. Die brutalen Bilder – oft von den Hamas selbst auf den Sozialen Medien gepostet – schockieren Menschen in der ganzen Welt. Auch in Deutschland kommt es seitdem immer wieder zu Demonstrationen von Gruppen, die versuchen die Gräueltaten zu relativieren und Palästina als Opfer einer israelischen Aggression darzustellen. Die Stimmung ist landesweit angespannt, das Maß an Antisemitismus besorgniserregend.

Als Reaktion auf den anti-israelischen Beitrag, den der Prof-Fußballer Anwar El Ghazi am vergangenen Sonntag in den Sozialen Medien geteilt hatte, hat Mainz 05 den Niederländer mit marokkanischen Wurzeln gestern Abend mit sofortiger Wirkung freigestellt. In dem mittlerweile wieder gelöschten Instagram-Beitrag wird Israel das Existenzrecht abgesprochen. Hinzu kommt, dass El Ghazi den Terrorangriff der Hamas gegen Israel, bei dem mehr als 1.300 Menschen ermordet wurden, mit keinem Wort verurteilte. In einer Pressemitteilung distanziert sich Mainz 05 deutlich von den Inhalten des Posts, da dieser nicht mit den Werten des Vereins einhergehe. Bereits gestern nahm der 28-Jährige nicht mehr am öffentlichen Training des Bundesligisten teil.
Die Angriffen der palästinensischen Terrormiliz Hamas auf den Süden Israels beschäftigen uns noch weiter. Die brutalen Bilder – oft von den Hamas selbst auf den Sozialen Medien gepostet – schockieren Menschen in der ganzen Welt. Auch in Deutschland kommt es seitdem immer wieder zu Demonstrationen von Gruppen, die versuchen die Gräueltaten zu relativieren und Palästina als Opfer einer israelischen Aggression darzustellen. Die Stimmung ist landesweit angespannt, das Maß an Antisemitismus besorgniserregend.
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„Free Palestine“ skandieren diese Männer gestern Nacht in Berlin. Bei der unangemeldeten Versammlung kommt es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mehr als 20 Beamte werden laut einer Mitteilung der Polizeigewerkschaft GdP verletzt. Barrikaden und Autos werden durch Feuerwerkskörper beschädigt. Auch in Frankfurt gab es bereits pro-palästinensische Demonstrationen, bei denen manche Teilnehmer offen den islamistischen Terror der Hamas leugneten oder sogar begrüßten – die Folge: Festnahmen wegen Volksverhetzung.
Die Stimmung in Deutschland ist aufgeheizt. Während die meisten Menschen solidarisch an der Seite Israels stehen wie hier, bei einer Kundgebung letzte Woche in Mainz, zeigen manche in Deutschland lebende Muslime teils offenen Antisemitismus. Jüdische Einrichtungen werden bedroht und müssen bewacht werden. Manche Juden brauchen Polizeischutz. Und so werden Forderungen laut nach einem Verbot der Anti-Israel-Demonstrationen, nach härteren Strafen für Volksverhetzung und nach einer strengeren Gesinnungsprüfung beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Ob diese Maßnahmen umgesetzt werden: ungewiss; ob sie dann Wirkung zeigen: unklar. Sicher ist aber eines: Deutschland hat momentan ein echtes Problem mit Judenhass.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Und wir sprechen jetzt über genau diese Geschehnisse mit der Professorin für Ethnologie an der Frankfurter Goethe-Universität und Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, mit Frau Professor Susanne Schröter. Schön, dass Sie hier sind. Guten Abend.
Prof. Susanne Schröter, Direktorin Forschungszentrum Globaler Islam: Guten Abend.
Dieterle: Frau Schröter, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren sehr intensiv mit diesem Thema. Das heißt, Sie haben diese Eskalation kommen sehen?
Schröter: Ja, ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit muslimischem Antisemitismus. Ein Thema, das hier nicht gerne gehört wird. Man handelt sich schnell den Vorwurf ein, man sei antimuslimischen, man sei vielleicht sogar eine antimuslimische Rassistin. Das habe ich alles schon gehört. Aber es nützt ja nichts. Wir haben diese Art des Antisemitismus hier in Deutschland, wir haben Antisemitismus von rechts ausgehend, wir haben ihn von der linken Seite und wir haben ihn aber auch als muslimischen Antisemitismus, und zwar seit Jahren steigend eigentlich. Von daher: Immer wenn irgendein Ereignis in Israel passiert, dann haben wir hier Leute auf der Straße, die tatsächlich antisemitische Parolen brüllen, die Juden bedrohen, die vor Synagogen ziehen und es passiert aber immer nichts. Alle sind erschreckt und denken “Um Gottes Willen, das kann doch nicht wahr sein!” Nach zwei Monaten ist wieder alles vergessen und man zieht gar keine Konsequenzen.
Dieterle: Darüber sprechen wir gleich noch. Sie haben gerade Bilder beschrieben. Wir haben auch welche gesehen. Also da werden Flaggen verbrannt, Hubschrauber kreisen um Synagogen und viele fragen sich jetzt: Sind jüdische Mitbürger bei uns in Deutschland überhaupt noch sicher?
Schröter: Nein, sie sind nicht sicher. Und sie sind schon seit langem nicht mehr sicher. Seit langem trauen sich Juden und Jüdinnen in vielen Teilen Deutschlands nicht mehr in die Öffentlichkeit in einer Weise, dass sie erkennbar sind. Und es gibt ja mittlerweile auch Ratschläge, dass man versteckt, dass man jüdisch ist. Aber was wir jetzt sehen, dass das schlägt dem Fass den Boden aus. In Berlin sind tatsächlich Häuser, Wohnungen von jüdischen Menschen mit dem Judenstern markiert worden. Also das weckt Erinnerungen an ‘33. Das geht gar nicht. Ich finde, damit ist eine rote Linie endgültig überschritten worden.
Dieterle: Welche Rolle spielt dabei die Einwanderung? Haben wir uns antiisraelisches, antisemitisches Gewaltpotenzial über die Einwanderung regelrecht zu uns importiert? Wie sehen Sie das?
Schröter: Ja, selbstverständlich haben wir das. Wir haben viele muslimische Länder, in denen ist Israelhass, ist auch Judenhass etwas, was tradiert wird, in den Familien tradiert wird. Das gehört zum Teil zur Staatsräson. Das wird in den Medien verbreitet, in den Schulbüchern steht es und in den Moscheen wird das gepredigt. Und wenn wir jetzt Migranten aus diesen Ländern haben, aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Irak, aus dem Libanon, die legen doch ihre Weltvorstellungen, ihre Weltauffassung und damit auch ihren Antisemitismus nicht an der deutschen Grenze ab. Das können wir doch nicht im Ernst glauben. Also diese Naivität, mit der hier manche Politiker Themen der Migration behandeln, ist für mich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr nachvollziehbar. Menschen sind geprägt durch ihre Erziehung, durch das Klima, in dem sie aufwachsen. Durch die Erzählungen, mit denen sie aufwachsen. Und das hätte man wissen können.
Dieterle: Ist das für Sie auch der Hauptgrund, warum Sie sagen: “Die Deutsche Islampolitik ist gescheitert?” Das sagen Sie ja ganz klar.
Schröter: Das sage ich zum einen deshalb aber auch, weil wir jetzt ja auch sehen, die großen islamischen Verbände, mit denen die Politik und auch die Kirchen kooperieren, tun sich außerordentlich schwer, in irgendeiner Weise eine klare Haltung zu diesem Massaker der Hamas zu finden. Sie relativieren haltlos hin und her oder äußern sich gar nicht oder betreiben Täter-Opfer-Umkehr. Und erst nach langen Tagen lässt sich der eine oder andere doch mal zu einer akzeptablen Äußerung herab. Aber ich muss auch sagen, das hat man auch versäumt jahrelang tatsächlich robuste Gespräche mit den Vertretern islamischer Verbände zu führen. Man hat sich von ihnen die Agenda diktieren lassen, man hat sich in eine Situation hineintreiben lassen, in der es so scheint, als ob ein sogenannter antimuslimischer Rassismus unser Hauptproblem ist. Das ist es aber nicht. Natürlich haben wir Muslimfeindlichkeit und das ist auch etwas, was man beheben sollte. Definitiv. Aber wir haben keinen flächendeckenden Rassismus gegenüber Muslimen. Wir haben aber einen virulenten Antisemitismus in unterschiedlichen Teilen unserer Gesellschaft.
Dieterle: Sie sagen, die Politik muss dringend handeln. Ganz konkret: Was erwarten Sie jetzt von der Politik?
Schröter: Ich erwarte, dass Demonstrationen, auf denen offen Judenhass zum Ausdruck kommt, auf denen Juden bedroht werden, dass die nicht stattfinden. Da muss man handeln. Da kann man nicht nur sagen: “Wir verbieten es”, aber wenn die Leute trotzdem marschieren, marschieren sie eben. Ich erwarte, dass dezidiert gewaltorientierte antisemitische Organisationen verboten werden. Ich erwarte, dass man mit den Verbandsvertretern wirklich klare Worte spricht und davon auch die Kooperation abhängig macht. Und ich erwarte eigentlich auch, dass man in den Schulen nicht nur den historischen Antisemitismus oder den deutschen rechtsradikalen Antisemitismus behandelt, sondern jede Art des Antisemitismus. Und ich weiß, dass das schwierig ist in Klassen mit großen muslimischen Mehrheiten in der Schülerschaft und in der Elternschaft, dass da Abwehrreaktionen sein werden. Aber ich glaube, das müssen wir machen, wenn wir wollen, dass diese Gesellschaft nicht völlig auseinanderfällt.
Dieterle: Sie sagen, es muss was passieren. Frau Professor Schröter, vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Vielen Dank für das Interview.
Schröter: Sehr gerne.