Hebammen wehren sich gegen neues Honorarsystem

Nirgendwo sonst kommen in Rheinland-Pfalz so viele Kinder zur Welt, wie dort im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer: 3.700 Babys waren es im vergangenen Jahr. Das Krankenhaus arbeitet ausschließlich mit freiberuflichen Hebammen – also Beleg-Hebammen – zusammen. Und für genau die ändert sich ab dem kommenden Monat das Vergütungs-System. Und zwar nicht zu ihrem Vorteil, sagen die Hebammen in Speyer.

Lautstark betritt die kleine Leona diese Welt. Wie kalt und fremd alles ist. Einer der ersten Momente in ihrem Leben gehört Hebamme Anna. Zehn Finger, zehn Zehen, wie schwer ist das Neugeborene? Ein Beruf, den die Beleghebammen in Speyer über alles lieben. Ein Beruf mit viel Verantwortung. Und einer, von dem sie nicht wissen, ob sie ihn bald noch ausüben können.
Charline Gorzolla, Beleghebamme Hebammengemeinschaft Speyer
„Wir gehen im Moment von 25 bis 30 Prozent weniger Verdienst aus ab November. Es gibt Kolleginnen, die sagen, sie wissen nicht, ob sie sich ihren Beruf noch leisten können. Und das ist natürlich schwierig. Wir können unseren Stundenlohn nicht selbst gestalten. Und sie da einfach den Vorgaben des Hebammenhilfevertrags ausgeliefert letztendlich.“
Denn bezahlt werden Beleghebammen von den gesetzlichen Krankenkassen. Der Spitzenverband der gesetzlichen  Krankenkassen,  GKV, hat einen neuen Vergütungsvertrag ausgehandelt. In diesem soll die 1-zu-1-Betreuung  von Schwangeren während der Geburt deutlich gestärkt werden. Also dass sich eine Hebamme um nur eine werdende Mutter  kümmert. Ein eigentlich guter Vorschlag, finden die Beleghebammen in Speyer.
Christiane Warta, Beleghebamme Hebammengemeinschaft Speyer
„Aber das ist so definiert, dass es nicht mit der Realität übereinstimmt. Wenn eine Frau kürzer als zwei Stunden vor der Geburt da ist, bekommen wir diese Pauschale nicht. Wenn ich einen Schichtwechsel habe und die Frau wurde von mir 1:1 betreut und wird dann weiter von meiner Kollegin 1:1 betreut, ist es so, dass die Leistung auch nicht bezahlt wird, obwohl die Frau eine 1:1-Betreuung hatte.“
Die volle Pauschale erhält also nur eine Hebamme.  Denn es ist genau festgelegt, wann und wie eine Hebamme eine Geburt abrechnen kann. Das Problem:  Dauert eine Geburt deutlich kürzer oder länger oder müssen doch mehrere Schwangere gleichzeitig versorgt werden, verdienen die Hebammen unterm Strich weniger.
Christiane Warta, Beleghebamme Hebammengemeinschaft Speyer
„Ein ganz großes Problem ist eben auch die Notfallversorgung von Patientinnen. Frauen, die kommen, weil sie keine Kindsbewegung haben, sind im neuen Vertrag nicht vorgesehen. Da kommen Frauen mit echten Sorgen um ihr Kind. Und die Sorge von jeder Frau ist berechtigt. Und jetzt betreuen wir die Frauen und wissen nicht, ob wir es bezahlt bekommen oder nicht, weil es diese Gebührenposition schlicht und ergreifend nicht gibt.“
Der GKV-Spitzenverband möchte sich vor der Kamera nicht äußern. Er teilt uns schriftlich mit:
„Das grundlegende Ziel dieser Neuregelung ist es, die für Frauen, Neugeborene und Hebammen sehr wichtige 1-zu-1-Betreuung zu stärken. Deshalb ist dafür die Vergütung verdoppelt worden. […] Die gesetzlichen Krankenkassen rechnen mit Mehrausgaben von über 100 Millionen Euro – das heißt, deutlich mehr Geld für eine bessere Versorgung der Gebärenden, für eine Stärkung der Geburtshilfe und für bessere Arbeitsbedingungen der Hebammen.“
In Rheinland-Pfalz werden etwa 20 Prozent der Geburten von Beleghebammen begleitet. Gesundheitsminister Clemens Hoch von der SPD zeigt sich gegenüber dem neuen Hebammenhilfe-Vertrag skeptisch.
Clemens Hoch (SPD), Gesundheitsminister RLP
„Wir sind zutiefst der Auffassung, dass dieser Vertrag für die Beleghebammen jetzt nicht so ist, wie er sein sollte. Es ist versäumt worden zu regeln, dass es eben dieses Beleghebammensystem in Krankenhäusern gibt, in denen häufig nicht die 1:1-Betreuung möglich ist, sondern es werden auch schon einmal, gerade in den großen Geburtskliniken, zwei oder drei Kinder parallel zur Welt gebracht.“
In Speyer hofft man bis zuletzt, dass der neue Vertrag so nicht in Kraft tritt.
Dr. Florian Schütz, Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer
„Wenn es denn so umgesetzt werden wird, wie es geplant ist und wie ich es gehört habe, diese Versorgung einfach nicht mehr richtig refinanziert wird und damit einfach für mich die Gefahr besteht, dass unsere Patientinnen einfach nicht mehr optimal betreut werden können.“
Patientinnen wie Leona und ihre Mama. Von den Sorgen der Hebammen  bekommen die beiden  nichts mit. Sie  genießen  ihr erstes  Kennenlernen.