Marburger Forscherin Isabelle Borucki analysiert Ängste der Deutschen

Wie begründet sind die Ängste? Und werden die Deutschen trotz Krisen und Kriege wieder optimistischer oder nur krisenmüde?

Markus Appelmann:
Mir zugeschaltet ist Isabelle Borucki ein. Sie ist Professorin im Fachbereich Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg und hat die Studie wissenschaftlich begleitet. Guten Abend Frau Borucki.
Isabelle Borucki, Politikwissenschaftlerin Universität Marburg:
Guten Abend.
Appelmann:
Wir haben es gerade im Beitrag gehört, die Deutschen haben weniger Angst. In Rheinland-Pfalz ist das Angstniveau bundesweit sogar am niedrigsten. Was macht denn die Deutschen optimistischer im Vergleich zum letzten Jahr?
Borucki:
Ja, es ist die Frage, ob man wirklich sagen kann: Die Deutschen sind optimistischer. Ich denke, sie sind krisenmüde, weil wir es inzwischen mit multiplen Krisen zu tun haben. Mehrere Kriege in ziemlicher Nähe in Europa mit dem Ukrainekrieg, Energiekrisen, Inflation, steigende Energiepreise. All diese Dinge, mit denen die Menschen tagtäglich konfrontiert werden, den Klimawandel nicht zu vergessen, wirken überfordernd. Und das führt dazu, dass die Menschen sich in einem Normalzustand der Krise wiederfinden und so gewissermaßen abstumpfen.
Appelmann:
Was die Menschen am meisten umtreibt: Auf Platz 1 sind ja derzeit die hohen Lebenshaltungskosten. Das gilt sowohl für Deutschland insgesamt, aber auch für Hessen sowie Rheinland-Pfalz als einzelne Bundesländer. Haben die Menschen Angst vor einem sozialen Abstieg?
Borucki:
Ja, das könnte man schon sagen, weil die Befragten jeden Tag spüren an der Supermarktkasse, an der Tankstelle beim Pendeln oder eben auch bei den Nebenkosten fürs Wohnen, dass das Leben teurer geworden ist, deutlich teurer geworden ist und auch keine Entspannung spürbar ist in diesem Bereich sozusagen. Und natürlich macht man sich dann bestimmt Gedanken über sozialen Abstieg, wenn dieser tägliche Bedarf einfach nicht absehbar entspannt ist, was die Preise angeht.
Appelmann:
Auf Platz zwei der größten Ängste der Deutschen: Fast jeder Zweite hat Angst, dass Flüchtlinge den Staat überfordern. Hat dieses Problem eine Größe, dass diese Angst das Land spalten kann?
Borucki:
Ja, das hat schon irgendwo das Potenzial. Allerdings gibt es ja aktuell überhaupt kein faktisches Problem – in Anführungsstrichen – mit Zuzug von Geflüchteten, mit Migration insofern, als dass jetzt zwingend Handlungen nötig wären, um etwas zu tun sozusagen. Es wurde vielmehr kommunikativ gerade im vergangenen Bundestagswahlkampf gespielt, dieses Thema, auch als Narrativ aufgebaut und hier hat auch eine gewisse Normalisierung stattgefunden. Im Grunde geht es aber eigentlich eher um Fragen von sozialer Identität, von politischer Identität und eben auch von Zusammenhalt und Fragen von Zugehörigkeit, die im Grunde vom Migrationsthema überdeckt werden in der Kommunikation.
Appelmann:
Über die Ängste der Deutschen habe ich mit der Marburger Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki gesprochen. Vielen Dank.
Borucki:
Sehr gerne.