Klamme Kassen bei rheinland-pfälzischen Kommunen

600 Millionen Euro zusätzlich, um die klammen Kassen der rheinland-pfälzischen Kommunen zu entlasten – das hat die Landesregierung vor drei Wochen angekündigt. Ministerpräsident Alexander Schweitzer bezeichnet diesen Schritt als „historisch“. Viele Kommunen und Landkreise sprechen eher von „Symbolpolitik“. Ihre Haushaltslage sei so dramatisch, dass das zusätzliche Geld bei weitem nicht ausreiche. Gleich spreche ich mit dem Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeinde-Bundes über die finanzielle Lage der rheinland-pfälzischen Kommunen. Vorher schauen wir uns an wie sich die Situation im kleinen Örtchen Dankerath darstellt.

Dankerath im Kreis Ahrweiler. 72 Menschen leben hier, umgeben von Wald, Wiesen und Hügeln. Erst auf den zweiten Blick fällt auf: Hier ist einiges zu tun. Bürgersteig und Entwässerungsrinne an der Hauptstraße müssen erneuert werden. Außerdem muss der Kindergarten dringend saniert werden. Beides außerplanmäßige Pflichtaufgaben, die den ohnehin auf Kante genähten Haushalt der Ortsgemeinde sprengen würden. Geschätzter Kostenpunkt für die Kitasanierung: 1,5 bis 2 Millionen Euro. Das Geld hierfür kommt teilweise von der Verbandsgemeinde. Den Rest zahlen die beteiligten Ortsgemeinden.
Marco Collet (CDU), Ortsbürgermeister Dankerath
„Das wäre für die Ortsgemeinde Dankerath ein Betrag zwischen 100.000 und 150.000 Euro, den wir so überhaupt nicht haben und der die Ortsgemeinde Dankerath handlungsunfähig machen würde.“
Die Folge: Der Bürgermeister hat sich mit 27 seiner Kollegen  der umliegenden Ortsgemeinden zusammengetan, um die Landesregierung auf mehr Geld und eine bedarfsorientierte Verteilung zu verklagen.
Marco Collet (CDU), Ortsbürgermeister Dankerath
„Wir haben einfach nicht die Zeit, jetzt noch drei Jahre zu warten, bis die Landesregierung irgendwann Maßnahmen ergreift zur Evaluierung, um zu sehen: Ups, das Geld reicht ja vorne und hinten nach wie vor nicht. Also wir laufen sehenden Auges gegen eine Wand der weiteren Hochverschuldung.“
Mittlerweile gibt es eine ganze Klagewelle – nicht nur von Ortsgemeinden. Erst kürzlich hat die Stadt Pirmasens angekündigt, klagen zu wollen. Und vor einer Woche haben auch die Landkreise Südwestpfalz und Cochem-Zell bekanntgegeben, dass sie vor Gericht ziehen wollen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer weiß um die finanzielle Not der Landkreise und Gemeinden. Deshalb investiere das Land auch enorme Summen in die Unterstützung der Kommunen.
Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident RLP
„Wir haben drei Milliarden Euro Teilentschuldung der kommunalen Haushalte organisiert, wir haben den kommunalen Finanzausgleich erhöht auf eine Summe von über vier Milliarden Euro, wir legen jetzt nochmal 600 Millionen Euro drauf. Das ist mehr als jeden Nachbarbundesland machen kann. Aber es ist so, die Kommunen in Deutschland leiden unter steigenden Sozialkosten. Die Ursache dafür liegt in Berlin, das sind alles Berliner bundesgesetzliche Entscheidungen.“
Ob Berlin oder Mainz – Marco Collet sieht sowohl Bund als auch Land in der Pflicht die Kommunen besser zu unterstützen. Denn Fakt sei: In den Ortsgemeinden komme zu wenig an und das müsse sich schnell ändern.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und über diese angespannte Situation spreche ich jetzt mit dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, der seit Juli auch der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist. Ralph Spiegler, guten Abend. Viele Städte und Gemeinden befinden sich in einer finanziell dramatischen Lage. Geben Sie uns mal einen Überblick über Rheinland-Pfalz. Wie schlimm ist es?
Ralph Spiegler (SPD), Präsident Deutscher Städte- und Gemeindebund:
Rheinland-Pfalz reiht sich da ein in alle Bundesländer. Bis vor wenigen Jahren war die Situation so, dass insbesondere Bayern, Baden-Württemberg gesunde Kommunen hatten. Aber mittlerweile ist es auch dort so, dass alle Kommunen, jedenfalls im Schnitt, deutlich unter Wasser sind. Das heißt, wir sind im schwierigsten Fahrwasser und das dem Grunde nach seit über 30 Jahren. Wir haben ein riesen Defizit aufgebaut, was die Investition in Bestand anbelangt. Ich will eine Zahl nennen: 186 Milliarden € in Bestand. Da geht es nicht um Zukunftsinvestitionen, in Bestand: Schwimmbäder, Schulen, Brücken usw und so fort. Das ist die eine Zahl und die zweite, die mich noch mehr Besorgnis erregen lässt, ist die Tatsache, dass wir als Kommunen im Jahr 2023 ungefähr 7,5 Milliarden Defizit hatten, und zwar Defizit laufendes Geld, also Minus auf dem Girokonto. In 24 waren es bereits 24,7 Milliarden €. Und wir laufen jetzt gesichert auf die 35 Milliarden zu. Das heißt, da ist eine Dynamik drin, was die Situation der kommunalen Finanzen anbelangt, die muss gestoppt werden.
Dieterle:
Wir haben es gerade im Beitrag schon gehört Das Land Rheinland-Pfalz erkennt den Ernst der Lage, hat jetzt nochmal mehr Geld in die Hand genommen. Sie sagen, es reicht trotzdem nicht. Warum?
Spiegler:
Na ja, die 600 Millionen, die Herr Schweitzer eben genannt hat, die sind schon ordentlich, da kann man ja nicht meckern. Das hat zwei Probleme. Die 600 Millionen sind viel Geld, ja, aber das erste Problem: Dieses Geld kommt bei den kreisfreien Städten und bei den Kreisen an, nicht bei den Ortsgemeinden und Verbandsgemeinden. Natürlich kann man sagen: “Na ja, dann holt sich der Kreis weniger Geld von den Gemeinden.” Das mag so sein, aber die Lebensrealität, der Großteil der Investitionen findet in den Gemeinden und Verbandsgemeinden statt. Auch die Aufgabenzuweisung ist bei uns. Das ist das eine Problem. Und das andere Problem ist, dass diese 600 Millionen gut sind, aber das strukturelle Problem nicht lösen, weil sie einmalig sind.
Dieterle:
Das heißt, wenn man jetzt sagen würde, es fehlt überall Geld und eine Gemeinde muss dann eben auch den Rotstift ansetzen, dann sagen Sie …?
Spiegler:
Na ja, dieser Rotstift, der ist schon so dünn und so zugespitzt, er ist so oft benutzt worden, dass nichts mehr nutzbar ist an dem Rotstift, weil die kommunalen Finanzhaushalte oft wirklich ausgequetscht sind bis auf den letzten Euro.
Dieterle:
Das Land Rheinland-Pfalz bekommt viel Geld von diesem XXL-Schuldenpaket. Wir haben ja eine neue Bundesregierung. Was erwarten Sie jetzt von dem Land, was es mit diesem Geld tut?
Spiegler:
Also ich habe durchaus den Eindruck, dass nicht nur Rheinland-Pfalz, sondern alle Bundesländer da guten Willens sind, erstens dieses Geld zu einem größeren Teil an die Kommunen weiterzugeben. In der Regel reden wir von ungefähr 60 %, die an die Kommunen weitergegeben werden. Erstens. Zweitens erwarten wir, dass das schnell passiert, dass das Geld schlank an uns gegeben wird, ohne große Prüfpflichten. Und drittens, dass auch Vertrauen in uns Gemeinden gesetzt wird, dass wir das richtig machen. Die Zwangsjacke, die jedes Land hat, ist der Bundesgesetzgeber, denn dort werden die Richtlinien für die Weiterleitung der Gelder gemacht. Also dort muss auch klar verankert sein: Habt Vertrauen in die Gemeinden, macht schlanke Förderprogramme, geht ab von diesen teilweise immensen Prüfpflichten und glaubt, dass es die Gemeinden richtig machen.
Dieterle:
Okay, da höre ich noch leise Zweifel. Was würde denn passieren, wenn sich an dieser Entwicklung nichts ändert? Worauf würden wir dann in den Kommunen zusteuern?
Spiegler:
Ja, das Problem ist, die Infrastruktur wird mehr und mehr zu Ende gehen, wird marode werden. Es gibt die vielfach zitierte Schultoilette, die nicht funktioniert. Das ist aber nur ein Teil. Es geht um vieles, vieles mehr. Es geht um die Rathäuser, um die Feuerwehrhäuser, um Schwimmbäder, Brücken, Straßen, vieles, vieles, was eben in unserer kommunalen Ebene gemanaged werden muss. Und eigentlich, so steht’s im Grundgesetz, sind wir diejenigen, die die Lebensrealität der Menschen vor Ort gestalten sollen. Und das ist lange nicht mehr der Fall. Wenn das nicht zurückgeholt wird, wenn uns diese Möglichkeit nicht gegeben wird, dann sehe ich auch schwarz, was das Wählerverhalten anbelangt. Wir müssen dem Einhalt gebieten. Wir müssen die Kommunen wieder in die Lage versetzen, die Lebensrealität vor Ort zu gestalten.
Dieterle:
Sie fürchten sonst eine wachsende Unzufriedenheit.
Spiegler:
In der Tat.
Dieterle:
Das sagt Ralph Spiegler. Vielen Dank, dass Sie heute zum Interview bei uns waren.
Spiegler:
Vielen Dank.