Fleischermeisterin findet keine Mitarbeiter mehr

Stellen Sie sich vor, Sie sind Arbeitgeber, bezahlen ihre Angestellten übertariflich, bieten ihnen Extras wie eine betriebliche Altersvorsorge und zahlen jedem Mitarbeiter zum Start bis zu 1.000 Euro. Wenn Sie jetzt glauben, dass die Bewerber einem solchen Betrieb die Türen einrennen, dann irren Sie sich. Denn trotz 19 Stellenanzeigen haben sich bei Metzgerin Petra Nieding aus Ingelheim genau null Bewerber gemeldet. Deshalb hat sich die Fleischermeisterin zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Sie hat dem Bundeskanzler geschrieben – höchstpersönlich.

Petra Nieding,  Metzgermeisterin in Ingelheim
„Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diesen Brief schreibe ich Ihnen, da ich nicht mehr weiß, welche Zukunft mein Handwerksbetrieb hat.“
Ein Hilferuf von Ingelheim nach Berlin. Jeden Tag geben Metzgerin Petra Nieding und ihr Team alles. Doch hinter dem Tresen herrscht längst nicht nur reges Treiben, sondern auch großer Personalmangel. Im Januar schrieb die Metzgerin eine neue Stelle aus. Doch gemeldet hat sich niemand, trotz guter Bezahlung und weiterer Extras. In Ihrer Not schreibt sie Bundeskanzler Friedrich Merz einen Brief mit einer klaren Forderung.
Petra Nieding, Metzgermeisterin in Ingelheim
„… dass er sich mal die Lage in den Handwerksbetrieben, vor allem hier anschaut. Denn so kann es nicht weitergehen. Das Handwerk stirbt aus und in Zukunft, sag ich mal vier, fünf Jahren, wird es keine Nahversorgung mehr geben. Ob das Metzger, Bäcker, Bauunternehmen, Heizungen … das stirbt komplett aus, wenn das so weitergeht.“
Aus Niedings Sicht setzt die Politik zu wenig Anreize, um überhaupt arbeiten zu gehen.
Petra Nieding, Metzgermeisterin in Ingelheim
„Ich erlebe es mehrmals am Telefon, dass die erste Frage ist am Telefon, wie viele Wochenstunden geleistet werden müssen. Und von Kunden höre ich dann in Gesprächen, dass das Bürgergeld einfach mittlerweile so hoch angesetzt ist, dass die Leute für einen Mini-Prozentteil mehr überhaupt noch aus dem Haus gehen morgens und arbeiten gehen. Wollen sie nicht.“
Im Jahr 2000 gab es bundesweit noch 10.000 Fleischer-Azubis. Jetzt sind es nur noch 2.500, ein Rückgang von 75 Prozent. Ein Grund für das mangelnde Interesse sind die vielen bürokratischen Hürden, sagt die rheinhessische Handwerkskammer.
Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin Handwerkskammer Rheinhessen
„Nicht nur von der Politik. Von der Berufsgenossenschaft, von diversen Versicherungen. Die haben alle ihre Klauseln und ihr Kleingedrucktes und ihre Schulungen, die durchgeführt werden müssen. Ihre Dokumentationen, die gemacht werden müssen. Und das nimmt einen großen Teil des Tagesablaufs ein und hält eben auch viele Handwerker davon ab, das zu tun, was sie eigentlich tun wollen, nämlich ihrem Handwerk nachgehen.“
Mit ihrem Brief will Nieding auf die Situation ihrer Branche aufmerksam machen. Sie hofft immer noch, dass sich die Lage unter Bundeskanzler Friedrich Merz bessert.
Petra Nieding, Metzgermeisterin in Ingelheim
„Denn wenn ich aufgeben würde, hätte ich diesen Brief nicht geschrieben. Als erstes würde ich mir überhaupt mal irgendeine Reaktion wünschen. Im besten Falle kommt er mal vorbei und guckt sich das alles an und wir können uns mal unterhalten.“
Ob der Kanzler ihr antwortet, ist ungewiss. Doch klar ist: Der Hilferuf aus Ingelheim steht stellvertretend für eine ganze Branche. Eine Branche, die momentan auszusterben droht.