Zunehmender Rechtsextremismus bei Jugendlichen

Es ist ein Trend, der besorgniserregend ist: In Deutschland steigt die Zahl politisch motivierter Straftaten im er weiter an. Über 84.000 Taten gab es im vergangenen Jahr. Ein Rekordwert. Ein Plus von 40 Prozent im Verglich zum Vorjahr. Erst letzte Woche hat die Bundesanwaltschaft vier mutmaßliche Mitglieder und einen Unterstützer einer bundesweiten, rechtsextremistischen Terrorzelle festnehmen lassen. Darunter auch ein 14jähriger aus dem Raum Haiger im Lahn-Dill-Kreis. Alle fünf Festgenommenen sollen bei Gründung der Gruppe minderjährig gewesen sein – radikalisieren sich Extremisten immer früher? Darüber sprechen wir gleich mit dem Leiter des Demokratiezentrum Hessen, mit Reiner Becker. Vorher ein Blick auf die aktuelle Lage:

„Letzte Verteidigungswelle“ – so lautet der Name, den sich die Gruppe selbst gegeben hat. Vergangenen Donnerstag gab es Razzien und Festnahmen in mehreren Bundesländern, auch in Hessen. Laut Bundesanwaltschaft sieht sich die Gruppe als letzte Instanz zur Verteidigung der Deutschen Nation. Mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen habe sie das demokratische System zum Zusammenbruch bringen wollen. Die Behörde wirft den Festgenommenen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung vor. Die 14 bis 18jährigen sitzen jetzt in Untersuchungshaft.
OTON Alexander Dobrindt (CSU), Bundesinnenminister am 21.5.2025
Es gibt ein Phänomen, gerade in einem Bereich, in einem kleinen Bereich, aber in einem sehr aggressiven Bereich der Jugend, die offensichtlich von rechtsextremen Gedankengut geprägt, sich radikalisieren lässt. Und dann bereit ist auch, dann gemeinschaftlich zu verabreden, Terroranschläge durchzuführen.“
Anfang dieser Woche wurden drei weitere Verdächtige dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt. Auch den 18 bis 21jährigen wird vorgeworfen, einer rechtsextremistischen terroristischen Vereinigung anzugehören.
Insgesamt hat sich die Zahl politisch motivierter Straftaten deutlich erhöht.
Auch in Rheinland-Pfalz. Rund 2.000 Taten gab es hier 2023. Darunter fallen unter anderem religiös motivierte, sowie links-und rechtsextreme Taten. Am stärksten stieg die Zahl der rechtsextremen Straftaten.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Hessen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl politisch motivierter Straftaten auf 4.400 gestiegen. Mehr als die Hälfte der Taten hatten einen rechtsextremen Hintergrund.
Auch an vielen Schulen gehören extremistische Beschimpfungen oder Beleidigungen mittlerweile zum Alltag. Unter anderem mit diesen Vorfällen beschäftigt sich das Demokratiezentrum Hessen an der Marburger Universität. Hier kommen in den letzten Monaten auch immer wieder Anfragen aus Grundschulen, an denen es zu solchen Vorfällen gekommen ist. Das und auch die Festnahmen rund um die Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ zeigt: Die Radikalisierung beginnt immer früher.
Markus Appelmann:
Bleibt die Frage nach dem Warum. Wir schalten jetzt zu Rainer Becker, der Leiter des Demokratiezentrums Hessen an der Marbugrer Universität. Guten Abend.
Dr. Reiner Becker, Leiter Demokratiezentrum Hessen: Schönen guten Tag.
Markus Appelmann:: Welche Rolle spielt das Internet, welche Rolle spielt die Gesellschaft bei der Radikalisierung Jugendlicher?
Dr. Reiner Becker, Leiter Demokratiezentrum Hessen: Nun, wir wissen natürlich schon länger aus den unterschiedlichsten Studien, wie politische Einstellungen entstehen und wer da sozusagen einzahlt, das Elternhaus spielt eine Rolle. Die Schule hat einen wichtigen Beitrag dabei. Immer die Peergroup, die Gleichaltrigen-Gruppe. Und in der Tat, in den vergangenen Jahren spielen die sozialen Medien in der politischen Sozialisation eine immer größere Rolle. Anfang der 2000 er Jahre, da konnten wir noch von einem Internet eins punkt null sprechen, also das war alles andere als interaktiv. Und jetzt ist das sehr, sehr niedrigschwellig, ist sehr, sehr dicht am Alltag der Jugendlichen, was sie in den sozialen Medien sehen, entdecken, wie die Algorithmen funktionieren, so dass man diesen Beitrag alles andere als unterschätzen kann.
Markus Appelmann: Jetzt haben wir viel über Rechtsextremismus gesprochen, letzte Woche hat Innenminister Alexander Dobrindt Zahlen veröffentlicht, wonach auch linksextremistisch und islamistisch motivierte Taten stark angestiegen sind. Läuft die Radikalisierung in diesen Bereichen genauso ab?
Dr. Reiner Becker, Leiter Demokratiezentrum Hessen: Die Radikalisierung jetzt alleine auf die sozialen Medien zu reduzieren, das wäre sehr, sehr verkürzt. Wir wissen aber tatsächlich aus dem Bereich des gewaltorientierten Islamismus, dass dort auch die sozialen Medien eine sehr wichtige Rolle in der Ansprache von Jugendlichen spielen. Im Linksextremismus ist die Szene nicht so einheitlich, also das ist sehr, sehr unterschiedlich. Natürlich werden auch da soziale Medien genutzt, aber wenn es um das Thema Radikalisierung geht, spielt das insbesondere im Rechtsextremismus, aber auch im gewaltorientierten Islamismus eine wichtige Rolle.
Markus Appelmann: Abschließende Frage: Was kann man dagegen tun, dass diese besorgniserregende Welle jugendlicher Radikalisierung wieder abebbt?
Dr. Reiner Becker, Leiter Demokratiezentrum Hessen: Ja. Sie werden nicht überrascht sein, dass ich Ihnen jetzt sage, dass es da natürlich kein Patentrezept gibt. Ich halte es sehr, sehr wichtig, dass man in den Systemen in der Schule arbeitet, also ein Projekttag gegen Rechtsextremismus und für Demokratie, das schnell gemacht und durchgeführt. Aber was ich denke, was wirklich fehlt, das ist ein Schulfach Kritische Medienbildung. Junge Menschen sind in einem sehr frühen Alter mit sozialen Medien konfrontiert. Ihr Alltag findet dort statt. Dort finden auch die Ansprachen statt, aber auch das soziale Leben sozusagen. Das Thema KI spielt eine so schnelle und so eine wesentlich Rolle. Und ich finde, wir müssen junge Menschen befähigen, in einer ganz klassischen erziehungswissenschaftlichen Perspektive in Freiheit mit solchen Medien umgehen zu können, eine Urteilskraft zu entwickeln.  Und das können wir nicht mit punktuellen Maßnahmen durchführen und erreichen. Das wäre vielleicht so ein Punkt.
Markus Appelmann:  sagt der Leiter des Demokratiezentrums Hessen Rainer Becker, danke Ihnen.
Dr. Reiner Becker, Leiter Demokratiezentrum Hessen: Sehr gerne.