Viele Sitzenbleiber unter Ludwigshafener Erstklässlern

Heute blicken wir mal wieder an die Gräfenauschule in Ludwigshafen. Der Schulname ist deutschlandweit bekannt, weil seit Jahren eine große Zahl Erstklässler sitzenbleibt. Die Schulleitung geht dieses Jahr wieder von rund 35 Kindern aus. Und das obwohl die Politik immer wieder Unterstützung für die Brennpunkt-Schule versprochen hat. Darüber sprechen wir gleich mit der Schulleiterin – vorher der Blick auf die Fakten.

Vor drei Jahren macht die Gräfenau-Grundschule im Ludwigshafener Stadtteil Hemshof das erste Mal Schlagzeilen. Damals müssen rund 40 Kinder die erste Klasse wiederholen. Der Grund: fehlende Deutschkenntnisse. Viele Kinder haben einen Migrationshintergrund oder kommen aus finanziell schwachen Familien.
Auch in diesem Jahr rechnet die Schule damit, dass um die 35 Erstklässler nicht in die zweite Klasse versetzt werden könnten. Das ist ein Viertel des Jahrgangs. Und das, obwohl die Gräfenau-Schule eine spezielle Förderung bekommt. Schüler mit wenig Deutschkenntnissen erhalten jeden Tag zwei Stunden extra Deutschunterricht. Dadurch verpassten sie allerdings den anderen Unterricht, sagt Schulleiterin Barbara Mächtle. Der könne dann oftmals nicht nachgeholt werden.
Die Gräfenau-Grundschule nimmt gemeinsam mit drei weiteren Grundschulen in Ludwigshafen am Projekt „Familiengrundschulzentrum“ teil. Es soll die Eltern der Schüler von Anfang an als Kooperationspartner einbinden. Außerdem unterstützen elf ehrenamtliche Helfer die Lehrer – nicht nur im Unterricht, sondern auch bei Zusatzangeboten am Nachmittag. Doch all diese Hilfe hat die Probleme an der Gräfenau-Schule bisher nicht beseitigen können.
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Markus Appelmann:
Warum ist die große Frage, die wir jetzt stellen. Dazu sprechen wir mit Barbara Mächtle, Schulleiterin an der Gräfenau-Grundschule.  Guten Abend nach Ludwigshafen.
Barbara Mächtle, Schulleiterin Grundschule Gräfenau Ludwigshafen:
Guten Abend nach Mainz.
Appelmann:
Frau Mächtle, schon seit mehreren Jahren wird eine hohe Zahl Erstklässler bei Ihnen nicht versetzt. Jetzt befürchten Sie, dass erneut 35 Kinder sitzen bleiben könnten zum Ende des Schuljahrs in acht Wochen. Warum bekommen Sie das Problem nicht in den Griff?
Mächtle:
Die Zahl, die endgültige steht erst am Ende des Schuljahres fest. Aber es werden wohl nicht unbedingt viel weniger als im letzten Jahr werden. Die Probleme sind nach wie vor die fehlenden Sprachkenntnisse, die fehlenden Vorläuferfähigkeiten, mit denen die Kinder hier in die Schule kommen. Und das alles ist natürlich nicht in den Griff zu bekommen und noch alle anderen Kompetenzen zu erlernen innerhalb eines Schuljahrs.
Appelmann:
Als Lösung wird n diesem Zusammenhang immer wieder über die frühkindliche Bildung und Sprachförderung gesprochen. Sprechen Sie sich für eine verpflichtende Sprachförderung in der Kita und auch einen verpflichtenden Besuch der Kita aus?
Mächtle:
Also die Kitas führen Sprachförderung durch, die sogenannte alltagsintegrierte Sprachförderung. Das Problem ist tatsächlich, dass in den Kitas und in der Schule das sogenannte Sprachbad nicht wirkt, weil die Kinder ihre Muttersprache mehr hören als die deutsche Sprache. Und zu Hause wird dann auch nur meistens in der Muttersprache kommuniziert. Wenn man Kindern einen besseren Wortschatz vor Schuleintritt mitgeben möchte, müsste man intensivere Förderungen in Kitas machen. Aber dazu bräuchte man dann auch tatsächlich wieder mehr Personal, um intensiver mit den Kindern arbeiten zu können. Ein verpflichtendes Kindergartenjahr, ein letztes zumindest, wäre mit Sicherheit in Sachen Struktur sehr sinnvoll. Dass Eltern, die mit dem Schulsystem und mit einem Kita-System nicht so vertraut sind, dass sie zumindest mal die Struktur annehmen können und sich da auch ein bisschen einfinden können, bis das Kind in die Schule kommt.
Appelmann:
Ihre Schule, die Gräfenau Grundschule in Ludwigshafen ist auch „Familiengrundschulzentrum“. Ziel dieser Förderung ist es, Eltern als Kooperationspartner von Anfang an mit einzubinden. Das wurde damals von der Politik als eine mögliche Lösung verkauft. Gelingt das überhaupt? Lassen sich die Eltern mit einbinden?
Mächtle:
Also wir haben jetzt einige Veranstaltungen schon gehabt im Rahmen des Familiengrundschulzentrums. Es ist sehr, sehr schwierig, die Eltern mit einzubinden. Also sie kommen zu Veranstaltungen, aber auch nicht in der Anzahl, wie man sich das jetzt vorstellt. Also beim letzten Bastelnachmittag waren neun Eltern da. Also das ist nicht gerade viel. Problem auch hier bei den Eltern ist die Sprachbarriere, das ist ein Hemmschuh, weil wenn ich irgendwo hingehe und verstehe nichts, fühle ich mich dort nicht wohl, dann fühle ich mich auch in der Schule nicht wohl. Auch wenn es jetzt nicht unbedingt um Problematiken geht, sondern ein schönes Erlebnis ist. Aber das ist hier nicht so einfach. Und Initiative ergreifen hier an der Schule die Eltern auch nicht in dem Maße, wie es an anderen Schulen ist.
Appelmann:
Können wir es abschließend auf den Punkt bringen, dass sich in den letzten Jahren schon viel getan hat, aber die grundlegenden Probleme immer noch die gleichen sind. Also: Was muss passieren, damit nächstes Jahr keine Schüler mehr sitzenbleiben?
Mächtle:
Also ich sag mal, das grundlegende Problem wird man nicht ändern können, weil dieses Stadtviertel ist, wie es ist mit einer hohen Anzahl von Leuten mit Migrationshintergrund, was wir auch in der Schule gar nicht schlimm finden. Wir mögen diese bunte Vielfalt. Aber auch diesen Kindern muss man in Sachen Förderung in meinen Augen gerecht werden. Und man müsste, wenn man diese hohe Zahl nicht mehr sehen möchte, an Kindern, denen wir die Chance geben, die erste Klasse zu wiederholen, müsste man vor der Schule intensiver ansetzen.Dass die Kinder besser mit Sprache, Vorläuferfähigkeiten ausgestattet sind, wenn sie in die Schule kommen.
Appelmann:
Danke Barbara Mächtle, die Schulleiterin an der Gräfenau-Grundschule in Ludwigshafen.
Mächtle:
Vielen Dank und einen schönen Gruß nach Mainz.