Schweitzer lädt zum Spitzengespräch Wirtschaft

 „Rheinland-Pfalz steht am Scheideweg.“ Das sagt der Präsident der Landes-Vereinigung Unternehmerverbände, die über 100.000 Unternehmen vertritt. Rheinland-Pfalz als exportstarkes Bundesland rechnet mit sinkender Nachfrage aus dem Ausland. Und das jetzt, im dritten Jahr in Folge ohne Wirtschafts-Wachstum. Und jetzt erhöht die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump den Druck noch weiter. Wie kann der Wirtschaftsstandort gestärkt werden? Um diese Frage ging es heute in Mainz bei einem Spitzentreffen von Vertretern von Politik, Verbänden und Wirtschaft

Made in Rheinland-Pfalz – geliefert nach Amerika. Das ist seit vielen Jahren ein Erfolgsmodell für die heimische Wirtschaft. Nach Frankreich sind die USA der zweitwichtigste Handelspartner für Rheinland-Pfalz. 2024 wurden Waren im Wert von 5,1 Milliarden Euro von Rheinland-Pfalz aus in die USA exportiert.
Doch die Wirtschaft im Land schlägt Alarm. Denn der US-Export war im Vorjahr stark rückläufig, minus 12 Prozent gegenüber 2023. Die Unternehmen sehen die guten Handelsbeziehungen bröckeln. Das machen sie beim heutigen Spitzentreffen der Wirtschaft in der Mainzer Staatskanzlei klar.
Johannes Heger, Präsident Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz
„Die Unternehmer in Rheinland-Pfalz leiden jetzt schon drei Jahre unter rückgängigen Umsatzzahlen, einer Rezession. Das hat in manchen Branchen früh angefangen, aber mittlerweile sind sie alle mehr oder weniger betroffen. Deswegen ist die Situation inzwischen durchaus kritisch.“
Um die Industrie wettbewerbsfähig zu halten, nehmen die Unternehmen auch die Landesregierung in die Pflicht. Insbesondere das Landesklimaschutzgesetz, mit dem Rheinland-Pfalz sich fünf Jahre früher als der Bund zur Klimaneutralität verpflichtet, bedrohe Arbeitsplätze und trage im Gegenzug nur wenig zum Klimaschutz bei. Zugleich kämpfen viele Unternehmer mit mangelnder Nachfrage durch die schwache Konjunktur und Standortnachteilen.
Johannes Heger, Präsident Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz
„Insofern auch hier ein Appell an die Landesregierung, an den Ministerpräsidenten, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen hier einen guten Standort finden. Eigentlich demnächst auch einen verbesserten Standort. Hier gibt es viele Dinge zu tun. Das hat was mit Energiekosten zu tun. Das hat was mit Auflagen und Behörden und Bürokratie zu tun. Das hat was mit Fortschritt von Digitalisierung zu tun. Über diese Themen reden wir regelmäßig, aber sie sind jetzt von besonderer Wichtigkeit.“
Die Landesregierung berät heute mit den Unternehmen, wie der Standort Rheinland-Pfalz gestärkt werden kann. Ministerpräsident Alexander Schweitzer merkt, dass viele Unternehmen verunsichert sind, sieht aber in den Vorhaben der voraussichtlich neuen Bundesregierung aus Union und SPD im Bund eine Chance.
Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident Rheinland-Pfalz
„Insbesondere im Bereich von Wirtschaft, Industrie. Viele Fragen, die unsere Schlüsselbranchen, das ist Chemie und Pharma, Biotechnologie. Aber auch Automotive betreffend sind im Koalitionsvertrag adressiert. Das ist schon etwas, was auch sehr stark Rückenwind für die Branchen mit sich bringen kann.“
Schweitzer und die Unternehmerverbände nennen unter anderem ein Freihandelsabkommen mit den USA als mittelfristiges Ziel. Der aus Mainz stammende Bundesfinanzminister Jörg Kukies nimmt heute ebenfalls an dem Treffen teil. Er war vergangene Woche in Washington bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds. Kukies hofft auf einen Deal der EU mit den USA, nachdem die angekündigten Zölle erstmal ausgesetzt wurden.
Jörg Kukies (SPD), Bundesfinanzminister
„Aber wir haben auch einen Plan B. Wenn es nicht funktioniert, haben wir auch eine Liste von Gegenmaßnahmen. Die Frage ist, wie diese Gegenmaßnahmen aufgebaut sind. Da haben wir vereinbart, gerade eben nochmal intensiver zu sprechen, nochmal ins Detail zu gehen, weil das natürlich vollkommen klar ist, dass die unterschiedliche Betroffenheit da sehr wichtig ist.“
Am stärksten von den Auswirkungen von Zöllen betroffen wäre neben den Maschinenbauern wohl vor allem die Pharma- und Chemiebranche. Ihre Produktexporte machen zusammen über ein Drittel der Warenlieferungen aus. Die Unternehmen versichern heute: Sie werden auch künftig ihre Hausaufgaben machen. Es liege an der Politik, nun die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und über die angespannte Lage spreche ich jetzt mit dem Hauptgeschäftsführer der Chemieverbände in Rheinland Pfalz, mit Bernd Vogler. Guten Abend. Schön, dass Sie hier sind.
Bernd Vogler, Hauptgeschäftsführer der Chemieverbände in Rheinland Pfalz:
Guten Abend.
Dieterle:
Herr Vogler, es passiert gerade weltpolitisch richtig viel, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Chemiebranche in Rheinland-Pfalz. Wie tief sind denn Ihre Sorgenfalten und was konnte das Gespräch heute dagegen tun?
Vogler:
Ja, die Sorgenfalten sind schon tief. Das Gespräch hat sie nicht völlig entspannt, die Sorgenfalten. Aber wir haben schon erlebt, dass sich die Landesregierung ganz klar zur chemischen, pharmazeutischen Industrie wiederum bekannt hat. Und das ist schon mal ein wichtiger Schritt. Das löst nicht alle Probleme, aber es ist schon mal sehr, sehr gut.
Dieterle:
Etwa 1/3 aller Exporte, die aus Rheinland-Pfalz in die USA gehen, stammen von der Chemie- und Pharmaindustrie. Wenn das mit den Strafzöllen jetzt so weitergeht – ein paar wurden ja schon erhoben, Trump droht mit weiteren Maßnahmen -, lässt sich das dann überhaupt noch halten?
Vogler:
Na ja, die Lage ist immer ein bisschen differenzierter. Wir hatten in dem Gespräch durchaus auch Zeit, ein kleines bisschen tiefer zu gehen. Ganz grundsätzlich haben Sie völlig recht. Wir sind eine extrem weltoffene Branche. 70 % unseres Umsatzes haben wir aus dem Ausland, ganz viel auch aus USA. Und natürlich, die grundsätzliche Betroffenheit von US Zöllen ist sehr, sehr groß. Konkret wissen wir noch nicht, wie die wirken, denn die sind zum Teil ja noch gar nicht da. Es gibt diese 90-Tage-Frist von Trump, es gibt bestimmte chemische Produkte, die ausgenommen sind. Pharmazeutika sind noch ausgenommen, drohen extra angegriffen zu werden, was ganz schwierig wäre. Also die Lage ist sehr komplex. Wir hoffen natürlich, dass nicht das Schlimmste eintritt.
Dieterle:
Ja, Sie haben es gerade gesagt. Was genau passiert, weiß man nicht. Trotzdem müssen ja große Konzerne wie die BASF, aber auch die kleineren Unternehmen sich auf irgendwas einstellen, mit irgendwas planen. Wie glauben Sie denn, dass dieser Krimi weitergeht?
Vogler:
Na ja, das liegt zum guten Teil auch in den Händen der EU, der EU-Kommission. Das ist EU-Kompetenz, Handelspolitik zu machen. Und das muss geschickt passieren. Also bislang ist das besonnen und klug passiert. Wir haben die Chance, den Schaden zu begrenzen, wenn wir weiter einen guten Mix zwischen Verhandlung und Gegenmaßnahmen aufrechterhalten. Die EU muss Stärke zeigen. Das Gegenszenario sehen wir in China. Eskalation, Zölle hoch, der andere auch Zölle hoch. Das eskaliert bis auf 125 %. Das wäre schwierig. Eine große Bedrohung, das ist auch meine Befürchtung: Die EU darf sich nicht spalten lassen.
Dieterle:
Wir waren jetzt viel in den USA, bei der EU, lassen Sie uns noch mal zurück nach Deutschland kommen, denn wir spielen ja in der EU durchaus eine wichtige Rolle. Wir befinden uns im dritten Jahr der Wirtschaftskrise. Wir haben jetzt einen Regierungswechsel vor uns. Sie kennen den Koalitionsvertrag. Was sagen Sie, wie bewerten Sie ihn? Liefert er Ihnen Lösungen auf Fragen, auf Sorgen, auf Nöte?
Vogler:
Also ganz kurz gefasst: Gute Ansätze in einem wichtigen Bereich, in der Industriepolitik. Leider keine guten Ansätze und Lösungen im Bereich der Sozialpolitik, also unsere sozialen Sicherungssysteme. Das ist ein Riesenproblem. Und dann ist die Frage der Umsetzung. Es sind viele gute Ansätze drin, auch mit Impuls aus Rheinland Pfalz, was die Energiepolitik angeht, was Genehmigungsverfahren angeht. Die müssen jetzt allerdings umgesetzt werden. Vielleicht eine kleine Anekdote: Der Noch-Finanzminister Kukies meinte in dem Treffen heute: “Ab Mittwoch – auf geht’s!” Wir hoffen, dass es auch wirklich auf geht.
Dieterle:
Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie es weitergeht. Da ist viel Bewegung drin in unsicheren Zeiten. Vielen Dank, dass Sie heute zum Interview bei uns waren.
Vogler:
Ich bedanke mich.