Ein Jahr neues Cannabis-Gesetz

146 Seiten ist er lang, der Koalitionsvertrag von Union und SPD. Zum Thema Cannabis-Teillegalisierung steht darin gerade mal ein einziger Satz. Nämlich, dass die Legalisierung in diesem Herbst ergebnisoffen evaluiert -also bewertet- werden soll. Und das obwohl die Union vor der Bundestagswahl versprochen hatte, das Cannabis-Gesetz schnellstmöglich rückgängig zu machen. Erleichterung auf der einen, Sorge und Kritik auf der anderen Seite. Ein Stimmungsbild.

Für ihn bedeutet Cannabis Genuss und Leidenschaft. Felix Herrmann betreibt mit seinem Team den Cannabis Social Club Rhoihesse in Wörrstadt. Vor wenigen Wochen haben sie hier die erste Ernte eingefahren.
Felix Herrmann, CSC Rhoihesse e.V.
„Wirklich in Deutschland legales Cannabis, also Konsumcannabis an Mitglieder ausgeben zu dürfen, das ist ein ganz großer Schritt für uns gewesen. Und jetzt geht es natürlich drum, dass wir das weitermachen dürfen.“
„Wir schaffen das Cannabisgesetz der Ampel ab“ stand im Bundestagswahlprogramm der Union. Jetzt soll es im Herbst dieses Jahres lediglich „ergebnisoffen“ evaluiert werden.
Der rheinland-pfälzische CDU-Abgeordnete Christoph Gensch ist enttäuscht, dass sich die Union in den Koalitionsverhandlungen nicht durchgesetzt hat.
Christoph Gensch (CDU), Abgeordneter Landtag Rheinland-Pfalz
„Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, alle, die ich in Verantwortung wahrnehme und die sich mit diesem Gesetz beschäftigen, halten dieses Gesetz auch nach einem Jahr für ein schlechtes Gesetz, was die Ziele, für die es konzipiert wurde, verfehlt.“
Dass der Schwarzmarkt nur unzureichend eingedämmt wird, findet auch Felix Herrmann. Das liege unter anderem daran, dass es bislang nur wenige Clubs mit strengen Limitierungen und einer maximalen Mitgliederzahl von 500 gibt. Außerdem darf er Cannabis nicht verschicken, sodass die Mitglieder teils weite Wege auf sich nehmen müssten.
Felix Herrmann, CSC Rhoihesse e.V.
„Eine andere Sache ist das Konsumverbot im Verein. Und der Präventionsbeauftragte muss in jedem Fall gestärkt werden. Der ist zwar momentan vorgeschrieben vom Verein und auch geschult, aber der hat keinerlei Möglichkeit offiziell den Konsum der Mitglieder überwachen zu können und auch kontrollieren und eingreifen zu können.“
Die Landeschefin der rheinland-pfälzischen SPD, Sabine Bätzing-Lichtenthäler war mal Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Der Legalisierung stand sie bislang skeptisch gegenüber. Jetzt sei sie nun mal da, aber:
Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD), Landesvorsitzende Rheinland-Pfalz
„Dann erwarte ich und dann brauche ich auch wirklich noch mehr an Prävention. Also mir ist der Präventionsgedanke da ein Herzensanliegen. Das gilt aber auch für die Bereiche des Alkoholkonsums und des Tabakkonsums, wir müssen an der Stelle dann wirklich in die Prävention auch investieren.“
Im Koalitionsvertrag ist davon allerdings keine Rede.
Christoph Gensch hält mehr Prävention nicht für die Lösung. Er ist Facharzt für Innere Medizin und will Cannabis weiterhin ganz verbieten.
Christoph Gensch (CDU), Abgeordneter Landtag Rheinland-Pfalz
„Ich bekomme oft die Antwort: Wenn doch Alkohol und Zigaretten erlaubt sind, warum nicht auch Cannabis erlauben. Wenn in meinem Haus der Dachstuhl schon brennt, setze ich nicht auch noch den Keller unter Wasser. Also nur weil zwei Dinge schon erlaubt sind, wo wir seit Jahrzehnten schon mit beschäftigt sind, die negativen Folgen wieder einzufangen, sollte man keine dritte Droge – gerade noch eine psychogene Droge – deswegen legalisieren. Das ist der völlig falsche Weg.“
Fakt ist aber, CDU und SPD im Bund wollen diesen Weg weiter gehen. Mindestens bis das Gesetz im Herbst 2025 nochmal auf den Prüfstand kommt.
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Markus Appelmann, Moderator:
Das klingt erst mal nach Aufschieben und Aussitzen. Dr. Mathias Luderer ist bei uns im Studio, der Leiter der Suchtmedizin am Uniklinikum in Frankfurt .Herzlich willkommen. Die Cannabis-Teillegalisierung jährt sich in diesem April. Wie sieht denn Ihr Resümee aus?
Dr. Mathias Luderer, Leiter der Suchtmedizin am Uniklinikum in Frankfurt:
Ja, wir sehen … schon vor der Cannabislegalisierung hat das eigentlich angefangen, dass wir immer mehr Patientinnen und Patienten sehen, die Probleme durch Cannabis entwickelt haben. Und das hat durch die Legalisierung nicht abgenommen. Im Gegenteil hat man den Eindruck, es ist so ein bisschen beschleunigt worden und das Gefahrenbewusstsein der Patientinnen und Patienten ist deutlich geringer geworden.
Appelmann:
Für viele heißt ja “legal” gleich “nicht gefährlich”. Wie gefährlich ist denn Cannabis?
Luderer:
Es gibt da mittlerweile einige gute Studien, auch aus Kanada und den USA, die eigentlich gezeigt haben, dass Cannabiskonsumenten erhöhtes Risiko für Angststörungen, für Depressionen haben, für Psychosen, aber auch ein erhöhtes Risiko für Suizide zum Beispiel. Und das Sterblichkeitsrisiko ist bei Cannabis-Konsument:innen und vor allem bei Cannabis-Abhängigen deutlich erhöht. Das liegt auch daran, dass das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöht ist und das gerät oft in Vergessenheit.
Appelmann:
Beim gerade im Beitrag gehört, es gibt sogenannte Präventionsbeauftragte in diesen Cannabisclubs, die aber gar keine Funktion haben. Was sind denn die Lücken in diesem Gesetz Ihrer Meinung nach?
Luderer:
Ich denke, das ist eine wichtige Lücke und ich finde es gut, dass das auch von den Cannabis Social Clubs angesprochen wird direkt. Eine andere Lücke ist auf alle Fälle, dass die Prävention viel zu kurz gekommen ist. Und man hätte auch vorher am besten schon oder zumindest gleichzeitig die Suchthilfe stärken müssen, dafür sorgen müssen, dass diejenigen, die ein Problem mit Cannabiskonsum haben, dass diejenigen dann auch schnell eine Unterstützung bekommen.
Appelmann:
Wie hat sich denn Ihre Arbeit in der Suchtmedizin im letzten Jahr geändert?
Luderer:
Wir haben immer mehr auch Diskussionen mit Patientinnen und Patienten darüber, dass die sagen: “Na ja, Cannabis ist ja jetzt legal. Das kann ich ja jetzt einfach weiterführen, trotz der stationären Suchttherapie beispielsweise.” Und das ist eine Argumentation, die haben wir bei Alkohol nie gehört. Da war es dann individuell so: “Alkohol ist kein Problem für mich, deswegen möchte ich darauf nicht verzichten.”
Luderer:
Da können wir dann unterstützend und erklärend eingreifen. Aber das Argument, dass Cannabis jetzt legal ist und deswegen alles überhaupt kein Problem sein soll, das haben wir eben nur bei Cannabis und bei Alkohol kam das vorher nie auf.
Appelmann:
Das Cannabisgesetz greift ja erst ab 18 Jahren. Jetzt haben Sie sicherlich auch Kontakt zur Jugendpsychiatrie. Ist auch bei den unter 18-Jährigen der Konsum gestiegen?
Luderer:
Der Konsum ist auf einem, sagen wir mal, stabil hohen Niveau. In Ballungsgebieten ist der Konsum deutlich höher als im ländlichen Bereich. Und das ist kritisch, weil gerade die Jugendlichen in Ballungsgebieten erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen haben. Und jetzt wird Cannabis überall beworben als grüne Medizin und das ist total kritisch, weil es ist mittlerweile deutlich einfacher an Cannabis zu kommen, auch an Cannabis auf Rezept als eine Psychotherapie zu bekommen. Und dann, wenn das überall so beworben wird und die Cannabisindustrie da freie Bahn hat, dann ist das kritisch und evidenzbasierte Therapie sieht anders aus.
Appelmann:
Jetzt haben wir gerade eben gehört, im Koalitionsvertrag steht “Evaluation im Herbst,” was auch immer das genau heißen mag. Wie sieht denn Ihre Evaluation aus – in drei Sätzen – momentan?
Luderer:
Wichtig wäre es, die Prävention und die Suchthilfe deutlich zu stärken und dieses Image von Cannabis als grüne Medizin, mit dem aufzuräumen.
Appelmann:
… sagt Dr. Mathias Luderer, Leiter der Suchtmedizin in Frankfurt. Danke Ihnen.
Luderer:
Vielen Dank.