Ein Jahr Organspenderegister

Vor gut einem Jahr wurde ein Onlineregister für Organspender eingeführt. Die Hoffnung war groß, damit die niedrige Zahl von Organspenden in Deutschland steigern zu können. Die erste Zwischenbilanz fällt enttäuschend aus. Dazu mehr im Studiogespräch – vorher zeigen wir die Seite der Betroffenen, bei denen weiter das Gefühl der Ungewissheit bleibt. So wie bei Frank Ziehen aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis. Die Diagnose „Akutes Leberversagen“ zieht dem damals 55-Jährigen den Boden unter den Füßen weg. Doch er hat Glück und erhält schnell ein Spenderorgan und damit eine zweite Chance.

Wer Frank Ziehen beim Joggen mit seinem Hund Sambo sieht, ahnt nicht, dass der 58-Jährige vor drei Jahren sogar das Gehen neu lernen musste. Denn Ende April 2022 verfärben sich seine Haut und Augen gelblich. Vom Krankenhaus in Simmern geht es in die Uniklinik nach Mainz. Die Schock-Diagnose: akutes Leberversagen.
Frank Ziehen, Organempfänger
„Dann wurden meine Werte eben von Tag zu Tag immer schlechter. Bis dann der Dr. Mittler zu mir gesagt hat: Wenn da am Dienstag, spätestens Mittwoch keine Leber kommt, dann werden Sie den Donnerstag nicht überleben.“
Die von den Ärzten vermutete Ursache für das Leberversagen: Medikamente, die Frank Ziehen über einen längeren Zeitraum zur Behandlung seiner Hüftgelenksarthrose nimmt.
Doch er hat Glück. Es wird ein passendes Organ für ihn gefunden und 18 Tage nach dem Befund wird ihm eine neue Leber transplantiert. Von wem er sein Organ erhalten hat, erfährt Frank Ziehen nicht.
Frank Ziehen
„Fände ich schon toll, wenn man sich mal persönlich bei der Familie bedanken könnte. Weil es ist schon schwer. Du wirst halt jeden Morgen wach mit deinem neuen Organ. Und bist dankbar, dass es diesen Spender für dich gab.“
Seit der Transplantation heißt es: 6 Tabletten am Morgen, 3 Tabletten am Abend. Er ist deutlich häufiger schlapp und braucht Ruhepausen. Aber er lebt. Die in Deutschland seit Jahren stagnierende Organspendebereitschaft stimmt Frank Ziehen nachdenklich.
Frank Ziehen
„Ja, es ist eigentlich schade, dass es so wenige Spender gibt. Und ich denke, da müsste viel mehr Aufklärung auch seitens der Regierung betrieben werden.“
Denn beim Thema Organspende würden viele Falschannahmen und Vorurteile dafür sorgen, dass potentielle Spender ein ungutes Gefühl hätten und somit abgeschreckt würden.
Frank Ziehen
„Ich kann eigentlich nur jedem sagen: Wenn du selbst mal in die Situation kommst, ein Organ zu benötigen, sei froh, dass es Organspender gibt.“
Mit seinem Schicksal will Frank Ziehen die Menschen zum Umdenken bewegen. Damit sich künftig noch mehr von ihnen für die Organspende entscheiden und somit, wie in seinem Fall, zum Lebensretter werden.
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Markus Appelmann, Moderator
Über ein so wichtiges Thema wollen wir noch weiter im Studio sprechen. Von der Deutschen Stiftung Organtransplantation bei uns: Ana Paula Barreiros. Ich grüße Sie.
Ana Paula Barreiros, Deutsche Stiftung Organtransplantation
Guten Abend.
Appelmann:
Frau Barreiros, seit gut einem Jahr gibt es jetzt das Onlineregister für Organspender. Wie fällt da Ihre Bilanz aus?
Barreiros:
Bis heute haben sich knapp 300.000 Menschen in Deutschland in das Onlineregister eingetragen. Insgesamt ist das gut, dass sich 300.000 Menschen eingetragen haben. Natürlich würden wir uns wünschen, dass es noch viel, viel mehr sind.
Appelmann:
Das sind doch zu wenig, wie Sie sagen, eine ernüchternde Bilanz. Ist denn die Hürde zu hoch oder an was liegt’s?
Barreiros:
Nun, ich denke, viele wissen davon noch gar nicht. Deswegen ist es wichtig, das zu propagieren. Und zum anderen benötigt man einen elektronischen Personalausweis mit der entsprechenden PIN, um sich dort einzutragen. Wenn man dies hat, ist es sehr einfach und innerhalb von wenigen Minuten tatsächlich zu machen.
Appelmann:
Und was wir vielleicht auch noch dazu sagen sollten: Der Organspenderausweis, den wir hier sehen, hat weiterhin natürlich die Gültigkeit.
Barreiros:
Unbedingt Der Organspenderausweis und auch der Eintrag in der Patientenverfügung beispielsweise, das sehen wir immer mehr, behält seine Gültigkeit und kann nach wie vor natürlich angewandt werden. Aber ganz wichtig ist es auch, mit seinen Angehörigen über den Wunsch für einen selber zu sprechen.
Appelmann:
Schauen wir uns mal die aktuellen Organspendezahlen an und da blicken wir auf unser Sendegebiet: 88 in Hessen, 35 in Rheinland Pfalz, im letzten Jahr also 123 Organspender und demgegenüber stehen aktuell 995 Patienten bei uns, die auf ein lebensrettende Organ warten. Wir haben gesehen, wie Organspende Leben retten kann. Warum ist die Zurückhaltung so groß?
Barreiros:
Ich denke, ein ganz wichtiger Punkt ist, dass keiner von uns sich gerne zu Lebzeiten mit seinem Tod auseinandersetzt, sich einfach damit beschäftigt “Ich werde sterben”. Man weiß nicht, wie man stirbt und was danach kommt. Das ist ein ganz, ganz großer Punkt. Wobei das ganz wichtig ist, denn diese Entscheidung für mich selber würde meine Angehörige erleichtern, eine Entscheidung zu treffen, falls sie mal in die Bredouille kommen werden, entscheiden zu müssen, ob ich Organspenderin werden wollte oder nicht.
Appelmann:
Lassen Sie uns ganz kurz über die Politik sprechen. Im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD sind zwei Sätze zum Organspenden drin. “Wir wollen die Zahl von Organ- und Gewebespenden deutlich erhöhen und dafür die Voraussetzungen verbessern. Aufklärung und Bereitschaft sollen gefördert werden.” Das klingt jetzt sehr vage. Es war mal ein Thema in Deutschland, die Widerspruchslösung, dass ich also immer Organspender bin, wenn ich nicht aktiv widerspreche.
Appelmann:
Das hört man da aber nicht mehr raus momentan oder?
Barreiros:
Nein, tut man nicht. Aber ganz klar erst mal positiv. Es ist die Organspende im Koalitionsvertrag erwähnt. Das ist ja schon mal was. Organspende ist in Deutschland politisch gesellschaftlich ein Thema, über das man nicht gerne öffentlich redet. Und das würden wir uns von der Politik wünschen. Dass das ein Thema, was in der Mitte der Gesellschaft steht, ist. Und die Widerspruchslösung wäre damit ganz klar ein Statement. Wir wollen Organe transplantieren, damit Menschen überleben können, leben können. Und dafür müssen wir Organspende als Normalität in Deutschland sehen. Einfach dass es klar ist und normal ist, dass man Organe spendet in dem Moment, wenn man sie für sich selbst nicht mehr braucht.
Appelmann:
Danke schön, dass Sie über das so wichtige Thema heute bei uns gesprochen haben. Ana Paula Barreiros.
Barreiros:
Ich danke Ihnen ganz herzlich.