Bürokratie-Irrsinn in Bingen
Einen Handwerker zu bekommen, ist bekanntlich nicht immer ganz einfach. Vor allem dann, wenn es mal schnell gehen muss. Etwa, wenn das Dach undicht ist und Feuchtigkeit ungehindert ins Gebäude dringt. Doch selbst wer Glück hat und schnell ein passendes Handwerksunternehmen findet, das sich der Sache annehmen will, stößt auch schon mal auf bürokratische Hürden – wie ein Beispiel aus Bingen zeigt.
Mario Leidig kann immer noch nicht fassen, was ihm im vergangenen September wiederfahren ist: Früh morgens erhält der Dachdeckermeister aus Laudert einen Anruf. An diesem Haus in Bingen hat sich ein Dachziegel gelöst und droht, auf den Bürgersteig zu fallen. Eine akute Gefahr für Passanten also – Leidig zögert keinen Moment und fährt sofort mit seinem Kranwagen vor.
Mario Leidig, Dachdeckermeister aus Laudert
„Hier war Gefahr im Verzug. Also, wenn der Dachziegel hier einer Person auf den Kopf gefallen wäre, wäre hier wahrscheinlich anderes passiert, als hier mal zwei oder fünf Minuten den Kran hinzustellen.“
Innerhalb von Minuten ist die Gefahr beseitigt, alles soweit gut also: Bis dem Dachdeckermeister kurze Zeit später ein Bußgeldbescheid der Stadt Bingen ins Haus flattert. Er soll 180 Euro Strafe zahlen, weil er seinen Kranwagen, hier bei einem anderen Einsatz in Mainz-Gonsenheim, ohne die erforderliche Sondererlaubnis inklusive Verkehrsabsicherung aufgestellt hat.
Ein Problem, von dem auch Hasso Mansfeld ein Lied singen kann: Vor einigen Wochen bemerkt er einen Sturmschaden am Dach seiner denkmalgeschützten Villa. Es regnet rein. Die ersten Wände sind schon feucht – das Loch im Dach muss sofort geflickt werden, sonst droht ein enormer Schaden an der historischen Bausubstanz. Mansfeld hat Glück und findet einen Dachdecker, der sich der Sache spontan annehmen will. Dabei hat er die Rechnung aber ohne die Bürokratie gemacht.
Hasso Mansfeld, Eigentümer Villa Katharina
„Wenn dann der Dachdecker kommt mit seinem Hubwagen, dann braucht man offenbar eine Genehmigung. Und diese Genehmigung, die wird so schwierig gemacht, dass ein direkter, schneller Einsatz gar nicht möglich ist. Unabhängig von den Kosten, die dann auch noch entstehen.“
Denn offenbar gehen immer mehr Handwerksbetriebe dazu über, die Verkehrsabsicherung und die Beantragung der dazu benötigten Sondergenehmigungen an Subunternehmen zu übertragen, die sich genau darauf spezialisiert haben. Im Fall von Hasso Mansfeld schlägt das mit 1.200 Euro zusätzlich zu Buche – plus Mehrwertsteuer. Außerdem darf der Dachdecker nicht sofort loslegen, sondern erst drei Tage später – zum Glück regnet es zwischendurch nicht weiter.
Die Stadt Bingen ist sich in der Sache keinerlei Schuld bewusst. Sondergenehmigungen für Straßenabsperrungen würden in der Regel innerhalb kürzester Zeit erteilt, wenn diese ordnungsgemäß beantragt worden seien. Bei Gefahrensituationen wie losen Ziegel über Bürgersteigen hat die Stadt eine andere Handlungsempfehlung:
„In Notfällen kann jederzeit die Polizeiinspektion Bingen kontaktiert werden.“
Die könne dann beispielsweise einen Hubwagen der Feuerwehr losschicken, der für seinen Einsatz keine Sondergenehmigung brauche.
Für Mario Leidig ein schwacher Trost: Er wünscht sich einfach nur ein bisschen weniger Bürokratie-Irrsinn für Handwerker in Bingen.
Mario Leidig, Dachdeckermeister
„Wenn sich das unter dem Fall hier nicht ändern kann, dann muss ich ganz ehrlich sagen, kann ich den Kunden in Bingen leider so nicht helfen. Dann müssen die sich jemanden suchen, der das vielleicht kann. Aber ich bin dann nicht mehr in der Lage und auch nicht gewillt dazu, sowas quasi hier in Bingen zu machen.“