Zu Gast im Studio: Stefanie Loth, Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei

Seit dem 01. April sind die Herstellung, der Besitz und der Konsum von Cannabis in Deutschland in gewissem Rahmen legal. Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz darf also grundsätzlich gekifft werden. Dabei gelten allerdings strenge Regeln: Vor allem beim Jugendschutz, bei den erlaubten Mengen und für die Orte, an denen Cannabis konsumiert werden darf oder nicht. Die Polizei stellt das vor neue Herausforderungen. Darüber spricht Eva Dieterle mit Stefanie Loth von der Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz.

Gut drei Monate nach dem Startschuss ist die Teillegalisierung von Cannabis auch in Rheinland-Pfalz in die nächste Phase getreten: Seit Montag können sogenannte „Cannabis Social Clubs“ eine Lizenz zum legalen Gras-Anbau beantragen. Eingetragene Mitglieder sollen hier künftig eine festgelegte Menge an Gras oder Hasch erhalten, wenn sie sich im Gegenzug in die Vereinsarbeit einbringen – etwa, indem sie sich an der Pflanzenpflege beteiligen.
Wie das in der Praxis funktionieren soll, weiß allerdings noch niemand. Wer das alles überprüfen soll, noch viel weniger. Für die Landesregierung ist die Sache klar: Das ist in erster Linie eine Aufgabe der Behörden vor Ort. Sprich: Der Ordnungsämter beziehungsweise die Ordnungspolizei in den einzelnen Städten und Gemeinden. „Auf gar keinen Fall“, sagen die Kommunen – und drohen bereits mit Klage: Sie sehen das Land und die Landespolizei in der Pflicht. Man sei dafür nicht zuständig und verfüge auch gar nicht über genügend Personal, diese Aufgabe auch noch zu übernehmen, heißt es von beiden Seiten unisono. Viel Ärger gibt es nach wie vor beim Thema „Kiffen und Autofahren“. Bislang galt hier eine Art Null-Toleranz-Strategie. Vergangene Woche hat die Ampelregierung in Berlin nun erstmals einen Grenzwert festgelegt: Wer künftig mit mehr als 3,5 Nanogramm THC im Blut hinterm Steuer erwischt wird, muss mit 500 Euro Strafe sowie einem Monat Fahrverbot rechnen. Manche Verkehrsexperten sprechen von einem „schwarzen Tag für die Verkehrssicherheit“: Im Straßenverkehr müsse auch weiterhin ein totales Kiffverbot gelten.

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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und zu diesem Thema wollen wir mehr wissen und zwar von der Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland Pfalz, von Stefanie Loth. Guten Abend. Schön, dass Sie hier sind.
Stefanie Loth, Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz:
Guten Abend. Danke für die Einladung.
Dieterle:
Frau Loth, die Cannabis-Legalisierung, die sollte ja eigentlich auch eine Entlastung bringen für die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden. So ist es aber nicht gekommen, oder?
Loth:
Also das sehen wir noch nicht und es wird sich auch erst noch ein bisschen bewähren müssen. Also vor einem Jahr Laufzeit wird sich das noch überhaupt nicht zeigen können. Aber der Straßenverkehr bleibt. Die Delikte rund um den Handel, also da, wo es um wirkliche kriminelle Energie geht, da ist auch noch viel zu tun und das erledigt sich auch nicht durch diese Teillegalisierung. Also noch sehen wir das tatsächlich nicht.
Dieterle:
Es ist ein neues Feld mit vielen offenen Fragen. Eine Frage war tatsächlich noch sehr lange offen. Und zwar: Wie ist das mit Cannabiskonsum und dem Autofahren geregelt? Jetzt gibt es diesen klaren Grenzwert. Wie bewerten Sie den?
Loth:
Das sehen wir durchaus kritisch. Der Wert vorher, mit dem 1 Nanogramm THC pro Milliliter im Blut war durchaus so, dass man festgestellt hat: Ja, der Mensch steht auch unter dem Einfluss. Jetzt mit der Anhebung – das passt in die Synchronisierung mit der Teillegalisierung, aber es gibt durchaus auch Studien, die sagen: Ab 2,0 gibt es eine Beeinträchtigung. Da haben sich in Kanada bei einer Studie gezeigt, dass sich viele mittelschwere Unfälle ereignet haben, Verletzungen zu beklagen waren. Deshalb würde ich mir auch hier wünschen, dass es Studien gibt, die an diesem Wert auch Beweis liefern, ob das wirklich so gut ist. Wir sehen es kritisch.
Dieterle:
Aber das heißt, sie befürchten schon eine erhöhte Unfallgefahr dadurch?
Loth:
Auf jeden Fall. Die Zahlen sind insgesamt etwas gestiegen seit der Pandemie wieder. Und wir wollen natürlich überhaupt nicht, dass der Straßenverkehr unsicherer wird. Das will ja überhaupt niemand, der sich dort bewegt. Damit weiß ich nicht, ob man der Sache Vorschub geleistet hat. Zumal ja insgesamt so mental man denkt: Es ist ja alles erlaubt und dann kann ich ja schon mal so, wie ich möchte, ein Kraftfahrzeug führen und das ist halt so nicht.
Dieterle:
Zumal es auch sehr schwierig ist, diese Grenzwerte dann für sich selbst einzuschätzen, oder? Es gibt keine richtigen Richtlinien.
Loth:
Also was sicher ist: Wenn ich nichts konsumiere, dann ist auch nichts im Blut. Aber alles andere ist ein Vabanquespiel. Also bei Alkohol wissen wir, dass sich pro Stunde 0,1 Promille abbaut – auch durchschnittlich eher, das kann auch noch mal individuell anders sein. Bei dem Konsum von Cannabis lässt es sich noch viel schwerer voraussagen. Hat auch was mit dem Konsum zu tun und auch der Konstitution von den Menschen. Aber es gibt keine Erfahrungswerte offiziell.
Dieterle:
Das ganze muss kontrolliert werden, wie Alkohol natürlich auch. Können Sie das mit dem Personalstand? Können Ihre Kollegen das leisten?
Loth:
Also eine Intensivierung sehe ich an der Stelle jetzt nur schwierig machbar unter Vernachlässigung von anderen Aufgaben möglicherweise. Aber noch mehr kontrollieren wird kaum möglich sein, Aus dem Schichtdienst heraus, der es eh schon macht, sind da keine Kapazitäten für da schlicht.
Dieterle:
So viel zum Thema Cannabis. Wir kommen jetzt noch zu einem anderen Thema, über das wir sprechen wollen, und das sind Messerattacken. Schockiert hat der schreckliche Messerangriff von Mannheim, bei dem ein junger Polizist von einem mutmaßlichen Islamisten aus Afghanistan erstochen worden ist. Aber auch in Rheinland-Pfalz häufen sich in letzter Zeit Berichte über Messerangriffe, etwa in Mainz, Koblenz, Frankenthal oder in Oggersheim. Doch nehmen diese Taten wirklich zu?
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Die Statistik sagt zunächst etwas anderes: Seit Beginn der Erfassung von Messerangriffen als gesondertem Straftatbestand vor vier Jahren ist die Zahl der Attacken zumindest in Rheinland-Pfalz deutlich zurückgegangen. Wurden hier im Jahr 2020 noch 600 Menschen Opfer von Messerangriffen, waren es im vergangenen Jahr noch 447: Ein Rückgang um mehr als 25 Prozent. Stark gestiegen ist dagegen die Zahl der Messerattacken auf Vollstreckungsbeamte wie Polizisten. Und auch die Zahl der bei Messerangriffen getöteten Menschen steigt – die Angriffe werden also offenbar immer heftiger. Eine Statistik für ganz Deutschland gibt es bislang noch nicht.
In den Brennpunkten einiger hessischer Großstädte so wie hier im Frankfurter Bahnhofsviertel ist das Mitführen von Waffen und somit auch von Messern zu bestimmten Uhrzeiten inzwischen verboten. In Rheinland-Pfalz gibt es solche Waffenverbotszonen bislang noch nicht – vor allem in Mainz werden die Forderungen danach in letzter Zeit aber lauter. Manche gehen noch einen Schritt weiter: Sie fordern, das Mitführen von Messern ab einer bestimmten Klingenlänge im öffentlichen Raum generell zu verbieten.
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Dieterle:
Ja, über diese Forderung wollen wir gleich sprechen. Schauen wir zuerst mal auf die Waffe an und für sich. Warum ist das Messer denn so gefährlich?
Loth:
Weil durch die Wucht und die Geschwindigkeit, die, wenn jemand das Messer einsetzt, was ja omnipräsent und zur Verfügung steht, für jeden oder jede, unheimlich schlimme Verletzungen entstehen können. Also abgeschnittene Muskeln, Sehnenpartien – das ist irreparabel.
Dieterle:
Angriffe auf Polizisten nehmen zu, das haben wir gerade gehört. Wie verhalten sich Polizisten denn im Einsatz, wenn sie in so eine Messerattacke kommen? Bleibt da am Ende nur der Schusswaffengebrauch?
Loth:
Also es gibt einen Unterschied zu machen zwischen einer sehr stationären Lage. Das kennen wir aus dem Beispiel in Berlin in dem Neptunbrunnen. Da war jemand sehr stationär unterwegs. Da gibt es vielleicht Alternativen. Wenn die Situation aber dynamisch ist, also jemand auf mich zuläuft oder auf den Kollegen oder die Kollegin zuläuft, dann gibt es keine Alternative mehr, eben durch dieses verheerende Verletzungsrisiko, was da besteht – die Wucht des Angriffs und des Laufens. An der Stelle gibt es gar keine Alternative.
Dieterle:
Diskutiert wird jetzt über ein generelles Waffenverbot im öffentlichen Raum, auch da das Messer wieder im Fokus. Kann das die Lösung sein?
Loth:
Tatsächlich hat sich das Waffenrecht über die Jahre des Öfteren angepasst und verändert und geht den gesellschaftlichen Entwicklungen ein bisschen nach an der Stelle. Sie werden es trotzdem nicht rauskriegen. Die Frage eins ist halt: Wer kontrolliert das? Es gibt ja Städte, wo das ist, aber logischerweise ist auch da mehr Aufwand zu betreiben, sowohl bei der kommunalen Ordnungsbehörde als auch bei der Polizei. Da fragt sich schon, wer das tun soll in Rheinland Pfalz. Also nach den neuen Aufgaben beim Cannabis jetzt das auch noch zu kontrollieren, sich damit zu beschäftigen und das zu prüfen, wie sinnhaft das ist, vielleicht in Kombination auch mit Video, macht durchaus Sinn.
Dieterle:
Stichwort mangelnde Integration. Welche Rolle spielt auch dieses Thema bei den Messerattacken? Viele Täter haben keinen deutschen Pass.
Loth:
Grundsätzlich ist es, glaube ich, insgesamt in der medialen Aufmerksamkeit deutlich mehr angekommen, dass Messer jetzt, und ich glaube, das beschwört auch Nachahmungstäter hervor in jedem Bereich. Integration in Deutschland ist total wichtig und muss auch eine Priorisierung haben. Ist glaube ich in den letzten Jahren durch Krise, Pandemie, Kriege auch ein bisschen untergegangen, ist aber eine Daueraufgabe, ist auch personalintensiv und kostenintensiv. Aber ich glaube schon, dass junge Menschen, die hierherkommen, auch sehr überfordert sind mit den Situation, sich vielleicht auch sehr langweilen, weil sie nichts arbeiten dürfen und die Sprache nicht sprechen. Da hätte ich auch jede Menge Fragen, wenn ich in einem anderen Land wäre und diese Unterbeschäftigung und dann vielleicht auch das Konsumieren von Medien. Dann haben noch die radikalisierten Einzeltäter aus dem islamistischen Bereich. Das ist schon sehr, sehr schwierig. Und dann kann der eine oder andere auf falsche Ideen kommen.
Dieterle:
Ein weiteres Thema sind psychische Erkrankungen. Was fordern Sie auch in diesem Zusammenhang von der Politik? Muss da auch mehr Hilfestellung gegeben werden, dass Täter eben nicht irgendwann zum Messer greifen?
Loth:
Ja, wenn wir nach Lösungsansätzen sucht, ist es zum einen sicherlich eine gewaltfreie Erziehung, die Integration von Menschen, die neu zu uns kommen und die Menschen, die bei uns hier ein Problem haben. Egal ob das jetzt Menschen sind, die schon immer hier gelebt haben oder zu uns kommen, sich damit zu beschäftigen. Das mit der Zunahme, wie ich das auch wahrnehme, an psychischen Auffälligkeiten oder Erkrankungen besser umgegangen wird, dass man zeitnah ein Angebot bekommt und nicht nur für eine erste Beratung, sondern auch über eine Therapie. Denn ob die jetzt ambulant ist oder stationär, um darin auch Abhilfe zu schaffen, weil wir schon Menschen begegnen, die dann sagen: “Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht, ich kriege überhaupt keinen Platz.” Das kann ja so nicht sein.
Dieterle:
Und eine umfassende Anti-Gewaltprävention. Frau Loth, vielen Dank, dass Sie zu diesen Themen heute bei uns waren.
Loth:
Sehr gerne. Danke.