Beratungsstelle für männliche Opfer sexueller Gewalt

Sexualisierte Gewalt – ein Thema, über das niemand gerne spricht. Und trotzdem ist es – leider – sehr präsent in unserer Gesellschaft. Studien besagen, dass jede dritte bis vierte weibliche Person in ihrem Leben mindestens einmal sexualisierte Gewalt erlebt. Bei männlichen Personen ist es immerhin jeder Zehnte. Während es für Frauen und Mädchen verschiedene Hilfsangebote gibt, gibt es für betroffene Männer und Jungen bisher vielerorts gar keine Anlaufstellen. Das ändert sich jetzt in Hessen.

Dieser Weg, diese Tür, dieser Schritt ist für viele Betroffene eine große Überwindung. Er bedeutet: sich öffnen, sich jemandem anvertrauen, Hilfe annehmen. Wer hier Platz nimmt, der hat diesen Schritt geschafft.
Seit März berät Clara Paulus Jungen und Männer, die im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erlebt haben.
Clara Paulus, Beraterin für männliche Betroffene sexualisierter Gewalt
„Wir machen kein Therapieangebot, sondern ein Beratungsangebot. Und manchmal kann das sehr nah aneinander sein. Das heißt, man spricht über die eigenen Belastungen zum Beispiel. Und andere haben ganz konkrete Anliegen und sagen: Ich möchte gerne eine Anzeige machen, wie mache ich das eigentlich? Oder: Ich habe einen Gerichtstermin und muss da aussagen und ich bräuchte da vielleicht ein bisschen Unterstützung. Und andere sagen: Ich habe vielleicht Angst- oder Panikzustände und ich möchte wissen, wie ich damit umgehen kann.“
Und wieder andere brauchen Hilfe bei der Suche nach einem Therapieplatz. Täter sind, auch im Falle sexualisierter Gewalt gegen männliche Personen, größtenteils Männer.
Clara Paulus, Beraterin für männliche Betroffene sexualisierter Gewalt
„Man kann unterscheiden zwischen Hands-on-Taten – das bedeutet, alles was am Körper passiert, wenn ich berührt werde, wo ich das nicht möchte oder Vergewaltigungen. Und es gibt Taten, die sind Hands-off. Das bedeutet, da ist kein direkter Körperkontakt, sondern ich werde zum Beispiel gezwungen was anzuschauen, was ich nicht möchte. Oder von mir werden Aufnahmen gemacht, Bilder oder Videos, die dann genutzt werden im Internet.“
Gemeinsam mit einem männlichen Kollegen konzentriert sich Clara Paulus hier, beim Verein Wildwasser Wiesbaden, ausschließlich auf die Beratung männlicher Betroffener – ein Angebot, das es in der Region so vorher nicht gegeben hat. Finanziert wird die Anlaufstelle durch Landesmittel und Spenden. Neben der Einrichtung in Wiesbaden gibt es jetzt auch Beratungsstellen in Kassel, Gießen und Darmstadt.
Alle handeln nach ähnlichen Grundsätzen: Die Beratung ist immer kostenlos, sie kann anonym erfolgen und die Berater agieren parteilich.
Anika Nagel, Geschäftsführerin Wildwasser Wiesbaden e.V.
„Wir haben tatsächlich die Haltung, dass wir Betroffenen glauben. Anders als bei der Polizei muss man bei uns keine Beweise bringen, man darf über Sachen sprechen, die einem widerfahren sind, man muss es aber nicht. Wir bieten an, dass Betroffene selbst bestimmen dürfen. Das heißt, sie dürfen bestimmen, über welches Thema möchten sie denn sprechen, in welchem Tempo können sie sprechen.“
Gerade männlichen Personen falle es oft schwer, über das Erlebte zu sprechen und sich einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Grund dafür seien gesellschaftliche Geschlechterrollen, die Jungen schon im Kindesalter suggerieren, sie könnten sich wehren und kennen keinen Schmerz. Deshalb bietet der Verein auch Beratungen für beispielsweise Eltern, Lehrer oder Nachbarn an.
Anika Nagel, Geschäftsführerin Wildwasser Wiesbaden e.V.
„Immer dann, wenn Menschen eben den Verdacht haben, ein Kind könnte betroffen sein, dann kann man zu uns zur Vermutungsabklärung kommen, wir nehmen eine Einschätzung vor und unterstützen dann auch im Weiteren in der Interventionsplanung, um Schutz herzustellen.“
Seit fast drei Monaten gibt es die Beratungsstelle in Wiesbaden jetzt. Die Erfahrung zeigt: Der Bedarf ist groß, das Angebot wird angenommen. Allerdings ist die Finanzierung aktuell auf drei Jahre beschränkt. Anika Nagel und Clara Paulus hoffen, dass sich das noch ändert und sie den Jungen und Männern, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, auch langfristig zur Seite stehen können.
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Wenn Sie mehr erfahren möchten, dann können Sie sich mit Ihrem Anliegen an die E-Mail-Adresse bmb@wildwasser-wiesbaden.de wenden.